Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

stimmen, auf welchem eine Verständigung zwischen dem Norden und Süden Deutsch¬
lands zu erreichen ist; -- vielleicht wird sie auch nicht zu erreichen sein.

Und doch ist die unscheinbare Bundescommissiou trotz ihrer beschränkten Voll¬
macht und dem diplomatischen Kram, welcher sich herumhängen wird, in Wahr¬
heit ein großer Fortschritt in der Entwickelung unserer deutschen Angelegenheit.
Der Prozeß der deutschen Kristallisation ist wenigstens jetzt so weit fortgeschritten,
laß sich das nicht Zusammengehörende, scheidet. Die Würde und Thätigkeit des
Elzherzog Reichsverwesers stammte noch aus der verhängnisvollen Zeit unserer
gemüthlichen Gefühlspolitik, wo die deutsche Nation über ihre eigene Ausdeh¬
nung und Kraft in gefährlichem Irrthum war, und deshalb war seine Würde und
Thätigkeit nichts als ein Schein, der in seiner Nichtigkeit zuletzt auch vom Volk
eikannt wurde. In der neuen Bundescommission haben sich Oestreich und Preu¬
ßen bereits als Gegensätze geschieden, beide stießen sich feindlich ab, so lange sie
in eine unnatürliche Einheit zusammengezwuugeu werde" sollten. Jetzt, wo der
Gegensatz zwischen ihnen, die Divergenz ihrer Interessen als bestehend zu Grunde
gelegt wird, muß sich über allen Winkelzügen ihrer beiderseitigen egoistischen Po¬
litik, das wirklich Gemeinsame ihrer Interessen abklären und zur Geltung bringen.
Es ist jetzt wenigstens die Möglichkeit gegeben, daß Preußen und Oestreich gute
Nachbarn werden, während sie bis jetzt zänkische Miethsgenossen in demselben
baufälligen Hause waren.

Der Vertrag stellt Preußen dem Kaiserstaat gegenüber, er ignorirt Baiern
und die übrigen Königreiche so sehr, als dies einem diplomatischen Vertrage nur
möglich ist. Baiern mag auch darin eine Zurechtweisung finden. Aber "och mehr.
Der Vertrag bereitet die Anerkennung des deutscheu Bundesstaates durch Oest¬
reich vor, und Preußen tritt faktisch in dem Vertrage auf als Vertreter der kleineren
deutschen Staaten. Es wäre gegen das diplomatische Gewissen Oestreichs gewesen,
dies Verhältniß klar auszusprechen, ja demüthigend für sein Selbstgefühl, dies aus¬
drücklich zuzugeben. Außerdem ist der Bundesstaat noch nicht fertig und die Re¬
gierung Oestreichs behält sich immer noch vor, das ihrige dazu beizutragen, daß
er nicht fertig werde. Aber der 8. 3. des Vertrages lautet: "Während des In¬
terims bleibt die deutsche Verfassungsangelegenhcit der freien Vereinbarung der
einzelnen Staaten überlassen" und serner der ez. 4.: "Wenn am 1. Mai 1850 die
deutsche Verfassungsangelegenheit noch nicht zum Abschluß gediehen sein sollte, so
werden die deutschen Regierungen sich über Fortbestand des Interims vereinbaren."
Aus diesen Sätzen folgt klar, daß Preußen und die übrigen deutschen Staaten,
Oestreich gegenüber freie Hand für Bildung einer Verfassung mit Volksvertretung
gewonnen haben, und daß die Intriguen der östreichischen Hofpartei sich jetzt dar¬
auf werden beschränken müssen, an den einzelnen Königshöfen gegen den Bundes¬
staat im Stillen zu arbeiten. -- Auch deshalb ist der Vertrag ein Fortschritt in der


stimmen, auf welchem eine Verständigung zwischen dem Norden und Süden Deutsch¬
lands zu erreichen ist; — vielleicht wird sie auch nicht zu erreichen sein.

Und doch ist die unscheinbare Bundescommissiou trotz ihrer beschränkten Voll¬
macht und dem diplomatischen Kram, welcher sich herumhängen wird, in Wahr¬
heit ein großer Fortschritt in der Entwickelung unserer deutschen Angelegenheit.
Der Prozeß der deutschen Kristallisation ist wenigstens jetzt so weit fortgeschritten,
laß sich das nicht Zusammengehörende, scheidet. Die Würde und Thätigkeit des
Elzherzog Reichsverwesers stammte noch aus der verhängnisvollen Zeit unserer
gemüthlichen Gefühlspolitik, wo die deutsche Nation über ihre eigene Ausdeh¬
nung und Kraft in gefährlichem Irrthum war, und deshalb war seine Würde und
Thätigkeit nichts als ein Schein, der in seiner Nichtigkeit zuletzt auch vom Volk
eikannt wurde. In der neuen Bundescommission haben sich Oestreich und Preu¬
ßen bereits als Gegensätze geschieden, beide stießen sich feindlich ab, so lange sie
in eine unnatürliche Einheit zusammengezwuugeu werde» sollten. Jetzt, wo der
Gegensatz zwischen ihnen, die Divergenz ihrer Interessen als bestehend zu Grunde
gelegt wird, muß sich über allen Winkelzügen ihrer beiderseitigen egoistischen Po¬
litik, das wirklich Gemeinsame ihrer Interessen abklären und zur Geltung bringen.
Es ist jetzt wenigstens die Möglichkeit gegeben, daß Preußen und Oestreich gute
Nachbarn werden, während sie bis jetzt zänkische Miethsgenossen in demselben
baufälligen Hause waren.

Der Vertrag stellt Preußen dem Kaiserstaat gegenüber, er ignorirt Baiern
und die übrigen Königreiche so sehr, als dies einem diplomatischen Vertrage nur
möglich ist. Baiern mag auch darin eine Zurechtweisung finden. Aber »och mehr.
Der Vertrag bereitet die Anerkennung des deutscheu Bundesstaates durch Oest¬
reich vor, und Preußen tritt faktisch in dem Vertrage auf als Vertreter der kleineren
deutschen Staaten. Es wäre gegen das diplomatische Gewissen Oestreichs gewesen,
dies Verhältniß klar auszusprechen, ja demüthigend für sein Selbstgefühl, dies aus¬
drücklich zuzugeben. Außerdem ist der Bundesstaat noch nicht fertig und die Re¬
gierung Oestreichs behält sich immer noch vor, das ihrige dazu beizutragen, daß
er nicht fertig werde. Aber der 8. 3. des Vertrages lautet: „Während des In¬
terims bleibt die deutsche Verfassungsangelegenhcit der freien Vereinbarung der
einzelnen Staaten überlassen" und serner der ez. 4.: „Wenn am 1. Mai 1850 die
deutsche Verfassungsangelegenheit noch nicht zum Abschluß gediehen sein sollte, so
werden die deutschen Regierungen sich über Fortbestand des Interims vereinbaren."
Aus diesen Sätzen folgt klar, daß Preußen und die übrigen deutschen Staaten,
Oestreich gegenüber freie Hand für Bildung einer Verfassung mit Volksvertretung
gewonnen haben, und daß die Intriguen der östreichischen Hofpartei sich jetzt dar¬
auf werden beschränken müssen, an den einzelnen Königshöfen gegen den Bundes¬
staat im Stillen zu arbeiten. — Auch deshalb ist der Vertrag ein Fortschritt in der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0166" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279714"/>
          <p xml:id="ID_558" prev="#ID_557"> stimmen, auf welchem eine Verständigung zwischen dem Norden und Süden Deutsch¬<lb/>
lands zu erreichen ist; &#x2014; vielleicht wird sie auch nicht zu erreichen sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_559"> Und doch ist die unscheinbare Bundescommissiou trotz ihrer beschränkten Voll¬<lb/>
macht und dem diplomatischen Kram, welcher sich herumhängen wird, in Wahr¬<lb/>
heit ein großer Fortschritt in der Entwickelung unserer deutschen Angelegenheit.<lb/>
Der Prozeß der deutschen Kristallisation ist wenigstens jetzt so weit fortgeschritten,<lb/>
laß sich das nicht Zusammengehörende, scheidet. Die Würde und Thätigkeit des<lb/>
Elzherzog Reichsverwesers stammte noch aus der verhängnisvollen Zeit unserer<lb/>
gemüthlichen Gefühlspolitik, wo die deutsche Nation über ihre eigene Ausdeh¬<lb/>
nung und Kraft in gefährlichem Irrthum war, und deshalb war seine Würde und<lb/>
Thätigkeit nichts als ein Schein, der in seiner Nichtigkeit zuletzt auch vom Volk<lb/>
eikannt wurde. In der neuen Bundescommission haben sich Oestreich und Preu¬<lb/>
ßen bereits als Gegensätze geschieden, beide stießen sich feindlich ab, so lange sie<lb/>
in eine unnatürliche Einheit zusammengezwuugeu werde» sollten. Jetzt, wo der<lb/>
Gegensatz zwischen ihnen, die Divergenz ihrer Interessen als bestehend zu Grunde<lb/>
gelegt wird, muß sich über allen Winkelzügen ihrer beiderseitigen egoistischen Po¬<lb/>
litik, das wirklich Gemeinsame ihrer Interessen abklären und zur Geltung bringen.<lb/>
Es ist jetzt wenigstens die Möglichkeit gegeben, daß Preußen und Oestreich gute<lb/>
Nachbarn werden, während sie bis jetzt zänkische Miethsgenossen in demselben<lb/>
baufälligen Hause waren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_560" next="#ID_561"> Der Vertrag stellt Preußen dem Kaiserstaat gegenüber, er ignorirt Baiern<lb/>
und die übrigen Königreiche so sehr, als dies einem diplomatischen Vertrage nur<lb/>
möglich ist. Baiern mag auch darin eine Zurechtweisung finden. Aber »och mehr.<lb/>
Der Vertrag bereitet die Anerkennung des deutscheu Bundesstaates durch Oest¬<lb/>
reich vor, und Preußen tritt faktisch in dem Vertrage auf als Vertreter der kleineren<lb/>
deutschen Staaten. Es wäre gegen das diplomatische Gewissen Oestreichs gewesen,<lb/>
dies Verhältniß klar auszusprechen, ja demüthigend für sein Selbstgefühl, dies aus¬<lb/>
drücklich zuzugeben. Außerdem ist der Bundesstaat noch nicht fertig und die Re¬<lb/>
gierung Oestreichs behält sich immer noch vor, das ihrige dazu beizutragen, daß<lb/>
er nicht fertig werde. Aber der 8. 3. des Vertrages lautet: &#x201E;Während des In¬<lb/>
terims bleibt die deutsche Verfassungsangelegenhcit der freien Vereinbarung der<lb/>
einzelnen Staaten überlassen" und serner der ez. 4.: &#x201E;Wenn am 1. Mai 1850 die<lb/>
deutsche Verfassungsangelegenheit noch nicht zum Abschluß gediehen sein sollte, so<lb/>
werden die deutschen Regierungen sich über Fortbestand des Interims vereinbaren."<lb/>
Aus diesen Sätzen folgt klar, daß Preußen und die übrigen deutschen Staaten,<lb/>
Oestreich gegenüber freie Hand für Bildung einer Verfassung mit Volksvertretung<lb/>
gewonnen haben, und daß die Intriguen der östreichischen Hofpartei sich jetzt dar¬<lb/>
auf werden beschränken müssen, an den einzelnen Königshöfen gegen den Bundes¬<lb/>
staat im Stillen zu arbeiten. &#x2014; Auch deshalb ist der Vertrag ein Fortschritt in der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0166] stimmen, auf welchem eine Verständigung zwischen dem Norden und Süden Deutsch¬ lands zu erreichen ist; — vielleicht wird sie auch nicht zu erreichen sein. Und doch ist die unscheinbare Bundescommissiou trotz ihrer beschränkten Voll¬ macht und dem diplomatischen Kram, welcher sich herumhängen wird, in Wahr¬ heit ein großer Fortschritt in der Entwickelung unserer deutschen Angelegenheit. Der Prozeß der deutschen Kristallisation ist wenigstens jetzt so weit fortgeschritten, laß sich das nicht Zusammengehörende, scheidet. Die Würde und Thätigkeit des Elzherzog Reichsverwesers stammte noch aus der verhängnisvollen Zeit unserer gemüthlichen Gefühlspolitik, wo die deutsche Nation über ihre eigene Ausdeh¬ nung und Kraft in gefährlichem Irrthum war, und deshalb war seine Würde und Thätigkeit nichts als ein Schein, der in seiner Nichtigkeit zuletzt auch vom Volk eikannt wurde. In der neuen Bundescommission haben sich Oestreich und Preu¬ ßen bereits als Gegensätze geschieden, beide stießen sich feindlich ab, so lange sie in eine unnatürliche Einheit zusammengezwuugeu werde» sollten. Jetzt, wo der Gegensatz zwischen ihnen, die Divergenz ihrer Interessen als bestehend zu Grunde gelegt wird, muß sich über allen Winkelzügen ihrer beiderseitigen egoistischen Po¬ litik, das wirklich Gemeinsame ihrer Interessen abklären und zur Geltung bringen. Es ist jetzt wenigstens die Möglichkeit gegeben, daß Preußen und Oestreich gute Nachbarn werden, während sie bis jetzt zänkische Miethsgenossen in demselben baufälligen Hause waren. Der Vertrag stellt Preußen dem Kaiserstaat gegenüber, er ignorirt Baiern und die übrigen Königreiche so sehr, als dies einem diplomatischen Vertrage nur möglich ist. Baiern mag auch darin eine Zurechtweisung finden. Aber »och mehr. Der Vertrag bereitet die Anerkennung des deutscheu Bundesstaates durch Oest¬ reich vor, und Preußen tritt faktisch in dem Vertrage auf als Vertreter der kleineren deutschen Staaten. Es wäre gegen das diplomatische Gewissen Oestreichs gewesen, dies Verhältniß klar auszusprechen, ja demüthigend für sein Selbstgefühl, dies aus¬ drücklich zuzugeben. Außerdem ist der Bundesstaat noch nicht fertig und die Re¬ gierung Oestreichs behält sich immer noch vor, das ihrige dazu beizutragen, daß er nicht fertig werde. Aber der 8. 3. des Vertrages lautet: „Während des In¬ terims bleibt die deutsche Verfassungsangelegenhcit der freien Vereinbarung der einzelnen Staaten überlassen" und serner der ez. 4.: „Wenn am 1. Mai 1850 die deutsche Verfassungsangelegenheit noch nicht zum Abschluß gediehen sein sollte, so werden die deutschen Regierungen sich über Fortbestand des Interims vereinbaren." Aus diesen Sätzen folgt klar, daß Preußen und die übrigen deutschen Staaten, Oestreich gegenüber freie Hand für Bildung einer Verfassung mit Volksvertretung gewonnen haben, und daß die Intriguen der östreichischen Hofpartei sich jetzt dar¬ auf werden beschränken müssen, an den einzelnen Königshöfen gegen den Bundes¬ staat im Stillen zu arbeiten. — Auch deshalb ist der Vertrag ein Fortschritt in der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/166
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/166>, abgerufen am 15.01.2025.