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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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nicht eins der Volksvertretung hervorgegangen, ließen den Kaiser Partei nehmen
gegen das Volk, und Generale wurden dem jungen Monarchen als die Stützen
des Thrones vorgeführt, ehe noch der wenige Stunden von der einstweiligen Re¬
sidenz entfernt berathende Reichstag die Abdication des gütigsten Kaisers erfuhr.
Das Cabinet Schwarzenberg übernahm die Geschäfte, und hiermit begann die
k. k. Anarchie.

Wir übernehmen nicht die Leidensgeschichte Oestreichs vom October 1848
bis October 1849 zu erzählen, sie füllt ein dickes Buch, das mit rothen Lettern
gedruckt ist. Mehr als drei Viertheile des Reiches wurden formell unter Mili¬
tärgewalt gestellt, und das letzte Viertheil seufzte ohne diese Form unter gleicher
Willkür. Das Deuunciren, Jnguiriren, Einsperren, auf die Festung führen, Er¬
schießen und Aufhängen ist die Tageschronik, während nicht eine einzige In¬
stitution im ganzen Laufe des Jahres in Wirklichkeit ausgeführt wurde, die das
Eintreten in einen Rechtsstaat bestätigen könnte. In allen Zweigen der Admini¬
stration herrscht die vollkommenste k. k. Anarchie, und an der obersten Spitze der
Regierung wird ein Ringerkampf geführt, zwischen der Anarchie des Militärcodex
und der Anarchie der oktroyirten Verfassung.

Der Staat und die Völker haben Zeit und Geduld; die Konstitution braucht
nicht über Nacht eine paragraphirte Wahrheit zu werden; die Reformen erfordern
Talente und Muße; die neuen Einrichtungen müssen der complicirten Monarchie
angepaßt werden. Die ruhigen Männer ziehen alle diese Umstände in Erwägung.
Allem wie man im October 1848 binnen 14 Tagen 10,000 Mann versammeln
konnte, um die Anarchie in Wien zu bezwingen, so muß es der siegenden und
gekräftigten Regierung in noch kürzerer Frist und mit geringem Mitteln gelingen,
die k. k. Anarchie zu bezwingen. Das Volk von Wien hat während der Anarchie
kein Blut vergossen, aber während der k. k. Anarchie flössen schon Ströme Blutes.
Nicht die Straflosigkeit der Verbrecher wird bevorwortet, sondern die Errichtung
eines ordentlichen Tribunals; nicht die peinliche Theresianische Halsgerichtsordnung
und die Proclamationen von Windischgrätz und Haynau sollen dein Urtheil zu
Grunde liegen in einem constitutionellen Staate, sondern das Civilgesetz in sei¬
ner civilen Auslegung.

Die Minister steuern dieser k. k. Anarchie nicht; sie können nicht, oder sie
wollen nicht. Im ersteren Falle würden Charakter und Ehre fordern, ihrer
Stelle zu entsagen; daher muß man glauben, sie billigen diese Proceduren. Wird
^ dem Justizminister gelingen, die Verantwortung für den im Banat vorgekom¬
menen k. k. Exceß zu führen? Eine Frau Maderspach soll Bem tractirt haben,
und bei einem Volksfest stopfte sie eine Figur aus, welche, als letzter Habsburger,
begraben wurde. Nach ungarischen Landesgesetzen ist die Frau, so wie die Theil-
nehmer dieses des Königs Majestät verunglimpfenSen Actes dem Tode verfallen,
und Niemand dürfte klagen, wenn der Verbrecherin der Kops vor die Füße gelegt


Gnnzbvte". lo. i84g. 20

nicht eins der Volksvertretung hervorgegangen, ließen den Kaiser Partei nehmen
gegen das Volk, und Generale wurden dem jungen Monarchen als die Stützen
des Thrones vorgeführt, ehe noch der wenige Stunden von der einstweiligen Re¬
sidenz entfernt berathende Reichstag die Abdication des gütigsten Kaisers erfuhr.
Das Cabinet Schwarzenberg übernahm die Geschäfte, und hiermit begann die
k. k. Anarchie.

Wir übernehmen nicht die Leidensgeschichte Oestreichs vom October 1848
bis October 1849 zu erzählen, sie füllt ein dickes Buch, das mit rothen Lettern
gedruckt ist. Mehr als drei Viertheile des Reiches wurden formell unter Mili¬
tärgewalt gestellt, und das letzte Viertheil seufzte ohne diese Form unter gleicher
Willkür. Das Deuunciren, Jnguiriren, Einsperren, auf die Festung führen, Er¬
schießen und Aufhängen ist die Tageschronik, während nicht eine einzige In¬
stitution im ganzen Laufe des Jahres in Wirklichkeit ausgeführt wurde, die das
Eintreten in einen Rechtsstaat bestätigen könnte. In allen Zweigen der Admini¬
stration herrscht die vollkommenste k. k. Anarchie, und an der obersten Spitze der
Regierung wird ein Ringerkampf geführt, zwischen der Anarchie des Militärcodex
und der Anarchie der oktroyirten Verfassung.

Der Staat und die Völker haben Zeit und Geduld; die Konstitution braucht
nicht über Nacht eine paragraphirte Wahrheit zu werden; die Reformen erfordern
Talente und Muße; die neuen Einrichtungen müssen der complicirten Monarchie
angepaßt werden. Die ruhigen Männer ziehen alle diese Umstände in Erwägung.
Allem wie man im October 1848 binnen 14 Tagen 10,000 Mann versammeln
konnte, um die Anarchie in Wien zu bezwingen, so muß es der siegenden und
gekräftigten Regierung in noch kürzerer Frist und mit geringem Mitteln gelingen,
die k. k. Anarchie zu bezwingen. Das Volk von Wien hat während der Anarchie
kein Blut vergossen, aber während der k. k. Anarchie flössen schon Ströme Blutes.
Nicht die Straflosigkeit der Verbrecher wird bevorwortet, sondern die Errichtung
eines ordentlichen Tribunals; nicht die peinliche Theresianische Halsgerichtsordnung
und die Proclamationen von Windischgrätz und Haynau sollen dein Urtheil zu
Grunde liegen in einem constitutionellen Staate, sondern das Civilgesetz in sei¬
ner civilen Auslegung.

Die Minister steuern dieser k. k. Anarchie nicht; sie können nicht, oder sie
wollen nicht. Im ersteren Falle würden Charakter und Ehre fordern, ihrer
Stelle zu entsagen; daher muß man glauben, sie billigen diese Proceduren. Wird
^ dem Justizminister gelingen, die Verantwortung für den im Banat vorgekom¬
menen k. k. Exceß zu führen? Eine Frau Maderspach soll Bem tractirt haben,
und bei einem Volksfest stopfte sie eine Figur aus, welche, als letzter Habsburger,
begraben wurde. Nach ungarischen Landesgesetzen ist die Frau, so wie die Theil-
nehmer dieses des Königs Majestät verunglimpfenSen Actes dem Tode verfallen,
und Niemand dürfte klagen, wenn der Verbrecherin der Kops vor die Füße gelegt


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[0157] nicht eins der Volksvertretung hervorgegangen, ließen den Kaiser Partei nehmen gegen das Volk, und Generale wurden dem jungen Monarchen als die Stützen des Thrones vorgeführt, ehe noch der wenige Stunden von der einstweiligen Re¬ sidenz entfernt berathende Reichstag die Abdication des gütigsten Kaisers erfuhr. Das Cabinet Schwarzenberg übernahm die Geschäfte, und hiermit begann die k. k. Anarchie. Wir übernehmen nicht die Leidensgeschichte Oestreichs vom October 1848 bis October 1849 zu erzählen, sie füllt ein dickes Buch, das mit rothen Lettern gedruckt ist. Mehr als drei Viertheile des Reiches wurden formell unter Mili¬ tärgewalt gestellt, und das letzte Viertheil seufzte ohne diese Form unter gleicher Willkür. Das Deuunciren, Jnguiriren, Einsperren, auf die Festung führen, Er¬ schießen und Aufhängen ist die Tageschronik, während nicht eine einzige In¬ stitution im ganzen Laufe des Jahres in Wirklichkeit ausgeführt wurde, die das Eintreten in einen Rechtsstaat bestätigen könnte. In allen Zweigen der Admini¬ stration herrscht die vollkommenste k. k. Anarchie, und an der obersten Spitze der Regierung wird ein Ringerkampf geführt, zwischen der Anarchie des Militärcodex und der Anarchie der oktroyirten Verfassung. Der Staat und die Völker haben Zeit und Geduld; die Konstitution braucht nicht über Nacht eine paragraphirte Wahrheit zu werden; die Reformen erfordern Talente und Muße; die neuen Einrichtungen müssen der complicirten Monarchie angepaßt werden. Die ruhigen Männer ziehen alle diese Umstände in Erwägung. Allem wie man im October 1848 binnen 14 Tagen 10,000 Mann versammeln konnte, um die Anarchie in Wien zu bezwingen, so muß es der siegenden und gekräftigten Regierung in noch kürzerer Frist und mit geringem Mitteln gelingen, die k. k. Anarchie zu bezwingen. Das Volk von Wien hat während der Anarchie kein Blut vergossen, aber während der k. k. Anarchie flössen schon Ströme Blutes. Nicht die Straflosigkeit der Verbrecher wird bevorwortet, sondern die Errichtung eines ordentlichen Tribunals; nicht die peinliche Theresianische Halsgerichtsordnung und die Proclamationen von Windischgrätz und Haynau sollen dein Urtheil zu Grunde liegen in einem constitutionellen Staate, sondern das Civilgesetz in sei¬ ner civilen Auslegung. Die Minister steuern dieser k. k. Anarchie nicht; sie können nicht, oder sie wollen nicht. Im ersteren Falle würden Charakter und Ehre fordern, ihrer Stelle zu entsagen; daher muß man glauben, sie billigen diese Proceduren. Wird ^ dem Justizminister gelingen, die Verantwortung für den im Banat vorgekom¬ menen k. k. Exceß zu führen? Eine Frau Maderspach soll Bem tractirt haben, und bei einem Volksfest stopfte sie eine Figur aus, welche, als letzter Habsburger, begraben wurde. Nach ungarischen Landesgesetzen ist die Frau, so wie die Theil- nehmer dieses des Königs Majestät verunglimpfenSen Actes dem Tode verfallen, und Niemand dürfte klagen, wenn der Verbrecherin der Kops vor die Füße gelegt Gnnzbvte». lo. i84g. 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/157>, abgerufen am 15.01.2025.