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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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eines Schacherjudcn in anderem als komischem Lichte ansehen soll, weil er den
tragischen Stempel der Ahasverus-Figur in der sentimentalen Einbildung unserer
jungen Poeten an sich trägt, das ist denn doch selbst von der christlichen Liebe zu viel
verlangt. Für diese Sentimentalität wird schon der Ausdruck Schacherjude Anstoß
geben; ich hätte sagen sollen: ein der mosaischen Konfession angehönger Handels¬
mann, und auch das kaum! Was nur die Ebenbürtigkeit der socialen Verhält¬
nisse betrifft, so ist das nur Gegenstand für's Lustspiel. Wenn ein herunterge¬
kommener Baron durch die Heirath mit einer reichen Jüdin seinen Ahnensaal re-
stauriren will, aber vorher von ihr verlangt, sie solle sich taufen lassen, und ihre
Vetter Jsaschar und Naphtali, so lange sie ihr Geschäft fortsetzen, sollen sich dem
Rayon des Schlosses in einem Umfang von drei Meilen nicht nähern -- nun,
die Gesetzgebung bat die Civilehe erlaubt, die Verkehrtheit der Sitte, wenn eine
darin ist, gehört in die Komödie. Wenn ein reicher Banquier seine Tochter einem
Assessor nicht, sondern nur einem Geheimenrath geben will, so ist das für den
verliebten Assessor zwar unbequem, aber ein Proletarierdrama daraus zu macheu,
ist eben so lächerlich, als zur Bekehrung jenes Barons die Geister der alten Jn-
quisitionsgerichte herauf zu beschwören. Geh zur Ruhe, alter Ahasver! zu stoff¬
loser Rührung fehlt es uns an Zeit.

Aber selbst zur wirkliche" Darstellung des Judenthums ist unsere Poesie zu
gutmüthig. Wer würde es heute wagen, einen Shylock zu malen! Wenn man
die Juden unserer Poesie betrachtet, so wird es absolut unbegreiflich, wie jene
Verachtung des Stammes in der öffentlichen Meinung so allgemein werden konnte.
Lauter Heroen, lauter leidende Engel! Das blöde Vieh müßte sich bei ihrem
Anblick bekehren! Die Juden unsers Dichters sind lyrische Reminiscenzen aus
den Psalmen und Propheten -- wie der christliche Pfarrer aus dem neuen Testa¬
ment, der Chef der jüdischen Auswanderungscoterie eine Reminiscenz der Berliner
Reformgemeinde. Aber diese bloße Lyrik hat keine Kraft, in das dramatische
Räderwerk energisch einzugreifen. Daher läßt sich unser Drama in eine Reihe
Tableaux mit obligaten Psalmen zerlegen, l) Christlicher Sonntag mit Musik,
2) die verfolgte Jüdin, zürnend um sich blickend, das Kreuz, das sie schirmen
will, zurückweisend, 3) Waldscene mit Mondschein: die geflüchtete jüdische Familie
um den blinden Patriarchen, 4) Donner und Blitz, die Jüdin als verstoßene
Geliebte, 5) Kirchhof, mit Orgelbegleitung, der Fluch der Jüdin, 6) großes
Lebensbild mit bengalischer Flamme und leisen Harfenklängen, die trauernden Ju¬
den am Meeresstrand -- man wird überrascht, als nach langem Schweigen die
Personen anfangen zu sprechen, 7) idyllische Schlußscene, gemüthliches Stillleben.

Gerade aus diesem Grunde ist für eine Schauspielerin von edlem Aeußern,
kräftiger Stimme und geschickter Deklamation die Deborah eine der dankbarsten
Rollen, die ich kenne. Sie gibt zu malerischen Attitüden, zu frappanten Gruppen
Veranlassung. Aber die dramatische Kunst wird nicht gefördert.


eines Schacherjudcn in anderem als komischem Lichte ansehen soll, weil er den
tragischen Stempel der Ahasverus-Figur in der sentimentalen Einbildung unserer
jungen Poeten an sich trägt, das ist denn doch selbst von der christlichen Liebe zu viel
verlangt. Für diese Sentimentalität wird schon der Ausdruck Schacherjude Anstoß
geben; ich hätte sagen sollen: ein der mosaischen Konfession angehönger Handels¬
mann, und auch das kaum! Was nur die Ebenbürtigkeit der socialen Verhält¬
nisse betrifft, so ist das nur Gegenstand für's Lustspiel. Wenn ein herunterge¬
kommener Baron durch die Heirath mit einer reichen Jüdin seinen Ahnensaal re-
stauriren will, aber vorher von ihr verlangt, sie solle sich taufen lassen, und ihre
Vetter Jsaschar und Naphtali, so lange sie ihr Geschäft fortsetzen, sollen sich dem
Rayon des Schlosses in einem Umfang von drei Meilen nicht nähern — nun,
die Gesetzgebung bat die Civilehe erlaubt, die Verkehrtheit der Sitte, wenn eine
darin ist, gehört in die Komödie. Wenn ein reicher Banquier seine Tochter einem
Assessor nicht, sondern nur einem Geheimenrath geben will, so ist das für den
verliebten Assessor zwar unbequem, aber ein Proletarierdrama daraus zu macheu,
ist eben so lächerlich, als zur Bekehrung jenes Barons die Geister der alten Jn-
quisitionsgerichte herauf zu beschwören. Geh zur Ruhe, alter Ahasver! zu stoff¬
loser Rührung fehlt es uns an Zeit.

Aber selbst zur wirkliche» Darstellung des Judenthums ist unsere Poesie zu
gutmüthig. Wer würde es heute wagen, einen Shylock zu malen! Wenn man
die Juden unserer Poesie betrachtet, so wird es absolut unbegreiflich, wie jene
Verachtung des Stammes in der öffentlichen Meinung so allgemein werden konnte.
Lauter Heroen, lauter leidende Engel! Das blöde Vieh müßte sich bei ihrem
Anblick bekehren! Die Juden unsers Dichters sind lyrische Reminiscenzen aus
den Psalmen und Propheten — wie der christliche Pfarrer aus dem neuen Testa¬
ment, der Chef der jüdischen Auswanderungscoterie eine Reminiscenz der Berliner
Reformgemeinde. Aber diese bloße Lyrik hat keine Kraft, in das dramatische
Räderwerk energisch einzugreifen. Daher läßt sich unser Drama in eine Reihe
Tableaux mit obligaten Psalmen zerlegen, l) Christlicher Sonntag mit Musik,
2) die verfolgte Jüdin, zürnend um sich blickend, das Kreuz, das sie schirmen
will, zurückweisend, 3) Waldscene mit Mondschein: die geflüchtete jüdische Familie
um den blinden Patriarchen, 4) Donner und Blitz, die Jüdin als verstoßene
Geliebte, 5) Kirchhof, mit Orgelbegleitung, der Fluch der Jüdin, 6) großes
Lebensbild mit bengalischer Flamme und leisen Harfenklängen, die trauernden Ju¬
den am Meeresstrand — man wird überrascht, als nach langem Schweigen die
Personen anfangen zu sprechen, 7) idyllische Schlußscene, gemüthliches Stillleben.

Gerade aus diesem Grunde ist für eine Schauspielerin von edlem Aeußern,
kräftiger Stimme und geschickter Deklamation die Deborah eine der dankbarsten
Rollen, die ich kenne. Sie gibt zu malerischen Attitüden, zu frappanten Gruppen
Veranlassung. Aber die dramatische Kunst wird nicht gefördert.


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[0147] eines Schacherjudcn in anderem als komischem Lichte ansehen soll, weil er den tragischen Stempel der Ahasverus-Figur in der sentimentalen Einbildung unserer jungen Poeten an sich trägt, das ist denn doch selbst von der christlichen Liebe zu viel verlangt. Für diese Sentimentalität wird schon der Ausdruck Schacherjude Anstoß geben; ich hätte sagen sollen: ein der mosaischen Konfession angehönger Handels¬ mann, und auch das kaum! Was nur die Ebenbürtigkeit der socialen Verhält¬ nisse betrifft, so ist das nur Gegenstand für's Lustspiel. Wenn ein herunterge¬ kommener Baron durch die Heirath mit einer reichen Jüdin seinen Ahnensaal re- stauriren will, aber vorher von ihr verlangt, sie solle sich taufen lassen, und ihre Vetter Jsaschar und Naphtali, so lange sie ihr Geschäft fortsetzen, sollen sich dem Rayon des Schlosses in einem Umfang von drei Meilen nicht nähern — nun, die Gesetzgebung bat die Civilehe erlaubt, die Verkehrtheit der Sitte, wenn eine darin ist, gehört in die Komödie. Wenn ein reicher Banquier seine Tochter einem Assessor nicht, sondern nur einem Geheimenrath geben will, so ist das für den verliebten Assessor zwar unbequem, aber ein Proletarierdrama daraus zu macheu, ist eben so lächerlich, als zur Bekehrung jenes Barons die Geister der alten Jn- quisitionsgerichte herauf zu beschwören. Geh zur Ruhe, alter Ahasver! zu stoff¬ loser Rührung fehlt es uns an Zeit. Aber selbst zur wirkliche» Darstellung des Judenthums ist unsere Poesie zu gutmüthig. Wer würde es heute wagen, einen Shylock zu malen! Wenn man die Juden unserer Poesie betrachtet, so wird es absolut unbegreiflich, wie jene Verachtung des Stammes in der öffentlichen Meinung so allgemein werden konnte. Lauter Heroen, lauter leidende Engel! Das blöde Vieh müßte sich bei ihrem Anblick bekehren! Die Juden unsers Dichters sind lyrische Reminiscenzen aus den Psalmen und Propheten — wie der christliche Pfarrer aus dem neuen Testa¬ ment, der Chef der jüdischen Auswanderungscoterie eine Reminiscenz der Berliner Reformgemeinde. Aber diese bloße Lyrik hat keine Kraft, in das dramatische Räderwerk energisch einzugreifen. Daher läßt sich unser Drama in eine Reihe Tableaux mit obligaten Psalmen zerlegen, l) Christlicher Sonntag mit Musik, 2) die verfolgte Jüdin, zürnend um sich blickend, das Kreuz, das sie schirmen will, zurückweisend, 3) Waldscene mit Mondschein: die geflüchtete jüdische Familie um den blinden Patriarchen, 4) Donner und Blitz, die Jüdin als verstoßene Geliebte, 5) Kirchhof, mit Orgelbegleitung, der Fluch der Jüdin, 6) großes Lebensbild mit bengalischer Flamme und leisen Harfenklängen, die trauernden Ju¬ den am Meeresstrand — man wird überrascht, als nach langem Schweigen die Personen anfangen zu sprechen, 7) idyllische Schlußscene, gemüthliches Stillleben. Gerade aus diesem Grunde ist für eine Schauspielerin von edlem Aeußern, kräftiger Stimme und geschickter Deklamation die Deborah eine der dankbarsten Rollen, die ich kenne. Sie gibt zu malerischen Attitüden, zu frappanten Gruppen Veranlassung. Aber die dramatische Kunst wird nicht gefördert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/147>, abgerufen am 15.01.2025.