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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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nach Amerika zu entfliehen, und zu diesem Zweck die beiderseitigen Anverwandten
im Stich zu lassen.

Joseph erklärt sich gegen seine Familie, und sein Herz geräth durch die Er¬
schütterung, die seine Absicht hervorbringt, in unauflöslichen Conflict mit sich
selbst. Er weiß nicht mehr recht, ob "r auch die Isidin wirklich liebt, oder nicht
vielmehr eine Cousine, ein frommes, braves und in religiöser Beziehung sehr
aufgeklärtes Mädchen. Er möchte bleiben, aber er hat der Jüdin sein Wort
gegeben. "Das Wort war ein Bruch gegen den christlichen Eid, gilt also
nichts. Außerdem hat es die größten Nachtheile für das Familienleben,
wenn die Eltern verschiedener Confession sind, und die Kinder nicht wissen, zu
welcher sie sich eigentlich halten sollen." Was also thun? Joseph läßt sich bere¬
den, seiner Geliebten -- eine Summe Geldes anbieten zu lassen, um sie zur
schleunigen Abreise zu bewegen, halb in der Hoffnung, sie werde es ausschlagen,
halb in der Hoffnung, sie werde es annehmen, und er alsdann seiner lästigen
Verbindlichkeiten gegen eine so niedrig denkende Person ledig sein. Deborah denkt
natürlich viel zu edel, um auf dergleichen Anträge eingehn zu können, aber
durch eine eigenthümliche Verkettung der Umstände kommt es so, daß Joseph es
sich wenigstens weiß machen kann, sie sei daraus eingegangen. Nun ist er gedeckt,
er weist sie mit der nöthigen Verachtung von sich nud wird seine Cousine heirathen.

Die Heirath geht vor sich, aber Deborah benutzt die Gelegenheit, ihm zu
fluchen. Er fällt in Ohnmacht.

Nach fünf Jahren kehrt die Jüdin zurück, als Bettlerin. Sie hoffte, ihr
Fluch werde in Erfüllung gegangen sein und Joseph mit seiner Familie im größten
Elend leben. Im Gegentheil. Sie leben ganz glücklich, und haben nur hin und
wieder eine gewisse Neue darüber, daß sie mit der armen Deborah so übel um¬
gegangen sind. Sie haben daher ihr Kind Deborah getauft, nud suchen überall
Juden ans, um ihnen Wein, Wurst und Käse zu spenden. Das Judenthum ist
ein Grund spezieller Berücksichtigung geworden. Bis zu welchem Grade in diesen
fünf Jahren die religiöse Aufklärung gestiegen ist, davon noch später ein Zug.
Alle diese Umstände veranlassen Deborah, ihren Haß aufzugeben, und mit Hinter¬
lassung ihres Segens mit einer jüdischen Kolonie nach Amerika auszuwandern. ^-

Was wird eigentlich durch dieses Stück bewiesen? daß mau ein guter Fami¬
lienvater, guter Wirthschafter und überhaupt guter Mensch sein kann, wenn man
sich anch in einem tragischen Conflict nicht zu benehmen versteht? I'init no Kinn
pour- uno omvlettv! Das Drama soll uus doch einen sittlich-ästhetischen Eindruck
hinterlassen, aber diese laxe Moral, so anwendbar sie sür das Leben ist und für
den Roman, gehört uicht in die Poesie. Die Frage ist immer die, wie hat Jo¬
seph den einzigen Conflict seines Lebens gelöst? Und ich muß antworten, wie ein
Lump! Man muß das bestimmt aussprechen, da wir so lange in unserm Leben
im Großen und Ganzen unfähig sein werden, sittliche Conflicte zu lösen, so


nach Amerika zu entfliehen, und zu diesem Zweck die beiderseitigen Anverwandten
im Stich zu lassen.

Joseph erklärt sich gegen seine Familie, und sein Herz geräth durch die Er¬
schütterung, die seine Absicht hervorbringt, in unauflöslichen Conflict mit sich
selbst. Er weiß nicht mehr recht, ob «r auch die Isidin wirklich liebt, oder nicht
vielmehr eine Cousine, ein frommes, braves und in religiöser Beziehung sehr
aufgeklärtes Mädchen. Er möchte bleiben, aber er hat der Jüdin sein Wort
gegeben. „Das Wort war ein Bruch gegen den christlichen Eid, gilt also
nichts. Außerdem hat es die größten Nachtheile für das Familienleben,
wenn die Eltern verschiedener Confession sind, und die Kinder nicht wissen, zu
welcher sie sich eigentlich halten sollen." Was also thun? Joseph läßt sich bere¬
den, seiner Geliebten — eine Summe Geldes anbieten zu lassen, um sie zur
schleunigen Abreise zu bewegen, halb in der Hoffnung, sie werde es ausschlagen,
halb in der Hoffnung, sie werde es annehmen, und er alsdann seiner lästigen
Verbindlichkeiten gegen eine so niedrig denkende Person ledig sein. Deborah denkt
natürlich viel zu edel, um auf dergleichen Anträge eingehn zu können, aber
durch eine eigenthümliche Verkettung der Umstände kommt es so, daß Joseph es
sich wenigstens weiß machen kann, sie sei daraus eingegangen. Nun ist er gedeckt,
er weist sie mit der nöthigen Verachtung von sich nud wird seine Cousine heirathen.

Die Heirath geht vor sich, aber Deborah benutzt die Gelegenheit, ihm zu
fluchen. Er fällt in Ohnmacht.

Nach fünf Jahren kehrt die Jüdin zurück, als Bettlerin. Sie hoffte, ihr
Fluch werde in Erfüllung gegangen sein und Joseph mit seiner Familie im größten
Elend leben. Im Gegentheil. Sie leben ganz glücklich, und haben nur hin und
wieder eine gewisse Neue darüber, daß sie mit der armen Deborah so übel um¬
gegangen sind. Sie haben daher ihr Kind Deborah getauft, nud suchen überall
Juden ans, um ihnen Wein, Wurst und Käse zu spenden. Das Judenthum ist
ein Grund spezieller Berücksichtigung geworden. Bis zu welchem Grade in diesen
fünf Jahren die religiöse Aufklärung gestiegen ist, davon noch später ein Zug.
Alle diese Umstände veranlassen Deborah, ihren Haß aufzugeben, und mit Hinter¬
lassung ihres Segens mit einer jüdischen Kolonie nach Amerika auszuwandern. ^-

Was wird eigentlich durch dieses Stück bewiesen? daß mau ein guter Fami¬
lienvater, guter Wirthschafter und überhaupt guter Mensch sein kann, wenn man
sich anch in einem tragischen Conflict nicht zu benehmen versteht? I'init no Kinn
pour- uno omvlettv! Das Drama soll uus doch einen sittlich-ästhetischen Eindruck
hinterlassen, aber diese laxe Moral, so anwendbar sie sür das Leben ist und für
den Roman, gehört uicht in die Poesie. Die Frage ist immer die, wie hat Jo¬
seph den einzigen Conflict seines Lebens gelöst? Und ich muß antworten, wie ein
Lump! Man muß das bestimmt aussprechen, da wir so lange in unserm Leben
im Großen und Ganzen unfähig sein werden, sittliche Conflicte zu lösen, so


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[0144] nach Amerika zu entfliehen, und zu diesem Zweck die beiderseitigen Anverwandten im Stich zu lassen. Joseph erklärt sich gegen seine Familie, und sein Herz geräth durch die Er¬ schütterung, die seine Absicht hervorbringt, in unauflöslichen Conflict mit sich selbst. Er weiß nicht mehr recht, ob «r auch die Isidin wirklich liebt, oder nicht vielmehr eine Cousine, ein frommes, braves und in religiöser Beziehung sehr aufgeklärtes Mädchen. Er möchte bleiben, aber er hat der Jüdin sein Wort gegeben. „Das Wort war ein Bruch gegen den christlichen Eid, gilt also nichts. Außerdem hat es die größten Nachtheile für das Familienleben, wenn die Eltern verschiedener Confession sind, und die Kinder nicht wissen, zu welcher sie sich eigentlich halten sollen." Was also thun? Joseph läßt sich bere¬ den, seiner Geliebten — eine Summe Geldes anbieten zu lassen, um sie zur schleunigen Abreise zu bewegen, halb in der Hoffnung, sie werde es ausschlagen, halb in der Hoffnung, sie werde es annehmen, und er alsdann seiner lästigen Verbindlichkeiten gegen eine so niedrig denkende Person ledig sein. Deborah denkt natürlich viel zu edel, um auf dergleichen Anträge eingehn zu können, aber durch eine eigenthümliche Verkettung der Umstände kommt es so, daß Joseph es sich wenigstens weiß machen kann, sie sei daraus eingegangen. Nun ist er gedeckt, er weist sie mit der nöthigen Verachtung von sich nud wird seine Cousine heirathen. Die Heirath geht vor sich, aber Deborah benutzt die Gelegenheit, ihm zu fluchen. Er fällt in Ohnmacht. Nach fünf Jahren kehrt die Jüdin zurück, als Bettlerin. Sie hoffte, ihr Fluch werde in Erfüllung gegangen sein und Joseph mit seiner Familie im größten Elend leben. Im Gegentheil. Sie leben ganz glücklich, und haben nur hin und wieder eine gewisse Neue darüber, daß sie mit der armen Deborah so übel um¬ gegangen sind. Sie haben daher ihr Kind Deborah getauft, nud suchen überall Juden ans, um ihnen Wein, Wurst und Käse zu spenden. Das Judenthum ist ein Grund spezieller Berücksichtigung geworden. Bis zu welchem Grade in diesen fünf Jahren die religiöse Aufklärung gestiegen ist, davon noch später ein Zug. Alle diese Umstände veranlassen Deborah, ihren Haß aufzugeben, und mit Hinter¬ lassung ihres Segens mit einer jüdischen Kolonie nach Amerika auszuwandern. ^- Was wird eigentlich durch dieses Stück bewiesen? daß mau ein guter Fami¬ lienvater, guter Wirthschafter und überhaupt guter Mensch sein kann, wenn man sich anch in einem tragischen Conflict nicht zu benehmen versteht? I'init no Kinn pour- uno omvlettv! Das Drama soll uus doch einen sittlich-ästhetischen Eindruck hinterlassen, aber diese laxe Moral, so anwendbar sie sür das Leben ist und für den Roman, gehört uicht in die Poesie. Die Frage ist immer die, wie hat Jo¬ seph den einzigen Conflict seines Lebens gelöst? Und ich muß antworten, wie ein Lump! Man muß das bestimmt aussprechen, da wir so lange in unserm Leben im Großen und Ganzen unfähig sein werden, sittliche Conflicte zu lösen, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/144>, abgerufen am 15.01.2025.