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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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kaiserlichen Adjutantur, bei den Garden und dem Geniecorps. Sie Pflegen aufs
Schnellste zu den höchsten militärischen Würden emporzusteigen. Ein 35jähriger
General, wenn er ein Kurländer ist, ist in Nußland keine Merkwürdigkeit. Leute
dieser Art sind Nesselrode, sah, Rüdiger, Dehn, Galliam, Rosen, Geißmar,
Pachter, Sacken, Richter.

Die Bewaffnung des russischen Heeres kann nicht getadelt werden. Die
Waffenstücke der Infanterie sind sehr gut gearbeitet, schwer und dauerhaft. Die
Hauptwaffe der Kavallerie ist die Pike. Kürassiere und Husaren gibt es wenige,
Uhlanen desto mehr. Sie machen fast drei Viertheile der Kavallerie deren Pferde
durchgängig vortrefflich sind, aus. Von den Kosaken, welche ein irreguläres Korps
bilden und sich selbst equipiren müssen, läßt sich gleiches nicht sagen. Ihre
Waffen sind so roh und schlecht, wie ihre katzenartigen Pferde. Sie sind die
Leute des Stehlens und der Flucht. Die Todten der Schlachtfelder zu plündern,
ist ihr Lieblingsgeschäft und mehr thun sie nicht gern. Ihr kriegerisches Gewicht
liegt eigentlich nur in der falschen Vorstellung, welche sich der Feind von ihnen
macht. In dem polnischen Jnsurrectionskriege ist nicht ein einziges Mal der Fall
vorgekommen, daß Kosaken einen Sieg errungen hätten, dagegen wurden oftmals
ganze Kvsakenregimenter von wenigen Sensenträgeru zersprengt und in die Flucht
getrieben. Als der polnische General Dwernicki hinter Pnlawy mit 3000 uncin-
exercirten Sensenleuten ohne Artillerie neun russische Kavallerieregimenter warf und
in die Flucht trieb, waren die drei Kosakenregimenter die ersten, welche den Platz
verließen. Vor Kanonen halten sie niemals Stand, da bewahren sie gewissenhaft
die Ehre ihres Sprichworts: "unsere Piken sind schrecklich, aber Kanonen lassen
sich nicht erstechen."

Die am besten ausgerüstete Truppengattung des russischen Heeres ist die Ar¬
tillerie, Die Geschütze sind vortrefflich gearbeitet und mit alleu Vortheilen ver¬
sehen, welche das westliche Ausland erfunden hat. Allein sie werden ungeschickt
bedient, da das Exercitium ein sehr uucultivirtes, schwerfälliges ist und der rus¬
sische Soldat kein natürliches Geschick besitzt, die Mängel desselben zu beseitigen.
Daher kam es, daß Dibicz bei Grochow mit 323 Kanonen nichts gegen die 63
Kanonen der Polen auszurichten vermochte. Die Regierung verwendet große
Summen vorzugsweise auf die Artillerie und hat die Zahl der Geschütze zu einer
ungeheuere" Höhe gebracht. Rußland kann mit Leichtigkeit 400 Geschütze auf
einen Kampfplatz außerhalb seiner Grenzen und sechs- bis siebenhundert auf eiuen
innerhalb seiner Grenzen führen. Die Dienstpflicht dehnt sich im Allgemeinen auf l5,in
Manchen Fällen sogar auf 25 Jahre aus. Selbst dem stärksten Geiste würde aller
Lebensmuth bei dem Bewußtsein, fünfzehn oder fünfundzwanzig Jahre lang den
Druck einer russischen Kriegsfahne ertragen zu müssen, verloren gehen. Der rus¬
sische Rekrut steht nichts mehr vor sich als ein ewiges Elend, denn nachdem er
das Soloateneleud so lange ertragen, ist er zu nichts weiter tüchtig als zum Bet-


kaiserlichen Adjutantur, bei den Garden und dem Geniecorps. Sie Pflegen aufs
Schnellste zu den höchsten militärischen Würden emporzusteigen. Ein 35jähriger
General, wenn er ein Kurländer ist, ist in Nußland keine Merkwürdigkeit. Leute
dieser Art sind Nesselrode, sah, Rüdiger, Dehn, Galliam, Rosen, Geißmar,
Pachter, Sacken, Richter.

Die Bewaffnung des russischen Heeres kann nicht getadelt werden. Die
Waffenstücke der Infanterie sind sehr gut gearbeitet, schwer und dauerhaft. Die
Hauptwaffe der Kavallerie ist die Pike. Kürassiere und Husaren gibt es wenige,
Uhlanen desto mehr. Sie machen fast drei Viertheile der Kavallerie deren Pferde
durchgängig vortrefflich sind, aus. Von den Kosaken, welche ein irreguläres Korps
bilden und sich selbst equipiren müssen, läßt sich gleiches nicht sagen. Ihre
Waffen sind so roh und schlecht, wie ihre katzenartigen Pferde. Sie sind die
Leute des Stehlens und der Flucht. Die Todten der Schlachtfelder zu plündern,
ist ihr Lieblingsgeschäft und mehr thun sie nicht gern. Ihr kriegerisches Gewicht
liegt eigentlich nur in der falschen Vorstellung, welche sich der Feind von ihnen
macht. In dem polnischen Jnsurrectionskriege ist nicht ein einziges Mal der Fall
vorgekommen, daß Kosaken einen Sieg errungen hätten, dagegen wurden oftmals
ganze Kvsakenregimenter von wenigen Sensenträgeru zersprengt und in die Flucht
getrieben. Als der polnische General Dwernicki hinter Pnlawy mit 3000 uncin-
exercirten Sensenleuten ohne Artillerie neun russische Kavallerieregimenter warf und
in die Flucht trieb, waren die drei Kosakenregimenter die ersten, welche den Platz
verließen. Vor Kanonen halten sie niemals Stand, da bewahren sie gewissenhaft
die Ehre ihres Sprichworts: „unsere Piken sind schrecklich, aber Kanonen lassen
sich nicht erstechen."

Die am besten ausgerüstete Truppengattung des russischen Heeres ist die Ar¬
tillerie, Die Geschütze sind vortrefflich gearbeitet und mit alleu Vortheilen ver¬
sehen, welche das westliche Ausland erfunden hat. Allein sie werden ungeschickt
bedient, da das Exercitium ein sehr uucultivirtes, schwerfälliges ist und der rus¬
sische Soldat kein natürliches Geschick besitzt, die Mängel desselben zu beseitigen.
Daher kam es, daß Dibicz bei Grochow mit 323 Kanonen nichts gegen die 63
Kanonen der Polen auszurichten vermochte. Die Regierung verwendet große
Summen vorzugsweise auf die Artillerie und hat die Zahl der Geschütze zu einer
ungeheuere» Höhe gebracht. Rußland kann mit Leichtigkeit 400 Geschütze auf
einen Kampfplatz außerhalb seiner Grenzen und sechs- bis siebenhundert auf eiuen
innerhalb seiner Grenzen führen. Die Dienstpflicht dehnt sich im Allgemeinen auf l5,in
Manchen Fällen sogar auf 25 Jahre aus. Selbst dem stärksten Geiste würde aller
Lebensmuth bei dem Bewußtsein, fünfzehn oder fünfundzwanzig Jahre lang den
Druck einer russischen Kriegsfahne ertragen zu müssen, verloren gehen. Der rus¬
sische Rekrut steht nichts mehr vor sich als ein ewiges Elend, denn nachdem er
das Soloateneleud so lange ertragen, ist er zu nichts weiter tüchtig als zum Bet-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/137>, abgerufen am 15.01.2025.