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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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nehmen, sie bei Seite legen und ihm erst, nachdem er seine Prügel erhalten hat,
wieder geben. Die Prügelfähigkeit ist übrigens nicht auf die Klasse der gemeinen
Soldaten beschränkt, sie dehnt sich auch ans die der Gefreiten, Unteroffiziere und
Feldwebel, überhaupt auf alle Personen des Heeres aus, welche nicht von Adel
sind. Selbst der Adel wird in manchen Fällen nicht respectirt.

Auch die Strafen der Offiziere entspringen größten Theils der Willkür des
Vorgesetzten, doch sind in Betreff des Offiziercorps Verordnungen für eine Art
Strafgericht und Vorschriften eines gewissen Strafmaßes vorhanden. Allein sie
dienen nicht zur Richtschnur. Die Strafen sind hart und zum Theil nicht minder
entehrend. Die Hauptrolle spielt die Degradation, durch welche dem Offizier so¬
gar das Schicksal zu Theil werden kann, prügelfähig zu sein. Es kommt häufig
vor, daß Offiziere bis in die Klasse der gemeinen Soldaten zurückversetzt werden,
und ist ihnen keineswegs erlaubt, um der Schande einer solchen Strafe zu ent¬
gehen , den Abschied zu verlangen. In Rußland erleiden sogar Generale eine
solche Degradation, und man darf nicht glauben, daß Fälle dieser Art selten sind.
Ich habe einen Freiherrn v. B., gebürtig aus den russischen Ostseeprovinzen, kennen
gelernt, welcher drei Male, ein Mal vom Major, das zweite Mal vom Capitain
und das dritte Mal durch den Fürsten Paskiewicz abermals vom Capitain zum
gemeinen Soldaten degradirt worden war. Als er die dritte Entehrung erlitt,
sagte er: diese Degradation ärgert mich, denn mein Vergehen war kaum beach-
tenswerth; allein ich schreibe jetzt ein Bändchen Gedichte, werde diese drucken lassen
und dem Paskiewicz dediciren, so, daß ich dann hoffen kann, bald wieder Ma-
or zu sein."

So häufig nun bei dem russischen Heere die Strafen sind, so häufig sind die
Belohnungen. Diese erstrecken sich auch bis auf die untersten Klassen, allein für
diese bestehen sie nur in leerem Ordenstaud. Dem Obersten, der ohnehin schon
Reichthümer in Ueberfluß besitzt, werden confiscirte Güter geschenkt, welche jähr¬
lich Tausende eindringen; der verhungerte Soldat dagegen bekommt eine kupferne
Mütze oder Stahlschnalle, welche ihm Niemand gegen eine Semmel ablauschen
möchte.

Ju schneidendem Contraste mit dem jammervollen Zustande der gemeinen Sol¬
daten stehen die Hänser, in denen sie wohnen. Die Kasernen sind wahrhafte Paläste.
Sie werden mit Luft geheizt, es befinde" sich in ihnen Apotheken und vieles ähnliche.

Die Kasernen, welche außerhalb der Städte erbaut werdeu, gleichen allerdings
denen in deu Städten an guter Einrichtung nicht. Sie bestehen gewöhnlich aus
zwei geraden Reihen isolirt stehender kleiner Häuser und bilden eine Straße, in
welcher sich von Strecke zu Strecke ein Ziehbrunnen und ungeheurer Waffertrog
befinden, welcher letztere die Stelle der Waschwanne vertreten muß. Es ist kein
uninteressantes Erlebniß, an einem solchen Troge eine ganze Compagnie Soldaten
unter dem Befehle eines Lieutenants ihre Hemden waschen zu sehen. Dies ge-


nehmen, sie bei Seite legen und ihm erst, nachdem er seine Prügel erhalten hat,
wieder geben. Die Prügelfähigkeit ist übrigens nicht auf die Klasse der gemeinen
Soldaten beschränkt, sie dehnt sich auch ans die der Gefreiten, Unteroffiziere und
Feldwebel, überhaupt auf alle Personen des Heeres aus, welche nicht von Adel
sind. Selbst der Adel wird in manchen Fällen nicht respectirt.

Auch die Strafen der Offiziere entspringen größten Theils der Willkür des
Vorgesetzten, doch sind in Betreff des Offiziercorps Verordnungen für eine Art
Strafgericht und Vorschriften eines gewissen Strafmaßes vorhanden. Allein sie
dienen nicht zur Richtschnur. Die Strafen sind hart und zum Theil nicht minder
entehrend. Die Hauptrolle spielt die Degradation, durch welche dem Offizier so¬
gar das Schicksal zu Theil werden kann, prügelfähig zu sein. Es kommt häufig
vor, daß Offiziere bis in die Klasse der gemeinen Soldaten zurückversetzt werden,
und ist ihnen keineswegs erlaubt, um der Schande einer solchen Strafe zu ent¬
gehen , den Abschied zu verlangen. In Rußland erleiden sogar Generale eine
solche Degradation, und man darf nicht glauben, daß Fälle dieser Art selten sind.
Ich habe einen Freiherrn v. B., gebürtig aus den russischen Ostseeprovinzen, kennen
gelernt, welcher drei Male, ein Mal vom Major, das zweite Mal vom Capitain
und das dritte Mal durch den Fürsten Paskiewicz abermals vom Capitain zum
gemeinen Soldaten degradirt worden war. Als er die dritte Entehrung erlitt,
sagte er: diese Degradation ärgert mich, denn mein Vergehen war kaum beach-
tenswerth; allein ich schreibe jetzt ein Bändchen Gedichte, werde diese drucken lassen
und dem Paskiewicz dediciren, so, daß ich dann hoffen kann, bald wieder Ma-
or zu sein."

So häufig nun bei dem russischen Heere die Strafen sind, so häufig sind die
Belohnungen. Diese erstrecken sich auch bis auf die untersten Klassen, allein für
diese bestehen sie nur in leerem Ordenstaud. Dem Obersten, der ohnehin schon
Reichthümer in Ueberfluß besitzt, werden confiscirte Güter geschenkt, welche jähr¬
lich Tausende eindringen; der verhungerte Soldat dagegen bekommt eine kupferne
Mütze oder Stahlschnalle, welche ihm Niemand gegen eine Semmel ablauschen
möchte.

Ju schneidendem Contraste mit dem jammervollen Zustande der gemeinen Sol¬
daten stehen die Hänser, in denen sie wohnen. Die Kasernen sind wahrhafte Paläste.
Sie werden mit Luft geheizt, es befinde» sich in ihnen Apotheken und vieles ähnliche.

Die Kasernen, welche außerhalb der Städte erbaut werdeu, gleichen allerdings
denen in deu Städten an guter Einrichtung nicht. Sie bestehen gewöhnlich aus
zwei geraden Reihen isolirt stehender kleiner Häuser und bilden eine Straße, in
welcher sich von Strecke zu Strecke ein Ziehbrunnen und ungeheurer Waffertrog
befinden, welcher letztere die Stelle der Waschwanne vertreten muß. Es ist kein
uninteressantes Erlebniß, an einem solchen Troge eine ganze Compagnie Soldaten
unter dem Befehle eines Lieutenants ihre Hemden waschen zu sehen. Dies ge-


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[0134] nehmen, sie bei Seite legen und ihm erst, nachdem er seine Prügel erhalten hat, wieder geben. Die Prügelfähigkeit ist übrigens nicht auf die Klasse der gemeinen Soldaten beschränkt, sie dehnt sich auch ans die der Gefreiten, Unteroffiziere und Feldwebel, überhaupt auf alle Personen des Heeres aus, welche nicht von Adel sind. Selbst der Adel wird in manchen Fällen nicht respectirt. Auch die Strafen der Offiziere entspringen größten Theils der Willkür des Vorgesetzten, doch sind in Betreff des Offiziercorps Verordnungen für eine Art Strafgericht und Vorschriften eines gewissen Strafmaßes vorhanden. Allein sie dienen nicht zur Richtschnur. Die Strafen sind hart und zum Theil nicht minder entehrend. Die Hauptrolle spielt die Degradation, durch welche dem Offizier so¬ gar das Schicksal zu Theil werden kann, prügelfähig zu sein. Es kommt häufig vor, daß Offiziere bis in die Klasse der gemeinen Soldaten zurückversetzt werden, und ist ihnen keineswegs erlaubt, um der Schande einer solchen Strafe zu ent¬ gehen , den Abschied zu verlangen. In Rußland erleiden sogar Generale eine solche Degradation, und man darf nicht glauben, daß Fälle dieser Art selten sind. Ich habe einen Freiherrn v. B., gebürtig aus den russischen Ostseeprovinzen, kennen gelernt, welcher drei Male, ein Mal vom Major, das zweite Mal vom Capitain und das dritte Mal durch den Fürsten Paskiewicz abermals vom Capitain zum gemeinen Soldaten degradirt worden war. Als er die dritte Entehrung erlitt, sagte er: diese Degradation ärgert mich, denn mein Vergehen war kaum beach- tenswerth; allein ich schreibe jetzt ein Bändchen Gedichte, werde diese drucken lassen und dem Paskiewicz dediciren, so, daß ich dann hoffen kann, bald wieder Ma- or zu sein." So häufig nun bei dem russischen Heere die Strafen sind, so häufig sind die Belohnungen. Diese erstrecken sich auch bis auf die untersten Klassen, allein für diese bestehen sie nur in leerem Ordenstaud. Dem Obersten, der ohnehin schon Reichthümer in Ueberfluß besitzt, werden confiscirte Güter geschenkt, welche jähr¬ lich Tausende eindringen; der verhungerte Soldat dagegen bekommt eine kupferne Mütze oder Stahlschnalle, welche ihm Niemand gegen eine Semmel ablauschen möchte. Ju schneidendem Contraste mit dem jammervollen Zustande der gemeinen Sol¬ daten stehen die Hänser, in denen sie wohnen. Die Kasernen sind wahrhafte Paläste. Sie werden mit Luft geheizt, es befinde» sich in ihnen Apotheken und vieles ähnliche. Die Kasernen, welche außerhalb der Städte erbaut werdeu, gleichen allerdings denen in deu Städten an guter Einrichtung nicht. Sie bestehen gewöhnlich aus zwei geraden Reihen isolirt stehender kleiner Häuser und bilden eine Straße, in welcher sich von Strecke zu Strecke ein Ziehbrunnen und ungeheurer Waffertrog befinden, welcher letztere die Stelle der Waschwanne vertreten muß. Es ist kein uninteressantes Erlebniß, an einem solchen Troge eine ganze Compagnie Soldaten unter dem Befehle eines Lieutenants ihre Hemden waschen zu sehen. Dies ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/134>, abgerufen am 15.01.2025.