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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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besah die Waare lange und begann um ein Paar zu handeln, während er heim¬
lich ein anderes Paar in seinen Mantel zu practiciren suchte. Allein der Kauf¬
mann kannte diese Art von Käufern und bewachte mit dem schärfsten Auge die
Hände des Kriegshelden. Er packte den Offizier rasch beim Arme und rettete
die Epaulettes, die sich schon unter den Falten des Mantels befanden. Anfangs
war der Dieb verdutzt, dann erhob er sich plötzlich wie ein empörter Löwe, spie
vor dem Kaufmann aus und verließ das Local mit dem Ausrufe: "Pfui, Du
Schweinigel!" (l'v jo but, twui. mut.)

Die friedliche Dieberei artet sogar in gewaltthätige, in Straßenräuberei aus.
Ohne Gefahr kann man des Nachts niemals die Straßen passiren, welche sich in
der Nähe russischer Kasernen befinden. Durch Soldaten ausgeübte, gewaltsame
Beraubungen auf offener Straße sind mir während meines doch nicht allzulanger
Aufenthaltes in Warschau nicht weniger als drei und dreißig, in Kalisch fünf, in
Rodvm sieben, in Kutno zwei, in Plock fünf bekannt geworden. Noch in dersel¬
ben Nacht, nach welcher ich für immer Warschau verließ, wurde einer meiner
Freunde, Namens Rode, in einem Gäßchen bei den schon erwähnten Kasernen
hinter dem "eisernen Thore" von drei Jnfanteristen überfallen und seines Man¬
tels, seiner Uhr und sogar seines Rockes beraubt. Durch Gegenwehr rettete er
das Uebrige, was er am Leibe trug. Es geht so weit, daß die Soldaten im
Dienst, ja sogar im Sicherheitsdienste Räubereien begehen. Kaum glaubhaft er¬
scheint die Behauptung, daß man sich, wegen der Gefahr beraubt zu werden,
den Patrouillen zu begegnen hüten müsse, welche des Nachts zur Sicherung der
Straßen ausgesendet werden. Doch ist es nur zu begründet. Ein Beispiel ist
das Schicksal eines jungen wohlhabenden Bürgers von Warschau, Namens Große,
dessen Bater als Zimmermeister ein außerordentlich ausgebreitetes Holzhandels-
geschcist besitzt. Der junge Mann unternahm in Angelegenheit dieses Geschäfts
eine Reise in das westliche Gubernium. Heimkehrend begegnete er aus der Straße
Zwischen dem Dorfe Grochow und der Borstadt Prag" einer Patrouille von der
sogenannten Tscherkessenabtheilung deren vorzüglichstes Dienstgeschäft es ist, die
Bedeckung des Fürsten Paskiewitsch zu bilden. Dieselbe fiel seinen Pferden in
die Zügel und richtete sogleich die Frage an den Reisenden: was er bei sich führe.
Auf die Antwort "nichts," forderte sie ohne alle Zeremonie sein Geld. Drei warfen
sich sogleich über ihn her, und da er sich zu wehren suchte, so wurde er auf das
fürchterlichste gemißhandelt. Während dies drei von den Soldaten der Patrouille
thaten, beschäftigten sich die übrigen damit, das Gepäck des Reisenden aus dem
Wagen auf ihre Pferde zu bringen, und als dies geschehen war, machten sie sich
plötzlich sämmtlich, den Weg quer durch die Felder nehmend, in fliegendem Galopp



*) Die Leute dieser Truppe sind theils wirkliche Tscherkessen, größern Theils aber Russen
in der Tracht der Tscherkessen.

besah die Waare lange und begann um ein Paar zu handeln, während er heim¬
lich ein anderes Paar in seinen Mantel zu practiciren suchte. Allein der Kauf¬
mann kannte diese Art von Käufern und bewachte mit dem schärfsten Auge die
Hände des Kriegshelden. Er packte den Offizier rasch beim Arme und rettete
die Epaulettes, die sich schon unter den Falten des Mantels befanden. Anfangs
war der Dieb verdutzt, dann erhob er sich plötzlich wie ein empörter Löwe, spie
vor dem Kaufmann aus und verließ das Local mit dem Ausrufe: „Pfui, Du
Schweinigel!" (l'v jo but, twui. mut.)

Die friedliche Dieberei artet sogar in gewaltthätige, in Straßenräuberei aus.
Ohne Gefahr kann man des Nachts niemals die Straßen passiren, welche sich in
der Nähe russischer Kasernen befinden. Durch Soldaten ausgeübte, gewaltsame
Beraubungen auf offener Straße sind mir während meines doch nicht allzulanger
Aufenthaltes in Warschau nicht weniger als drei und dreißig, in Kalisch fünf, in
Rodvm sieben, in Kutno zwei, in Plock fünf bekannt geworden. Noch in dersel¬
ben Nacht, nach welcher ich für immer Warschau verließ, wurde einer meiner
Freunde, Namens Rode, in einem Gäßchen bei den schon erwähnten Kasernen
hinter dem „eisernen Thore" von drei Jnfanteristen überfallen und seines Man¬
tels, seiner Uhr und sogar seines Rockes beraubt. Durch Gegenwehr rettete er
das Uebrige, was er am Leibe trug. Es geht so weit, daß die Soldaten im
Dienst, ja sogar im Sicherheitsdienste Räubereien begehen. Kaum glaubhaft er¬
scheint die Behauptung, daß man sich, wegen der Gefahr beraubt zu werden,
den Patrouillen zu begegnen hüten müsse, welche des Nachts zur Sicherung der
Straßen ausgesendet werden. Doch ist es nur zu begründet. Ein Beispiel ist
das Schicksal eines jungen wohlhabenden Bürgers von Warschau, Namens Große,
dessen Bater als Zimmermeister ein außerordentlich ausgebreitetes Holzhandels-
geschcist besitzt. Der junge Mann unternahm in Angelegenheit dieses Geschäfts
eine Reise in das westliche Gubernium. Heimkehrend begegnete er aus der Straße
Zwischen dem Dorfe Grochow und der Borstadt Prag« einer Patrouille von der
sogenannten Tscherkessenabtheilung deren vorzüglichstes Dienstgeschäft es ist, die
Bedeckung des Fürsten Paskiewitsch zu bilden. Dieselbe fiel seinen Pferden in
die Zügel und richtete sogleich die Frage an den Reisenden: was er bei sich führe.
Auf die Antwort „nichts," forderte sie ohne alle Zeremonie sein Geld. Drei warfen
sich sogleich über ihn her, und da er sich zu wehren suchte, so wurde er auf das
fürchterlichste gemißhandelt. Während dies drei von den Soldaten der Patrouille
thaten, beschäftigten sich die übrigen damit, das Gepäck des Reisenden aus dem
Wagen auf ihre Pferde zu bringen, und als dies geschehen war, machten sie sich
plötzlich sämmtlich, den Weg quer durch die Felder nehmend, in fliegendem Galopp



*) Die Leute dieser Truppe sind theils wirkliche Tscherkessen, größern Theils aber Russen
in der Tracht der Tscherkessen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/131>, abgerufen am 15.01.2025.