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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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hatten, welche ihre Ehre darauf verpfändeten, bei der zweiten Aufführung des
Stücks den leisesten, ihrer Uniform angethanen Schimpf, im Theater selbst zu
rächen. Welche furchtbaren und blutigen Scenen hätten da erfolgen können!
Ueberhaupt erstreckt sich die politische Farbenabsonderung auch sogar auf die Thea¬
ter. Gymnase und Vaudeville stehen auf Seiten der Bourgeoisie, und bringen ganz
wunderhübsche auli democ hoc'sche Possen, in welchen man fast vor Lachen sterben
MUß, so z. B. I-.it luiro iuix Illvos; I^g, ^i'vpvlötv v'e"t lo vol; Hin sociulistv on
?r"zvi"co öde. etc. Dafür siud sie auch, wie I^riirieiü", 1Vi8tori,i>no etc., du Kor
xvure oder vielmehr Theater der Aristo's. Im Odeou, den Funnambules, Porte
Se. Martin ze. feiert dagegen allabendlich die Blouse den Trimuph der Demo¬
kratie. Welchen großen Einfluß in Frankreich die Circenscö auf die öffentliche
Meinung haben, geht aus folgender Thatsache hervor: Während der Wahlen er¬
öffnete das Theater des -malen dirizuo wieder seine lang verschlossenen Räume
mit dem bekannten Schauspiel Murat. Nur in Folge der Aufführung dieses Dra¬
mas erhielt der Sohn des Königs von Neapel, Lncien Murat, ein wahrer Niese
von Gestalt, die ungeheure Stimmenzahl von den Pariser Wählern! Wäre in
Deutschland jemals so etwas möglich? Inzwischen ist die Freiheit hier in der
Republik zu einem Schattenspiel geworden, welches so kläglich ist, daß sich gar
Viele nach den Zeiten Louis Philipps zurücksehnen.- Alle Vereine und Clubs
siud unterdrückt, die Freiheit der Presse ist außerordentlich beschränkt, nur uoch
selten läßt man ein socialistisches Banket passiren und überall ist die Polizei, der
dritte Mann, welcher Einem auf der Straße begegnet, ein Diener der öffentlichen
Sicherheit. Selbst bis in die heitere Region der Pariser Freudensäle, in die Tanz-
locale, erstreckt sich der grelle Schlagschatten des zerrissenen, politischen Lebens.
Sollten Sie wohl denken, wie weit es in Paris schon gekommen ist? Kürzlich wollten
zwei junge, wohlgekleidete Deutsche einem Ball beiwohnen. Als sie an der Thüre
des Saales angelangt waren, wurden sie bedeutet, sogleich ihre weißen Glace¬
handschuhe auszuziehen und im Vestiaire abzugeben. I'o"r"ju"l sonn? fragten
sie. -- (nie.l))'";"", e'est initisocirllisto, c'oft, Iir miüv ach ^ristos.-----


Ä. -K.


Historische Gemälde.



Vor einem Jahr war es schwer für einen Journalisten, sich mit etwas ande¬
rem zu beschäftigen, als der großen Frage des Tages, der deutschen Politik. Die
Verhältnisse haben sich geändert. Nicht als ob die heutigen "Versuche und Hin¬
dernisse" im Staatsleben in irgend einer Art von minderer Wichtigkeit wären, als
die lärmende Kaunegießerei, in welche damals wenigstens zum Theil die nationale
Erhebung aufging, aber damals war es dem Privatmann, wenn er sich in die


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hatten, welche ihre Ehre darauf verpfändeten, bei der zweiten Aufführung des
Stücks den leisesten, ihrer Uniform angethanen Schimpf, im Theater selbst zu
rächen. Welche furchtbaren und blutigen Scenen hätten da erfolgen können!
Ueberhaupt erstreckt sich die politische Farbenabsonderung auch sogar auf die Thea¬
ter. Gymnase und Vaudeville stehen auf Seiten der Bourgeoisie, und bringen ganz
wunderhübsche auli democ hoc'sche Possen, in welchen man fast vor Lachen sterben
MUß, so z. B. I-.it luiro iuix Illvos; I^g, ^i'vpvlötv v'e«t lo vol; Hin sociulistv on
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xvure oder vielmehr Theater der Aristo's. Im Odeou, den Funnambules, Porte
Se. Martin ze. feiert dagegen allabendlich die Blouse den Trimuph der Demo¬
kratie. Welchen großen Einfluß in Frankreich die Circenscö auf die öffentliche
Meinung haben, geht aus folgender Thatsache hervor: Während der Wahlen er¬
öffnete das Theater des -malen dirizuo wieder seine lang verschlossenen Räume
mit dem bekannten Schauspiel Murat. Nur in Folge der Aufführung dieses Dra¬
mas erhielt der Sohn des Königs von Neapel, Lncien Murat, ein wahrer Niese
von Gestalt, die ungeheure Stimmenzahl von den Pariser Wählern! Wäre in
Deutschland jemals so etwas möglich? Inzwischen ist die Freiheit hier in der
Republik zu einem Schattenspiel geworden, welches so kläglich ist, daß sich gar
Viele nach den Zeiten Louis Philipps zurücksehnen.- Alle Vereine und Clubs
siud unterdrückt, die Freiheit der Presse ist außerordentlich beschränkt, nur uoch
selten läßt man ein socialistisches Banket passiren und überall ist die Polizei, der
dritte Mann, welcher Einem auf der Straße begegnet, ein Diener der öffentlichen
Sicherheit. Selbst bis in die heitere Region der Pariser Freudensäle, in die Tanz-
locale, erstreckt sich der grelle Schlagschatten des zerrissenen, politischen Lebens.
Sollten Sie wohl denken, wie weit es in Paris schon gekommen ist? Kürzlich wollten
zwei junge, wohlgekleidete Deutsche einem Ball beiwohnen. Als sie an der Thüre
des Saales angelangt waren, wurden sie bedeutet, sogleich ihre weißen Glace¬
handschuhe auszuziehen und im Vestiaire abzugeben. I'o»r«ju»l sonn? fragten
sie. — (nie.l))'«;»«, e'est initisocirllisto, c'oft, Iir miüv ach ^ristos.---—


Ä. -K.


Historische Gemälde.



Vor einem Jahr war es schwer für einen Journalisten, sich mit etwas ande¬
rem zu beschäftigen, als der großen Frage des Tages, der deutschen Politik. Die
Verhältnisse haben sich geändert. Nicht als ob die heutigen „Versuche und Hin¬
dernisse" im Staatsleben in irgend einer Art von minderer Wichtigkeit wären, als
die lärmende Kaunegießerei, in welche damals wenigstens zum Theil die nationale
Erhebung aufging, aber damals war es dem Privatmann, wenn er sich in die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/119>, abgerufen am 15.01.2025.