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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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einen zweiten antiuationellen Beschluß das Land gegen sich aufzuregen. Den¬
noch hielten die Juden fest an der Partei der magyarischen Patrioten, und nicht
allein die jungen verließen ihre Eltern und ihren Besitz, um in die Schlacht zu
ziehen, wo die nebenstehenden Männer die weichlichen Soldaten oft höhnten und
dadurch zu unnützen Thaten aufstachelten, anch die alten und bedächtigen Jsraeli-
ten erglühten in Liebe und Hingebung für das Land und seine heroischen Führer.
Die Rabbiner und Prediger der Juden werden jetzt bestraft für diese Sympathien
gleich den katholischen Domherrn und protestantischen Seelsorgern, und die berüch¬
tigte Contribution Haynau's, den Judengemeinden solidarisch auferlegt, ist eine
Fo'ge der den Juden insgesammt zugemutheten Anhänglichkeit an Kossuth und
seine Bestrebung. Wollte Haynau die Sympathie bestrafen, so hatte er Recht,
sie war bei der überwiegenden Mehrzahl der ungarischen Juden sür die Ungarn.
Wir wollen eine Geschichte aus Kossuths Kinderleben, aus authentischer Mitthei¬
lung, erzählen, die einen charakteristischen Beitrag zur Aufklärung jener Sympa¬
thie gibt, welche die alten und frommen Juden für diesen Agitator bis zur letzten
Stunde seines Wirkens bethätigten. Während Patriotismus das jüngere Geschlecht
leitete, die Männer berechneten, folgten die Greise kabbalistischen Deutungen. --
Kossutl/s Vater war Advokat, und wohnte in einem nördlichen Comitate Un¬
garns, wo die ans Polen herübcrgewanderten Juden angesiedelt sind. Man findet
die Seele der Chaßidim, und die langen Talare, Pelzkappen, Ringellocken und
andere Aeußerlichkeiten unterscheiden uicht blos die fremden von den einheimischen,
sondern auch die bigotten von den etwas minder orthodoxen Juden. Gegen den
weit und breit im Gerüche besonderer Frömmigkeit und Heiligkeit stehenden Rab¬
biner zu Aphely führte Kossuth's Vater einen ärgerlichen Prozeß. Der Grund
desselben ist unbekannt; er dauerte aber, wie gewöhnlich in Ungarn hartnäckig be¬
trieben, lange, und es starben im Laufe dieser Zeit zwei Söhne des Advokaten und
endlich er selbst. Die abergläubischen Juden sprengten nun ans, das sei der Fluch
des Rabbiners, und selbst die Katholiken und Calviner bekamen einige Scheu vor
der Macht des jüdischen Geistlichen, zu dem Kranke und Preßhafte aller Kon¬
fessionen strömten, um sich durch seine Wunderkraft heilen zu lassen. Der Rabbi
genoß großes Ansehen, er war ein kluger und erfahrener Mann, und benutzte den
Glauben seiner Stammgenossen und der uncultivirten Umgegend wie die Wnnder-
männcr anderer Religionen. Des Advokaten Frau fürchtete, daß auch ihr letzter
Knabe, Ludwig Kossuth, dem Fluche des Rabbi verfallen sei, und das Mutterherz
trieb sie hin zu dem bärtigen Manne, um Vergebung zu bitten für die Unbill,
welcher ihr Mann ihm angethan. Der Rabbiner, dessen Ansehen und Einfluß
durch einen solchen Vorfall gewinnen mußte, war leutselig und zuvorkommend,
und der greise Priester brachte es durch dieses Benehmen dahin, daß die Calvi-
nistin um seinen Segen bat sür ihren Sohn. Der kluge Rabbi zögerte zu will¬
fahren; er betrachtete den Knaben und unterhielt sich mit ihm. Geist und Leb-


einen zweiten antiuationellen Beschluß das Land gegen sich aufzuregen. Den¬
noch hielten die Juden fest an der Partei der magyarischen Patrioten, und nicht
allein die jungen verließen ihre Eltern und ihren Besitz, um in die Schlacht zu
ziehen, wo die nebenstehenden Männer die weichlichen Soldaten oft höhnten und
dadurch zu unnützen Thaten aufstachelten, anch die alten und bedächtigen Jsraeli-
ten erglühten in Liebe und Hingebung für das Land und seine heroischen Führer.
Die Rabbiner und Prediger der Juden werden jetzt bestraft für diese Sympathien
gleich den katholischen Domherrn und protestantischen Seelsorgern, und die berüch¬
tigte Contribution Haynau's, den Judengemeinden solidarisch auferlegt, ist eine
Fo'ge der den Juden insgesammt zugemutheten Anhänglichkeit an Kossuth und
seine Bestrebung. Wollte Haynau die Sympathie bestrafen, so hatte er Recht,
sie war bei der überwiegenden Mehrzahl der ungarischen Juden sür die Ungarn.
Wir wollen eine Geschichte aus Kossuths Kinderleben, aus authentischer Mitthei¬
lung, erzählen, die einen charakteristischen Beitrag zur Aufklärung jener Sympa¬
thie gibt, welche die alten und frommen Juden für diesen Agitator bis zur letzten
Stunde seines Wirkens bethätigten. Während Patriotismus das jüngere Geschlecht
leitete, die Männer berechneten, folgten die Greise kabbalistischen Deutungen. —
Kossutl/s Vater war Advokat, und wohnte in einem nördlichen Comitate Un¬
garns, wo die ans Polen herübcrgewanderten Juden angesiedelt sind. Man findet
die Seele der Chaßidim, und die langen Talare, Pelzkappen, Ringellocken und
andere Aeußerlichkeiten unterscheiden uicht blos die fremden von den einheimischen,
sondern auch die bigotten von den etwas minder orthodoxen Juden. Gegen den
weit und breit im Gerüche besonderer Frömmigkeit und Heiligkeit stehenden Rab¬
biner zu Aphely führte Kossuth's Vater einen ärgerlichen Prozeß. Der Grund
desselben ist unbekannt; er dauerte aber, wie gewöhnlich in Ungarn hartnäckig be¬
trieben, lange, und es starben im Laufe dieser Zeit zwei Söhne des Advokaten und
endlich er selbst. Die abergläubischen Juden sprengten nun ans, das sei der Fluch
des Rabbiners, und selbst die Katholiken und Calviner bekamen einige Scheu vor
der Macht des jüdischen Geistlichen, zu dem Kranke und Preßhafte aller Kon¬
fessionen strömten, um sich durch seine Wunderkraft heilen zu lassen. Der Rabbi
genoß großes Ansehen, er war ein kluger und erfahrener Mann, und benutzte den
Glauben seiner Stammgenossen und der uncultivirten Umgegend wie die Wnnder-
männcr anderer Religionen. Des Advokaten Frau fürchtete, daß auch ihr letzter
Knabe, Ludwig Kossuth, dem Fluche des Rabbi verfallen sei, und das Mutterherz
trieb sie hin zu dem bärtigen Manne, um Vergebung zu bitten für die Unbill,
welcher ihr Mann ihm angethan. Der Rabbiner, dessen Ansehen und Einfluß
durch einen solchen Vorfall gewinnen mußte, war leutselig und zuvorkommend,
und der greise Priester brachte es durch dieses Benehmen dahin, daß die Calvi-
nistin um seinen Segen bat sür ihren Sohn. Der kluge Rabbi zögerte zu will¬
fahren; er betrachtete den Knaben und unterhielt sich mit ihm. Geist und Leb-


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[0110] einen zweiten antiuationellen Beschluß das Land gegen sich aufzuregen. Den¬ noch hielten die Juden fest an der Partei der magyarischen Patrioten, und nicht allein die jungen verließen ihre Eltern und ihren Besitz, um in die Schlacht zu ziehen, wo die nebenstehenden Männer die weichlichen Soldaten oft höhnten und dadurch zu unnützen Thaten aufstachelten, anch die alten und bedächtigen Jsraeli- ten erglühten in Liebe und Hingebung für das Land und seine heroischen Führer. Die Rabbiner und Prediger der Juden werden jetzt bestraft für diese Sympathien gleich den katholischen Domherrn und protestantischen Seelsorgern, und die berüch¬ tigte Contribution Haynau's, den Judengemeinden solidarisch auferlegt, ist eine Fo'ge der den Juden insgesammt zugemutheten Anhänglichkeit an Kossuth und seine Bestrebung. Wollte Haynau die Sympathie bestrafen, so hatte er Recht, sie war bei der überwiegenden Mehrzahl der ungarischen Juden sür die Ungarn. Wir wollen eine Geschichte aus Kossuths Kinderleben, aus authentischer Mitthei¬ lung, erzählen, die einen charakteristischen Beitrag zur Aufklärung jener Sympa¬ thie gibt, welche die alten und frommen Juden für diesen Agitator bis zur letzten Stunde seines Wirkens bethätigten. Während Patriotismus das jüngere Geschlecht leitete, die Männer berechneten, folgten die Greise kabbalistischen Deutungen. — Kossutl/s Vater war Advokat, und wohnte in einem nördlichen Comitate Un¬ garns, wo die ans Polen herübcrgewanderten Juden angesiedelt sind. Man findet die Seele der Chaßidim, und die langen Talare, Pelzkappen, Ringellocken und andere Aeußerlichkeiten unterscheiden uicht blos die fremden von den einheimischen, sondern auch die bigotten von den etwas minder orthodoxen Juden. Gegen den weit und breit im Gerüche besonderer Frömmigkeit und Heiligkeit stehenden Rab¬ biner zu Aphely führte Kossuth's Vater einen ärgerlichen Prozeß. Der Grund desselben ist unbekannt; er dauerte aber, wie gewöhnlich in Ungarn hartnäckig be¬ trieben, lange, und es starben im Laufe dieser Zeit zwei Söhne des Advokaten und endlich er selbst. Die abergläubischen Juden sprengten nun ans, das sei der Fluch des Rabbiners, und selbst die Katholiken und Calviner bekamen einige Scheu vor der Macht des jüdischen Geistlichen, zu dem Kranke und Preßhafte aller Kon¬ fessionen strömten, um sich durch seine Wunderkraft heilen zu lassen. Der Rabbi genoß großes Ansehen, er war ein kluger und erfahrener Mann, und benutzte den Glauben seiner Stammgenossen und der uncultivirten Umgegend wie die Wnnder- männcr anderer Religionen. Des Advokaten Frau fürchtete, daß auch ihr letzter Knabe, Ludwig Kossuth, dem Fluche des Rabbi verfallen sei, und das Mutterherz trieb sie hin zu dem bärtigen Manne, um Vergebung zu bitten für die Unbill, welcher ihr Mann ihm angethan. Der Rabbiner, dessen Ansehen und Einfluß durch einen solchen Vorfall gewinnen mußte, war leutselig und zuvorkommend, und der greise Priester brachte es durch dieses Benehmen dahin, daß die Calvi- nistin um seinen Segen bat sür ihren Sohn. Der kluge Rabbi zögerte zu will¬ fahren; er betrachtete den Knaben und unterhielt sich mit ihm. Geist und Leb-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/110>, abgerufen am 15.01.2025.