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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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Demjenigen ein donnerndes Slava zu, welchen er morgen mit Koth bewirft; wen
er heute anklagt und verfolgt, dem kann er am andern Tage devote Huldigungen
und ehrende Kränze spenden, falls dieser, wenn auch zu blos momentaner
Macht gelangt und ihm die Ruthe zeigt. Von wahrer Treue, von offener, couse-
quenter Gesinnung kann daher bei dieser Klasse ebensowenig die Rede sein, als
von persönlichem Muth, welcher in den Seelen der Siebenundsechziger eine unend¬
liche Lücke ist. Der Erste bei friedlichen, schillernden Paraden ist er anch der Erste
beim Verschwinden, sobald ein ernster Würfel fällt; ein bärtiger Bramarbas im
Frieden ist er ein indisches blntscheucs Geschöpf im Kriege, für welche" er zwar
Gelder sammelt und beisteuert, aber -- damit Muthigere hinziehen, seine Haut und
seinen Herd zu beschützen. Davon hat unsere Zeit gar viele Exempel auszuweisen,
und jede Stadt, die einmal einen Cravall gesehen hat, wird davon zu sagen wissen.

Die Zahl 67 ist nun für Prag darob verhängnißvoll geworden. An der uralten
Kunstnhr des altstädter Rathhauses sah man vvrKnrzem diese heilige Zahl imKrebs-
zeichen des Sonnensystems glänzen; die Zahl der versammelten Stadtverordneten
soll, wenn sie beschlußfähig sein sollen, 67 betragen, und, o Verhängniß! die Ge¬
fängnisse des Hradschins umfassen gegenwärtig genau 67 gefangene Individuen.
Soweit ist es also mit uns gekommen, daß die ominöse Nnnnner selbst ins seind-
liche Gebiet sich hinübcrwagt, zugleich bittrer Sarkasmus und poetische Gerechtig¬
keit gegen Jene, die früher gegen dieselbe Zahl feindlich aufgetreten sind. Doch
halt? Wag' ich's doch selber! Sollte ich mich uicht vielmehr durch dieses Schicksal
abschrecken lassen, gegen die schläferige Zunft den Pfeil des Spottes abzuschie¬
ßen?! -- Wohlan denn! Gehen wir, um den Fehler einigermaßen wieder gut
zu machen und die Gunst des Fatums uicht vollends zu verscherzen, auch zu den
Lichtseiten unserer Friedenshelden über. --

Sobald wir jedoch diese auf den Fingern abzählen wollen, werden wir mit
Einer Hand mehr als ausreichen, würden wir nicht die andere dieses niederzu¬
schreiben benöthigen. Die Cardinaltugend der Friedeusjünger ist passiver Wi¬
derstand, den dieselben jederzeit und überall an den Tag legen, wo ihr Herz
sich ja einmal zur Unzufriedenheit hinneigt. Dadurch sind sie aber die unschäd¬
lichsten Menschen der Erde, weil sie sich nie zur That hinreißen lassen und ihren
Groll eher in deutschbaierischem Gerstensaft ertränken, als ihn auf die eben domi-
nirende Außenwelt zu übertragen. Sie huldigen der gesetzlichen Freiheit, worun¬
ter sie jene verstehen, die leise auftritt und beim ersten Hinderniß davon schleicht.
In Prag war diese ihre Eigenschaft insofern heilsam und ersprießlich, als sie das
beste Mittel abgab, die Zeit schadlos und ruhig zu erwarten, wo die Herrschaft
der nationalen Phantasten und ihrer deutschfeindlichen Getreuen in die Gruft
steigen sollte. Die Sicbenundsechzigcr sind ihrer überwiegend größern Zahl nach
deutschen Stammes. Man denke sich daher den Besitz in solche" deutschen Hän¬
den, die herausfordernd der czechischen Nationalpartei den Fehdehandschuh hinge-


Demjenigen ein donnerndes Slava zu, welchen er morgen mit Koth bewirft; wen
er heute anklagt und verfolgt, dem kann er am andern Tage devote Huldigungen
und ehrende Kränze spenden, falls dieser, wenn auch zu blos momentaner
Macht gelangt und ihm die Ruthe zeigt. Von wahrer Treue, von offener, couse-
quenter Gesinnung kann daher bei dieser Klasse ebensowenig die Rede sein, als
von persönlichem Muth, welcher in den Seelen der Siebenundsechziger eine unend¬
liche Lücke ist. Der Erste bei friedlichen, schillernden Paraden ist er anch der Erste
beim Verschwinden, sobald ein ernster Würfel fällt; ein bärtiger Bramarbas im
Frieden ist er ein indisches blntscheucs Geschöpf im Kriege, für welche» er zwar
Gelder sammelt und beisteuert, aber — damit Muthigere hinziehen, seine Haut und
seinen Herd zu beschützen. Davon hat unsere Zeit gar viele Exempel auszuweisen,
und jede Stadt, die einmal einen Cravall gesehen hat, wird davon zu sagen wissen.

Die Zahl 67 ist nun für Prag darob verhängnißvoll geworden. An der uralten
Kunstnhr des altstädter Rathhauses sah man vvrKnrzem diese heilige Zahl imKrebs-
zeichen des Sonnensystems glänzen; die Zahl der versammelten Stadtverordneten
soll, wenn sie beschlußfähig sein sollen, 67 betragen, und, o Verhängniß! die Ge¬
fängnisse des Hradschins umfassen gegenwärtig genau 67 gefangene Individuen.
Soweit ist es also mit uns gekommen, daß die ominöse Nnnnner selbst ins seind-
liche Gebiet sich hinübcrwagt, zugleich bittrer Sarkasmus und poetische Gerechtig¬
keit gegen Jene, die früher gegen dieselbe Zahl feindlich aufgetreten sind. Doch
halt? Wag' ich's doch selber! Sollte ich mich uicht vielmehr durch dieses Schicksal
abschrecken lassen, gegen die schläferige Zunft den Pfeil des Spottes abzuschie¬
ßen?! — Wohlan denn! Gehen wir, um den Fehler einigermaßen wieder gut
zu machen und die Gunst des Fatums uicht vollends zu verscherzen, auch zu den
Lichtseiten unserer Friedenshelden über. —

Sobald wir jedoch diese auf den Fingern abzählen wollen, werden wir mit
Einer Hand mehr als ausreichen, würden wir nicht die andere dieses niederzu¬
schreiben benöthigen. Die Cardinaltugend der Friedeusjünger ist passiver Wi¬
derstand, den dieselben jederzeit und überall an den Tag legen, wo ihr Herz
sich ja einmal zur Unzufriedenheit hinneigt. Dadurch sind sie aber die unschäd¬
lichsten Menschen der Erde, weil sie sich nie zur That hinreißen lassen und ihren
Groll eher in deutschbaierischem Gerstensaft ertränken, als ihn auf die eben domi-
nirende Außenwelt zu übertragen. Sie huldigen der gesetzlichen Freiheit, worun¬
ter sie jene verstehen, die leise auftritt und beim ersten Hinderniß davon schleicht.
In Prag war diese ihre Eigenschaft insofern heilsam und ersprießlich, als sie das
beste Mittel abgab, die Zeit schadlos und ruhig zu erwarten, wo die Herrschaft
der nationalen Phantasten und ihrer deutschfeindlichen Getreuen in die Gruft
steigen sollte. Die Sicbenundsechzigcr sind ihrer überwiegend größern Zahl nach
deutschen Stammes. Man denke sich daher den Besitz in solche» deutschen Hän¬
den, die herausfordernd der czechischen Nationalpartei den Fehdehandschuh hinge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/105>, abgerufen am 15.01.2025.