Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

scheu übrig, auch ist den kulturhistorischen Momenten zu wenig Raum und Beach¬
tung gewidmet worden. Auf den Wunsch der Böhmen begann Palacky in der
neuesten Zeit seine Geschichte viel weitläufiger in czechischcr Sprache umzuschreiben.
Von Palacky's übrigen historischen Schriften ernähren wir seine "literarische Reise,"
die synchronistische Uebersicht der wichtigsten Männer und höchsten Würdenträger im
Königreiche Böhmen, dann seine Würdigung Dobrowsky's und seine Abhandlung
über die Formalbücher, eine wichtige, noch wenig beachtete Spezies historischer
Hilfsquellen. Palacky erfreut sich unter den Seinen eines großen Ansehns; wenn
anch die Sympathien für ihn seit dem Juni 1848 und seit seinem Wirken im
Reichstag in manchen patriotischen Kreisen erkaltet sind, ja sogar ein Theil der
czechischen Jngend zu seinen entschiedenen Antagonisten gehört, so hat er dennoch
des Landes größere Hälfte noch immer hinter sich. Vor dem März scheint Palacky
mit an der Spitze der czechischeu Fortschrittspartei gestanden, und selbst auf die
energischen Vorgänge im böhmischen Landtag -- welchen die Grenzboten zu ihrer
Zeit viel Aufmerksamkeit schenkten großen Einfluß geübt zu haben. Er war
der politische Souffleur eines oder des andern Standesherrn, welcher sich bis da¬
hin um wenig mehr, als um seine Pferde und Hunde gekümmert hatte, und mit
einem Mal im Landtagssaal unter den glücklichen Sprechern auftrat. Die Ereig¬
nisse des Frühlings 1848 überraschten ihn sehr. Der gründliche Mann der Ge¬
schichte wußte sich nicht gleich hinein zu finden in die neue Zeit, von der er in
seinen Urkunden so gar nichts gelesen. Was er bis dahin als ideales Traumbild
in sich getragen: Eine große slavische Welt, das schien auf einmal möglich und
und wirklich zu werden. Der peinlich gewissenhafte Historiker wurde ein hart¬
näckiger politischer Schwärmer. Die Veränderung ist nicht so groß, als sie scheint.
Merkwürdig aber und ein Beweis seiner starken Kraft ist, daß er die Besonnen¬
heit und Mäßigung dabei nicht verlor. Als fast Alle zwischen Extremen schwankten,
schritt er mit festem Fuß, die Augen nach seinem Himmel gerichtet, durch die
schwierigen Verhältnisse. sein Brief an deu Fünfziger-Ausschuß wird jetzt auch
in Deutschland eine unparteiische Würdigung finden. Seine Haltung im böhmi¬
schen Nationalausschuß, im Slavcnkongreß, als dessen erster Präsident er fungirte,
und im östreichischen Reichstage ist so bekannt, daß ich, um deu Raum dieser
Skizze zu sparen, füglich darüber hinweggehn kann, ttcberall ist sein Urtheil über
den eignen Fall eben so sicher und scharf, seine Haltung so imponirend und takt¬
voll, als der letzte Hintergrund seiner politischen Ueberzeugungen phantastisch ist.
Er war der stille Führer seiner großen Partei, el" guter Mittelpunkt; großer
Redner ist er bekanntlich nicht.




scheu übrig, auch ist den kulturhistorischen Momenten zu wenig Raum und Beach¬
tung gewidmet worden. Auf den Wunsch der Böhmen begann Palacky in der
neuesten Zeit seine Geschichte viel weitläufiger in czechischcr Sprache umzuschreiben.
Von Palacky's übrigen historischen Schriften ernähren wir seine „literarische Reise,"
die synchronistische Uebersicht der wichtigsten Männer und höchsten Würdenträger im
Königreiche Böhmen, dann seine Würdigung Dobrowsky's und seine Abhandlung
über die Formalbücher, eine wichtige, noch wenig beachtete Spezies historischer
Hilfsquellen. Palacky erfreut sich unter den Seinen eines großen Ansehns; wenn
anch die Sympathien für ihn seit dem Juni 1848 und seit seinem Wirken im
Reichstag in manchen patriotischen Kreisen erkaltet sind, ja sogar ein Theil der
czechischen Jngend zu seinen entschiedenen Antagonisten gehört, so hat er dennoch
des Landes größere Hälfte noch immer hinter sich. Vor dem März scheint Palacky
mit an der Spitze der czechischeu Fortschrittspartei gestanden, und selbst auf die
energischen Vorgänge im böhmischen Landtag — welchen die Grenzboten zu ihrer
Zeit viel Aufmerksamkeit schenkten großen Einfluß geübt zu haben. Er war
der politische Souffleur eines oder des andern Standesherrn, welcher sich bis da¬
hin um wenig mehr, als um seine Pferde und Hunde gekümmert hatte, und mit
einem Mal im Landtagssaal unter den glücklichen Sprechern auftrat. Die Ereig¬
nisse des Frühlings 1848 überraschten ihn sehr. Der gründliche Mann der Ge¬
schichte wußte sich nicht gleich hinein zu finden in die neue Zeit, von der er in
seinen Urkunden so gar nichts gelesen. Was er bis dahin als ideales Traumbild
in sich getragen: Eine große slavische Welt, das schien auf einmal möglich und
und wirklich zu werden. Der peinlich gewissenhafte Historiker wurde ein hart¬
näckiger politischer Schwärmer. Die Veränderung ist nicht so groß, als sie scheint.
Merkwürdig aber und ein Beweis seiner starken Kraft ist, daß er die Besonnen¬
heit und Mäßigung dabei nicht verlor. Als fast Alle zwischen Extremen schwankten,
schritt er mit festem Fuß, die Augen nach seinem Himmel gerichtet, durch die
schwierigen Verhältnisse. sein Brief an deu Fünfziger-Ausschuß wird jetzt auch
in Deutschland eine unparteiische Würdigung finden. Seine Haltung im böhmi¬
schen Nationalausschuß, im Slavcnkongreß, als dessen erster Präsident er fungirte,
und im östreichischen Reichstage ist so bekannt, daß ich, um deu Raum dieser
Skizze zu sparen, füglich darüber hinweggehn kann, ttcberall ist sein Urtheil über
den eignen Fall eben so sicher und scharf, seine Haltung so imponirend und takt¬
voll, als der letzte Hintergrund seiner politischen Ueberzeugungen phantastisch ist.
Er war der stille Führer seiner großen Partei, el» guter Mittelpunkt; großer
Redner ist er bekanntlich nicht.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0084" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279110"/>
            <p xml:id="ID_260" prev="#ID_259"> scheu übrig, auch ist den kulturhistorischen Momenten zu wenig Raum und Beach¬<lb/>
tung gewidmet worden. Auf den Wunsch der Böhmen begann Palacky in der<lb/>
neuesten Zeit seine Geschichte viel weitläufiger in czechischcr Sprache umzuschreiben.<lb/>
Von Palacky's übrigen historischen Schriften ernähren wir seine &#x201E;literarische Reise,"<lb/>
die synchronistische Uebersicht der wichtigsten Männer und höchsten Würdenträger im<lb/>
Königreiche Böhmen, dann seine Würdigung Dobrowsky's und seine Abhandlung<lb/>
über die Formalbücher, eine wichtige, noch wenig beachtete Spezies historischer<lb/>
Hilfsquellen. Palacky erfreut sich unter den Seinen eines großen Ansehns; wenn<lb/>
anch die Sympathien für ihn seit dem Juni 1848 und seit seinem Wirken im<lb/>
Reichstag in manchen patriotischen Kreisen erkaltet sind, ja sogar ein Theil der<lb/>
czechischen Jngend zu seinen entschiedenen Antagonisten gehört, so hat er dennoch<lb/>
des Landes größere Hälfte noch immer hinter sich. Vor dem März scheint Palacky<lb/>
mit an der Spitze der czechischeu Fortschrittspartei gestanden, und selbst auf die<lb/>
energischen Vorgänge im böhmischen Landtag &#x2014; welchen die Grenzboten zu ihrer<lb/>
Zeit viel Aufmerksamkeit schenkten großen Einfluß geübt zu haben. Er war<lb/>
der politische Souffleur eines oder des andern Standesherrn, welcher sich bis da¬<lb/>
hin um wenig mehr, als um seine Pferde und Hunde gekümmert hatte, und mit<lb/>
einem Mal im Landtagssaal unter den glücklichen Sprechern auftrat. Die Ereig¬<lb/>
nisse des Frühlings 1848 überraschten ihn sehr. Der gründliche Mann der Ge¬<lb/>
schichte wußte sich nicht gleich hinein zu finden in die neue Zeit, von der er in<lb/>
seinen Urkunden so gar nichts gelesen. Was er bis dahin als ideales Traumbild<lb/>
in sich getragen: Eine große slavische Welt, das schien auf einmal möglich und<lb/>
und wirklich zu werden. Der peinlich gewissenhafte Historiker wurde ein hart¬<lb/>
näckiger politischer Schwärmer. Die Veränderung ist nicht so groß, als sie scheint.<lb/>
Merkwürdig aber und ein Beweis seiner starken Kraft ist, daß er die Besonnen¬<lb/>
heit und Mäßigung dabei nicht verlor. Als fast Alle zwischen Extremen schwankten,<lb/>
schritt er mit festem Fuß, die Augen nach seinem Himmel gerichtet, durch die<lb/>
schwierigen Verhältnisse. sein Brief an deu Fünfziger-Ausschuß wird jetzt auch<lb/>
in Deutschland eine unparteiische Würdigung finden. Seine Haltung im böhmi¬<lb/>
schen Nationalausschuß, im Slavcnkongreß, als dessen erster Präsident er fungirte,<lb/>
und im östreichischen Reichstage ist so bekannt, daß ich, um deu Raum dieser<lb/>
Skizze zu sparen, füglich darüber hinweggehn kann, ttcberall ist sein Urtheil über<lb/>
den eignen Fall eben so sicher und scharf, seine Haltung so imponirend und takt¬<lb/>
voll, als der letzte Hintergrund seiner politischen Ueberzeugungen phantastisch ist.<lb/>
Er war der stille Führer seiner großen Partei, el» guter Mittelpunkt; großer<lb/>
Redner ist er bekanntlich nicht.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0084] scheu übrig, auch ist den kulturhistorischen Momenten zu wenig Raum und Beach¬ tung gewidmet worden. Auf den Wunsch der Böhmen begann Palacky in der neuesten Zeit seine Geschichte viel weitläufiger in czechischcr Sprache umzuschreiben. Von Palacky's übrigen historischen Schriften ernähren wir seine „literarische Reise," die synchronistische Uebersicht der wichtigsten Männer und höchsten Würdenträger im Königreiche Böhmen, dann seine Würdigung Dobrowsky's und seine Abhandlung über die Formalbücher, eine wichtige, noch wenig beachtete Spezies historischer Hilfsquellen. Palacky erfreut sich unter den Seinen eines großen Ansehns; wenn anch die Sympathien für ihn seit dem Juni 1848 und seit seinem Wirken im Reichstag in manchen patriotischen Kreisen erkaltet sind, ja sogar ein Theil der czechischen Jngend zu seinen entschiedenen Antagonisten gehört, so hat er dennoch des Landes größere Hälfte noch immer hinter sich. Vor dem März scheint Palacky mit an der Spitze der czechischeu Fortschrittspartei gestanden, und selbst auf die energischen Vorgänge im böhmischen Landtag — welchen die Grenzboten zu ihrer Zeit viel Aufmerksamkeit schenkten großen Einfluß geübt zu haben. Er war der politische Souffleur eines oder des andern Standesherrn, welcher sich bis da¬ hin um wenig mehr, als um seine Pferde und Hunde gekümmert hatte, und mit einem Mal im Landtagssaal unter den glücklichen Sprechern auftrat. Die Ereig¬ nisse des Frühlings 1848 überraschten ihn sehr. Der gründliche Mann der Ge¬ schichte wußte sich nicht gleich hinein zu finden in die neue Zeit, von der er in seinen Urkunden so gar nichts gelesen. Was er bis dahin als ideales Traumbild in sich getragen: Eine große slavische Welt, das schien auf einmal möglich und und wirklich zu werden. Der peinlich gewissenhafte Historiker wurde ein hart¬ näckiger politischer Schwärmer. Die Veränderung ist nicht so groß, als sie scheint. Merkwürdig aber und ein Beweis seiner starken Kraft ist, daß er die Besonnen¬ heit und Mäßigung dabei nicht verlor. Als fast Alle zwischen Extremen schwankten, schritt er mit festem Fuß, die Augen nach seinem Himmel gerichtet, durch die schwierigen Verhältnisse. sein Brief an deu Fünfziger-Ausschuß wird jetzt auch in Deutschland eine unparteiische Würdigung finden. Seine Haltung im böhmi¬ schen Nationalausschuß, im Slavcnkongreß, als dessen erster Präsident er fungirte, und im östreichischen Reichstage ist so bekannt, daß ich, um deu Raum dieser Skizze zu sparen, füglich darüber hinweggehn kann, ttcberall ist sein Urtheil über den eignen Fall eben so sicher und scharf, seine Haltung so imponirend und takt¬ voll, als der letzte Hintergrund seiner politischen Ueberzeugungen phantastisch ist. Er war der stille Führer seiner großen Partei, el» guter Mittelpunkt; großer Redner ist er bekanntlich nicht.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/84
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/84>, abgerufen am 05.02.2025.