Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.zerschmettert auf dem Teppich, den eure Schmeichelei unter ihre Sohle" gebreitet Sobald sie die Bühne betritt, und der Vorhang aufgeht, fliegt dieser kleine zerschmettert auf dem Teppich, den eure Schmeichelei unter ihre Sohle» gebreitet Sobald sie die Bühne betritt, und der Vorhang aufgeht, fliegt dieser kleine <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0066" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279092"/> <p xml:id="ID_187" prev="#ID_186"> zerschmettert auf dem Teppich, den eure Schmeichelei unter ihre Sohle» gebreitet<lb/> hat. Und wenn ihr hundert Jcihre lang Champagner trinkt oder Mohnsast ein¬<lb/> nehme, ihr empfindet in allen euren Träumen nicht, was ein Weib vom Theater<lb/> wachend erlebt. Geht den Spuren ihres Schicksals nach, wie sie sich hier und<lb/> da in Anekdoten, Erzählungen, Reminiscenzen ihrer Zeitgenossen abdrücken, und<lb/> ihr werdet überall eine Fülle von Leben, einen ewigen Kampf, oft ein furchtbares<lb/> Verhängniß finden. Es ist etwas Gespenstiges dabei; glaubt mir, es gibt ein<lb/> Grauen auch hinter den Coulissen und auf dem prosaischen Schnürboden unsers<lb/> Theaters. Nehmt an, jeder Mensch habe seinen Engel, einen kleinen getreuen<lb/> Hausgeist, der über ihm schwebt, ihm die Steine ans dem Wege sucht, ein wei¬<lb/> ches Taschentuch an die weinenden Augen drückt, das trockne Brot in Kuchen<lb/> verwandelt und mit einem weichen Zauberpinsel emsig Gold und Noth ans die<lb/> grauen Wände malt. Gut, auch das Weib, welches zum Theater geht, hat einen<lb/> solchen Engel, der mit ihr plaudert, wenn die alten Kirchenglocken läuten, und<lb/> sie am Ohrläppchen zieht, wenn sie einem schwarzen Schnurrbart nachsieht.</p><lb/> <p xml:id="ID_188" next="#ID_189"> Sobald sie die Bühne betritt, und der Vorhang aufgeht, fliegt dieser kleine<lb/> Geist auf die Soffiten und sitzt bedenklich und verlegen über ihr. Aber jede Rolle,<lb/> welche sie unten dem Publikum vorspielt, jeder Charakter, jede Leidenschaft, welche<lb/> in ihr lebendig wird, erhält ein Leben auch außer ihr, zieht wie ein Rauch, wie<lb/> ein Kobold nach der Höhe, und fängt Streit an mit ihrem Schutzgeist. Was sie<lb/> unten darstellt von Lastern und Tugenden, von Frende und Schmerz, das schwebt<lb/> schattenhaft über ihr und zieht höhnend und grinsend seine Kreise um ihren un¬<lb/> sichtbaren Helfer. O, er wehrt sich, er schluchzt, er ringt die Hände, er schlägt<lb/> nach dem Gesinde!, das ihn anfällt. Aber er bleibt nicht Sieger, die Anzahl der<lb/> Feinde wird immer größer, ihre Angriffe immer heftiger, bis sie ihn endlich her¬<lb/> unterwerfen, verjagen oder umbringen und sich an seiner Statt der Künstlerin an<lb/> die Sohlen heften. So wächst dem jungen Weib aus jeder Rolle ein Feind ihres<lb/> Lebens und so lange sie athmet, hat sie zu kämpfen mit den Gebilden, die sie<lb/> selbst geschaffen. Und deshalb ist sie dem Theater verfallen so lange sie athmet,<lb/> sie mag den bunten Flitterstaat wegwerfen, sich die Schürze einer Hausfrau um¬<lb/> binden, und ihr unschuldiges Kind zur Abwehr an das Herz drücken, ja mag sie<lb/> selbst unter den Baldachin eines fürstlichen Thrones steigen oder ihr Haupt auf<lb/> das Betpult einer Klosterzelle legen, überall und überall zieht sie's fort, zurück in<lb/> die Aufregung, in die Wonne und das Weh der Coulissen zurück. Während ihr<lb/> Gatte sie küßt, erinnern die Dämonen ihres Spiels an den Liebesrausch der<lb/> Rollen und währ-end ihr Kind spielend ein Haar der Mutter herunterzieht, ziehn<lb/> die Soffitcuteusel an allen andern Haaren zurück zu der gespenstigen Stätte, wo<lb/> das Herz am stärksten schlug und die Freiheit am schönsten war. — Es sind jetzt<lb/> 50 Jahre, da trat Angelika Catalani aus dem Kreuzgange des römischen Nonnen¬<lb/> klosters heran an den kleinen Wagen, auf dem sie ihr Maestro Boselli in die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0066]
zerschmettert auf dem Teppich, den eure Schmeichelei unter ihre Sohle» gebreitet
hat. Und wenn ihr hundert Jcihre lang Champagner trinkt oder Mohnsast ein¬
nehme, ihr empfindet in allen euren Träumen nicht, was ein Weib vom Theater
wachend erlebt. Geht den Spuren ihres Schicksals nach, wie sie sich hier und
da in Anekdoten, Erzählungen, Reminiscenzen ihrer Zeitgenossen abdrücken, und
ihr werdet überall eine Fülle von Leben, einen ewigen Kampf, oft ein furchtbares
Verhängniß finden. Es ist etwas Gespenstiges dabei; glaubt mir, es gibt ein
Grauen auch hinter den Coulissen und auf dem prosaischen Schnürboden unsers
Theaters. Nehmt an, jeder Mensch habe seinen Engel, einen kleinen getreuen
Hausgeist, der über ihm schwebt, ihm die Steine ans dem Wege sucht, ein wei¬
ches Taschentuch an die weinenden Augen drückt, das trockne Brot in Kuchen
verwandelt und mit einem weichen Zauberpinsel emsig Gold und Noth ans die
grauen Wände malt. Gut, auch das Weib, welches zum Theater geht, hat einen
solchen Engel, der mit ihr plaudert, wenn die alten Kirchenglocken läuten, und
sie am Ohrläppchen zieht, wenn sie einem schwarzen Schnurrbart nachsieht.
Sobald sie die Bühne betritt, und der Vorhang aufgeht, fliegt dieser kleine
Geist auf die Soffiten und sitzt bedenklich und verlegen über ihr. Aber jede Rolle,
welche sie unten dem Publikum vorspielt, jeder Charakter, jede Leidenschaft, welche
in ihr lebendig wird, erhält ein Leben auch außer ihr, zieht wie ein Rauch, wie
ein Kobold nach der Höhe, und fängt Streit an mit ihrem Schutzgeist. Was sie
unten darstellt von Lastern und Tugenden, von Frende und Schmerz, das schwebt
schattenhaft über ihr und zieht höhnend und grinsend seine Kreise um ihren un¬
sichtbaren Helfer. O, er wehrt sich, er schluchzt, er ringt die Hände, er schlägt
nach dem Gesinde!, das ihn anfällt. Aber er bleibt nicht Sieger, die Anzahl der
Feinde wird immer größer, ihre Angriffe immer heftiger, bis sie ihn endlich her¬
unterwerfen, verjagen oder umbringen und sich an seiner Statt der Künstlerin an
die Sohlen heften. So wächst dem jungen Weib aus jeder Rolle ein Feind ihres
Lebens und so lange sie athmet, hat sie zu kämpfen mit den Gebilden, die sie
selbst geschaffen. Und deshalb ist sie dem Theater verfallen so lange sie athmet,
sie mag den bunten Flitterstaat wegwerfen, sich die Schürze einer Hausfrau um¬
binden, und ihr unschuldiges Kind zur Abwehr an das Herz drücken, ja mag sie
selbst unter den Baldachin eines fürstlichen Thrones steigen oder ihr Haupt auf
das Betpult einer Klosterzelle legen, überall und überall zieht sie's fort, zurück in
die Aufregung, in die Wonne und das Weh der Coulissen zurück. Während ihr
Gatte sie küßt, erinnern die Dämonen ihres Spiels an den Liebesrausch der
Rollen und währ-end ihr Kind spielend ein Haar der Mutter herunterzieht, ziehn
die Soffitcuteusel an allen andern Haaren zurück zu der gespenstigen Stätte, wo
das Herz am stärksten schlug und die Freiheit am schönsten war. — Es sind jetzt
50 Jahre, da trat Angelika Catalani aus dem Kreuzgange des römischen Nonnen¬
klosters heran an den kleinen Wagen, auf dem sie ihr Maestro Boselli in die
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |