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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Ein anderes Beispiel, diesmal ein Poet, ein Dilettant in dem politischen
Wesen. Ferdinand Freiligrath, der Sänger afrikanischer Visionen, die er
aus Reisebeschreibungen geschöpft hatte, war mit Georg Herweg!) in eine lite¬
rarische Fehde gerathen, weil er meinte, der Dichter stehe anf einer höhern Warte,
als auf den Zinnen der Partei. Herwegh, wie es Sitte l'el den Radikalen ist,
wenn ihnen die Gründe ausgehen, war grob geworden, er hatte Freiligrath einen
Bedienten genannt. Ein eigensinniger Charakter wäre dadurch nur noch weiter
in die Reaction getrieben worden, bei dem aufrichtigen Enthusiasten wirkte es
anders, er schlug plötzlich um, predigte die rothe Republik, den Socialismus,
pflanzte die Fahne der absoluten Revolution aus und schob bei den Leipziger
Augustercignissen der sächsischen Regierung die Absicht in die Schuhe, in einer
neuen Bartholomäusnacht alle Liberalen zu vertilgen, von den Radikalen des
Stolpeschen Bicrhauses an bis zu den Biedermännern. War er nun dadurch ein
anderer geworden? Nicht doch! Es kam ihm jetzt nur poetischer vor, ein Jacobi-
ner zu sein, als ein wandernder Kosmopolit; mit Recht, denn die unmittelbare
Begeisterung für Freiheit, Vaterland, Guillotine u. s. w. ist laugathmiger als das
vermittelte Entzücken über die Wüste Sahara, die Ashantees und die Gewürze
an der Küste Malabar und Coromandel, denn sie ist concreter. Von dem Staat
ist es Unrecht gewesen, ihn in diesen Ergießungen zu stören, und es wird eine
Zeit kommen, wo man es dem Lyriker ebensowenig verargen wird, wenn er sich
sür das Verbrechen als solches in's Feuer setzt, wie man es Goethe übel nahm,
wenn er das Evangelium der Liederlichkeit verkündete. Freilich wird man dann
anch nicht so viel Gewicht darauf legen, wenn ein Saulus aus lyrischem Wege
ein Paulus wird, wie es unsere unerfahrene Jugend gethan hat.

In der Mitte zwischen dem praktischen Staatsmann und dem lyrischen En¬
thusiasten steht eine romantische Erscheinung, deren politische Stellung im Lauf der
letzten Revolution deutlich genng zu erkennen gibt, wieviel Romantik wir noch zu
verarbeiten haben, ehe es bei uns zu einer klaren Verständigung über das kommen
kann, was wir eigentlich zu erreichen haben: Alfons von Lamartine. Zu¬
gleich in den Traditionen des alten Adels und der Aufklärung auserwachseu, durch
seiue poetische Natur vorzugsweise zu Rousseau hingezogen, brachten ihn die äußern
Umstände im Anfang seiner Laufbahn zum Haß des Kaiserreichs. Er war also
ein Anhänger der Bonrbans. Dann herrschte das poetische nud überhaupt lite¬
rarische Interesse vor, b-s er nach der Julirevolution seinen Platz auf der rechten
Seite fand, und zwar, wie es dem Edelmann ziemt, mit etwas mehr Hinneigun¬
gen zur alten Monarchie, als sie in dem bürgerlichen Ministerium Louis Philipp's
vorhanden waren. Die kcämerhafte Politik der Regierung trieb ihn in die Oppo¬
sition; I-^ !l>i>u,,'.(; s'tmiuuo! damit war das herrschende System verurtheilt. Er
erging sich in politischen Dithyramben, die in Frankreich mehr galten, als selbst
in Deutschland, weil dort auch der Bourgeois durch einen schönen Styl verblendet


Ein anderes Beispiel, diesmal ein Poet, ein Dilettant in dem politischen
Wesen. Ferdinand Freiligrath, der Sänger afrikanischer Visionen, die er
aus Reisebeschreibungen geschöpft hatte, war mit Georg Herweg!) in eine lite¬
rarische Fehde gerathen, weil er meinte, der Dichter stehe anf einer höhern Warte,
als auf den Zinnen der Partei. Herwegh, wie es Sitte l'el den Radikalen ist,
wenn ihnen die Gründe ausgehen, war grob geworden, er hatte Freiligrath einen
Bedienten genannt. Ein eigensinniger Charakter wäre dadurch nur noch weiter
in die Reaction getrieben worden, bei dem aufrichtigen Enthusiasten wirkte es
anders, er schlug plötzlich um, predigte die rothe Republik, den Socialismus,
pflanzte die Fahne der absoluten Revolution aus und schob bei den Leipziger
Augustercignissen der sächsischen Regierung die Absicht in die Schuhe, in einer
neuen Bartholomäusnacht alle Liberalen zu vertilgen, von den Radikalen des
Stolpeschen Bicrhauses an bis zu den Biedermännern. War er nun dadurch ein
anderer geworden? Nicht doch! Es kam ihm jetzt nur poetischer vor, ein Jacobi-
ner zu sein, als ein wandernder Kosmopolit; mit Recht, denn die unmittelbare
Begeisterung für Freiheit, Vaterland, Guillotine u. s. w. ist laugathmiger als das
vermittelte Entzücken über die Wüste Sahara, die Ashantees und die Gewürze
an der Küste Malabar und Coromandel, denn sie ist concreter. Von dem Staat
ist es Unrecht gewesen, ihn in diesen Ergießungen zu stören, und es wird eine
Zeit kommen, wo man es dem Lyriker ebensowenig verargen wird, wenn er sich
sür das Verbrechen als solches in's Feuer setzt, wie man es Goethe übel nahm,
wenn er das Evangelium der Liederlichkeit verkündete. Freilich wird man dann
anch nicht so viel Gewicht darauf legen, wenn ein Saulus aus lyrischem Wege
ein Paulus wird, wie es unsere unerfahrene Jugend gethan hat.

In der Mitte zwischen dem praktischen Staatsmann und dem lyrischen En¬
thusiasten steht eine romantische Erscheinung, deren politische Stellung im Lauf der
letzten Revolution deutlich genng zu erkennen gibt, wieviel Romantik wir noch zu
verarbeiten haben, ehe es bei uns zu einer klaren Verständigung über das kommen
kann, was wir eigentlich zu erreichen haben: Alfons von Lamartine. Zu¬
gleich in den Traditionen des alten Adels und der Aufklärung auserwachseu, durch
seiue poetische Natur vorzugsweise zu Rousseau hingezogen, brachten ihn die äußern
Umstände im Anfang seiner Laufbahn zum Haß des Kaiserreichs. Er war also
ein Anhänger der Bonrbans. Dann herrschte das poetische nud überhaupt lite¬
rarische Interesse vor, b-s er nach der Julirevolution seinen Platz auf der rechten
Seite fand, und zwar, wie es dem Edelmann ziemt, mit etwas mehr Hinneigun¬
gen zur alten Monarchie, als sie in dem bürgerlichen Ministerium Louis Philipp's
vorhanden waren. Die kcämerhafte Politik der Regierung trieb ihn in die Oppo¬
sition; I-^ !l>i>u,,'.(; s'tmiuuo! damit war das herrschende System verurtheilt. Er
erging sich in politischen Dithyramben, die in Frankreich mehr galten, als selbst
in Deutschland, weil dort auch der Bourgeois durch einen schönen Styl verblendet


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[0058] Ein anderes Beispiel, diesmal ein Poet, ein Dilettant in dem politischen Wesen. Ferdinand Freiligrath, der Sänger afrikanischer Visionen, die er aus Reisebeschreibungen geschöpft hatte, war mit Georg Herweg!) in eine lite¬ rarische Fehde gerathen, weil er meinte, der Dichter stehe anf einer höhern Warte, als auf den Zinnen der Partei. Herwegh, wie es Sitte l'el den Radikalen ist, wenn ihnen die Gründe ausgehen, war grob geworden, er hatte Freiligrath einen Bedienten genannt. Ein eigensinniger Charakter wäre dadurch nur noch weiter in die Reaction getrieben worden, bei dem aufrichtigen Enthusiasten wirkte es anders, er schlug plötzlich um, predigte die rothe Republik, den Socialismus, pflanzte die Fahne der absoluten Revolution aus und schob bei den Leipziger Augustercignissen der sächsischen Regierung die Absicht in die Schuhe, in einer neuen Bartholomäusnacht alle Liberalen zu vertilgen, von den Radikalen des Stolpeschen Bicrhauses an bis zu den Biedermännern. War er nun dadurch ein anderer geworden? Nicht doch! Es kam ihm jetzt nur poetischer vor, ein Jacobi- ner zu sein, als ein wandernder Kosmopolit; mit Recht, denn die unmittelbare Begeisterung für Freiheit, Vaterland, Guillotine u. s. w. ist laugathmiger als das vermittelte Entzücken über die Wüste Sahara, die Ashantees und die Gewürze an der Küste Malabar und Coromandel, denn sie ist concreter. Von dem Staat ist es Unrecht gewesen, ihn in diesen Ergießungen zu stören, und es wird eine Zeit kommen, wo man es dem Lyriker ebensowenig verargen wird, wenn er sich sür das Verbrechen als solches in's Feuer setzt, wie man es Goethe übel nahm, wenn er das Evangelium der Liederlichkeit verkündete. Freilich wird man dann anch nicht so viel Gewicht darauf legen, wenn ein Saulus aus lyrischem Wege ein Paulus wird, wie es unsere unerfahrene Jugend gethan hat. In der Mitte zwischen dem praktischen Staatsmann und dem lyrischen En¬ thusiasten steht eine romantische Erscheinung, deren politische Stellung im Lauf der letzten Revolution deutlich genng zu erkennen gibt, wieviel Romantik wir noch zu verarbeiten haben, ehe es bei uns zu einer klaren Verständigung über das kommen kann, was wir eigentlich zu erreichen haben: Alfons von Lamartine. Zu¬ gleich in den Traditionen des alten Adels und der Aufklärung auserwachseu, durch seiue poetische Natur vorzugsweise zu Rousseau hingezogen, brachten ihn die äußern Umstände im Anfang seiner Laufbahn zum Haß des Kaiserreichs. Er war also ein Anhänger der Bonrbans. Dann herrschte das poetische nud überhaupt lite¬ rarische Interesse vor, b-s er nach der Julirevolution seinen Platz auf der rechten Seite fand, und zwar, wie es dem Edelmann ziemt, mit etwas mehr Hinneigun¬ gen zur alten Monarchie, als sie in dem bürgerlichen Ministerium Louis Philipp's vorhanden waren. Die kcämerhafte Politik der Regierung trieb ihn in die Oppo¬ sition; I-^ !l>i>u,,'.(; s'tmiuuo! damit war das herrschende System verurtheilt. Er erging sich in politischen Dithyramben, die in Frankreich mehr galten, als selbst in Deutschland, weil dort auch der Bourgeois durch einen schönen Styl verblendet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/58>, abgerufen am 11.02.2025.