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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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konservative Richtung verfolgt. Er hatte, nachdem durch die Reformbill die alte
Torypartei gefallen war, die Reste der conservativen Partei unter seiner Führung
wieder gesammelt, und dieselbe in kurzer Zeit so gestärkt, daß er mit ihrer Hilfe
das Steuerruder Englands auf's Neue ergreifen konnte. Unter den die Aristo¬
kratie begünstigenden Bestimmungen waren die Korngesetze diejenigen, welche er
und seine Partei am heftigsten gegen die Angriffe der Whigs und der Radikalen
vertheidigt hatte. Nun änderte sich plötzlich seine Ueberzeugung, er erkannte, daß
sie uicht länger fortdauern könnten. Woher diese Veränderung kam, ob er über
die Zweckmäßigkeit derselben überhaupt, oder nur' über ihre Haltbarkeit der öffent¬
lichen Meinung gegenüber eine andere Ansicht gewann, thut hier nichts zur Sache.
Genug, er erklärte öffentlich, daß er uach seinem allen System die Geschäfte nicht
länger führen könne, und legte, wie es die Convenienz erforderte, sein Amt in
die Hände seiner bisherigen politischen Gegner nieder, mit dem Versprechen, die-
selben in ihren Reformen zu unterstützen.

Es fand sich aber, daß die Wighö für den Augenblick uicht in der Lage wa¬
ren, ein Ministerium zu bilden. So sah sich denn Sir Robert Peel veranlaßt,
diese wichtigste Veränderung im Staatshaushalt, und damit in dem politischen
System Großbritanniens überhaupt, selber in die Hand zu nehmen. Mit Hilfe
derjenigen unter seinen Anhängern, welche theils aus persönlicher Anhänglichkeit,
theils durch Rücksichten politischer Nothwendigkeit bestimmt, ihm treu blieben, und
mit dem Beistand seiner bisherigen Gegner, setzte er die vollständige Abschaffung
der Korngesetze dnrch --, und ging darin weiter, als selbst die Whigs noch im
vorigen Jahre ihre Ansprüche zu spannen gewagt hatten.

Es war natürlich, daß dieser unerhörte Fall in einem Lande, welches mehr
als irgend ein anderes ans Tradition und Convenienz zu halten Pflegt, ein mit
einem gewissen Schauder verbundenes Aussehn erregte. Der Standard, welcher
noch kurze Zeit vorher Sir Robert als den größten Staatsmann aller Zeiten ge¬
feiert hatte, erklärte nun, wenn in diesem Menschen nur noch ein Funken von
Ehrgefühl vorhanden wäre, so würde er sich schon längst an den ersten besten
Baum aufgeknüpft haben. Im Parlament suchte man die ganze Vergangenheit
des Premier zusammen, um dieselbe als ein unausgesetztes Gewebe von Verrath
und Meineid darzustellen. Schon im Jahr 1829 hatte er die Emancipation der
Katholiken, die er in der Opposition lebhast bekämpft, als Minister durchgesetzt.
Damals war aber der bei weitem größere Theil der Partei ihm treu geblieben.
Man warf nun auf seine ganze politische Laufbahn den Verdacht, er sei überall
lediglich durch Ehrgeiz und andere persönliche Motive, nie durch wahrhaft sittliche
Ueberzeugungen bestimmt worden.

Peel selber erklärte es für eine Kalamität, daß gerade er es sein müsse, dem
die Durchführung des so lange von ihm bekämpften Systems übertragen wäre.
Und das war es auch, nicht weil die politische Convenienz verletzt wurde, denn


konservative Richtung verfolgt. Er hatte, nachdem durch die Reformbill die alte
Torypartei gefallen war, die Reste der conservativen Partei unter seiner Führung
wieder gesammelt, und dieselbe in kurzer Zeit so gestärkt, daß er mit ihrer Hilfe
das Steuerruder Englands auf's Neue ergreifen konnte. Unter den die Aristo¬
kratie begünstigenden Bestimmungen waren die Korngesetze diejenigen, welche er
und seine Partei am heftigsten gegen die Angriffe der Whigs und der Radikalen
vertheidigt hatte. Nun änderte sich plötzlich seine Ueberzeugung, er erkannte, daß
sie uicht länger fortdauern könnten. Woher diese Veränderung kam, ob er über
die Zweckmäßigkeit derselben überhaupt, oder nur' über ihre Haltbarkeit der öffent¬
lichen Meinung gegenüber eine andere Ansicht gewann, thut hier nichts zur Sache.
Genug, er erklärte öffentlich, daß er uach seinem allen System die Geschäfte nicht
länger führen könne, und legte, wie es die Convenienz erforderte, sein Amt in
die Hände seiner bisherigen politischen Gegner nieder, mit dem Versprechen, die-
selben in ihren Reformen zu unterstützen.

Es fand sich aber, daß die Wighö für den Augenblick uicht in der Lage wa¬
ren, ein Ministerium zu bilden. So sah sich denn Sir Robert Peel veranlaßt,
diese wichtigste Veränderung im Staatshaushalt, und damit in dem politischen
System Großbritanniens überhaupt, selber in die Hand zu nehmen. Mit Hilfe
derjenigen unter seinen Anhängern, welche theils aus persönlicher Anhänglichkeit,
theils durch Rücksichten politischer Nothwendigkeit bestimmt, ihm treu blieben, und
mit dem Beistand seiner bisherigen Gegner, setzte er die vollständige Abschaffung
der Korngesetze dnrch —, und ging darin weiter, als selbst die Whigs noch im
vorigen Jahre ihre Ansprüche zu spannen gewagt hatten.

Es war natürlich, daß dieser unerhörte Fall in einem Lande, welches mehr
als irgend ein anderes ans Tradition und Convenienz zu halten Pflegt, ein mit
einem gewissen Schauder verbundenes Aussehn erregte. Der Standard, welcher
noch kurze Zeit vorher Sir Robert als den größten Staatsmann aller Zeiten ge¬
feiert hatte, erklärte nun, wenn in diesem Menschen nur noch ein Funken von
Ehrgefühl vorhanden wäre, so würde er sich schon längst an den ersten besten
Baum aufgeknüpft haben. Im Parlament suchte man die ganze Vergangenheit
des Premier zusammen, um dieselbe als ein unausgesetztes Gewebe von Verrath
und Meineid darzustellen. Schon im Jahr 1829 hatte er die Emancipation der
Katholiken, die er in der Opposition lebhast bekämpft, als Minister durchgesetzt.
Damals war aber der bei weitem größere Theil der Partei ihm treu geblieben.
Man warf nun auf seine ganze politische Laufbahn den Verdacht, er sei überall
lediglich durch Ehrgeiz und andere persönliche Motive, nie durch wahrhaft sittliche
Ueberzeugungen bestimmt worden.

Peel selber erklärte es für eine Kalamität, daß gerade er es sein müsse, dem
die Durchführung des so lange von ihm bekämpften Systems übertragen wäre.
Und das war es auch, nicht weil die politische Convenienz verletzt wurde, denn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/56>, abgerufen am 05.02.2025.