Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.würden daher aufgefordert, gegen dieses boshafte Gesindel auszuziehn. Da nun Die Moskowiter faßten die Sache so auf, als sei wiederum, wie im Jahr Bald, sehr bald erlosch aber nicht nur im Volke, sondern anch bei den Ge¬ Fast unerwartet war es daher, als der neue Frühling auch neues Leben Im Fall einer siegreichen Erhebung der polnischen Waffen, fürchtete der ge- 6*
würden daher aufgefordert, gegen dieses boshafte Gesindel auszuziehn. Da nun Die Moskowiter faßten die Sache so auf, als sei wiederum, wie im Jahr Bald, sehr bald erlosch aber nicht nur im Volke, sondern anch bei den Ge¬ Fast unerwartet war es daher, als der neue Frühling auch neues Leben Im Fall einer siegreichen Erhebung der polnischen Waffen, fürchtete der ge- 6*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0051" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279077"/> <p xml:id="ID_134" prev="#ID_133"> würden daher aufgefordert, gegen dieses boshafte Gesindel auszuziehn. Da nun<lb/> einige wenige Deutsche, Apotheker, Fabrikanten und Oekonomen dort wohnten,<lb/> stürmte das Volk geraden Wegs ans der Kirche gegen deren Wohnungen, um an<lb/> diesen zuerst ein Exempel russischer Volksjustiz zu statuiren. Glücklicherweise war<lb/> der Gouverneur ein zu aufgeklärter Maun, um, wie manche andere es wohl ge¬<lb/> than hätten, seinen ächtrussischen Deutschcubaß befriedigen zu lassen, indem er für<lb/> den bedauerlichen Vorfall sich anßer Verantwortung erklärt hätte, er ließ wirklich<lb/> rechtzeitig das Militär einschreiten, und einigen Hauptschrciern mittelst der Ptene<lb/> (die statt der härteren Knute jetzt allgemein eingeführt ist) die richtige Auslegung<lb/> der kaiserlichen Worte beibringen.</p><lb/> <p xml:id="ID_135"> Die Moskowiter faßten die Sache so auf, als sei wiederum, wie im Jahr<lb/> 1812, ein Einfall der Gallier und zwanzig mit ihnen verbündeter Völkerschaften<lb/> (unter dieser Bezeichnung führt alljährlich der offizielle, von der kaiserlichen Aka¬<lb/> demie in Se. Petersburg herausgegebene Petersburger Kalender den Zug Napo¬<lb/> leons nnter den Hanptereignissen aus der russischen Geschichte auf) zu befürchten,<lb/> und waren bereit, wie damals Gut und Blut zu opfern, um deu Feind wieder<lb/> zu vertreiben.</p><lb/> <p xml:id="ID_136"> Bald, sehr bald erlosch aber nicht nur im Volke, sondern anch bei den Ge¬<lb/> bildeten und den Fremden das Interesse an alleu europäischen Angelegenheiten,<lb/> da statt der erwarteten großartigen Ereignisse jene Ermattung der Parteien und<lb/> die kriechende Reaction eintrat. Nur die beständigen Truppendurchzüge nach Polen<lb/> erinnerten daran, daß am westlichen Himmel die Gewitterwolken noch standen.<lb/> An die Stelle der Theilnahme oder Erregung trat der kalte Spott über die hei߬<lb/> blutigen Enthusiasten des Frühlings und Sommers; Mitleid mit den Thoren,<lb/> welche von freiem Glücke unruhig geträumt hatten, das die väterlich-polizeiliche<lb/> Milde und Sorgfalt ihnen bei festerem Schlafe in den Schooß geschüttet hätte.</p><lb/> <p xml:id="ID_137"> Fast unerwartet war es daher, als der neue Frühling auch neues Leben<lb/> brachte. Die siegreichen Fortschritte der Ungarn beunruhigten das Petersburger<lb/> Kabinet, und zogen die Aufmerksamkeit des Volkes in Rußland um so mehr auf<lb/> sich, als die Züge nach Galizien, die starke Vertretung der polnischen Nationalität<lb/> in der ungarischen Armee und die mehrfach entdeckten Sympathien in Polen selbst<lb/> deu genauen Zusammenhang zwischen Magyaren und Polen erkennen ließen. Das<lb/> Polenthnm aber wird selbst vom russischen Bauer als das Urelement alles Widrigen<lb/> eingesehn, so daß z. B. die herkömmlich angenommenen Brnnncnvergistnngen bei<lb/> der Cholera wie in vielen deutschen Städten den Juden, so in Nußland den<lb/> Polen zur Last gelegt werden; ja bei der großen Feuersbrunst in Kostroma ließ<lb/> der Gouverneur, ein Bartrusse von altem Schrot und Korn, einige dort ansässige<lb/> Polen, die selbst bei dem Unglück viel verloren hatten, ohne Weiteres als Brand¬<lb/> stifter einziehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_138" next="#ID_139"> Im Fall einer siegreichen Erhebung der polnischen Waffen, fürchtete der ge-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 6*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0051]
würden daher aufgefordert, gegen dieses boshafte Gesindel auszuziehn. Da nun
einige wenige Deutsche, Apotheker, Fabrikanten und Oekonomen dort wohnten,
stürmte das Volk geraden Wegs ans der Kirche gegen deren Wohnungen, um an
diesen zuerst ein Exempel russischer Volksjustiz zu statuiren. Glücklicherweise war
der Gouverneur ein zu aufgeklärter Maun, um, wie manche andere es wohl ge¬
than hätten, seinen ächtrussischen Deutschcubaß befriedigen zu lassen, indem er für
den bedauerlichen Vorfall sich anßer Verantwortung erklärt hätte, er ließ wirklich
rechtzeitig das Militär einschreiten, und einigen Hauptschrciern mittelst der Ptene
(die statt der härteren Knute jetzt allgemein eingeführt ist) die richtige Auslegung
der kaiserlichen Worte beibringen.
Die Moskowiter faßten die Sache so auf, als sei wiederum, wie im Jahr
1812, ein Einfall der Gallier und zwanzig mit ihnen verbündeter Völkerschaften
(unter dieser Bezeichnung führt alljährlich der offizielle, von der kaiserlichen Aka¬
demie in Se. Petersburg herausgegebene Petersburger Kalender den Zug Napo¬
leons nnter den Hanptereignissen aus der russischen Geschichte auf) zu befürchten,
und waren bereit, wie damals Gut und Blut zu opfern, um deu Feind wieder
zu vertreiben.
Bald, sehr bald erlosch aber nicht nur im Volke, sondern anch bei den Ge¬
bildeten und den Fremden das Interesse an alleu europäischen Angelegenheiten,
da statt der erwarteten großartigen Ereignisse jene Ermattung der Parteien und
die kriechende Reaction eintrat. Nur die beständigen Truppendurchzüge nach Polen
erinnerten daran, daß am westlichen Himmel die Gewitterwolken noch standen.
An die Stelle der Theilnahme oder Erregung trat der kalte Spott über die hei߬
blutigen Enthusiasten des Frühlings und Sommers; Mitleid mit den Thoren,
welche von freiem Glücke unruhig geträumt hatten, das die väterlich-polizeiliche
Milde und Sorgfalt ihnen bei festerem Schlafe in den Schooß geschüttet hätte.
Fast unerwartet war es daher, als der neue Frühling auch neues Leben
brachte. Die siegreichen Fortschritte der Ungarn beunruhigten das Petersburger
Kabinet, und zogen die Aufmerksamkeit des Volkes in Rußland um so mehr auf
sich, als die Züge nach Galizien, die starke Vertretung der polnischen Nationalität
in der ungarischen Armee und die mehrfach entdeckten Sympathien in Polen selbst
deu genauen Zusammenhang zwischen Magyaren und Polen erkennen ließen. Das
Polenthnm aber wird selbst vom russischen Bauer als das Urelement alles Widrigen
eingesehn, so daß z. B. die herkömmlich angenommenen Brnnncnvergistnngen bei
der Cholera wie in vielen deutschen Städten den Juden, so in Nußland den
Polen zur Last gelegt werden; ja bei der großen Feuersbrunst in Kostroma ließ
der Gouverneur, ein Bartrusse von altem Schrot und Korn, einige dort ansässige
Polen, die selbst bei dem Unglück viel verloren hatten, ohne Weiteres als Brand¬
stifter einziehn.
Im Fall einer siegreichen Erhebung der polnischen Waffen, fürchtete der ge-
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