Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.Ein Ereigniß für Prag in jener politisch unbedeutenden und unmündigen Zeit, Rieger ist von hoher, schlanker Gestalt, jugendlich, vom Ansehen kräftig, doch Ein Ereigniß für Prag in jener politisch unbedeutenden und unmündigen Zeit, Rieger ist von hoher, schlanker Gestalt, jugendlich, vom Ansehen kräftig, doch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0508" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279534"/> <p xml:id="ID_1741"> Ein Ereigniß für Prag in jener politisch unbedeutenden und unmündigen Zeit,<lb/> und genügend, Riegern für eine Weile ein Stück einer Martyrglorie zu verschaf¬<lb/> fen. Rieger schrieb nun nach wie vor seine Theaterberichte und traf wirklich ver¬<lb/> dienstliche Vorbereitungen für die Errichtung eines selbstständigen czechischen Thea¬<lb/> ters , welches bis dahin von den Landständen des Königreichs Böhmens, den In¬<lb/> habern des einzigen TheaterprivilegiumS für die vier Prager Städte als ein bloßer<lb/> Appendix des deutschen Thaliatempels betrachtet und stiefmütterlich genug behan¬<lb/> delt worden war. In den Jahren 1845—47 begann Rieger als einer der tüch¬<lb/> tigsten Sprecher in dem Verein zur Ermunterung deS GewerbSgeistes die Aufmerk¬<lb/> samkeit des Publikums auf sich zu ziehe». Sein männliches Auftreten, seine klaren,<lb/> warmen und überzeugenden Reden im Interesse der damals beschlossenen czechischen<lb/> Gewerbschule verschafften ihm eine bedeutende Popularität. Im Herbste 1847<lb/> unternahm Rieger eine Reise nach Italien, und kam eben von Rom zurück, als die<lb/> zweite böhmische Deputation mit dem Kaiser und dem Minister Pillersdorf über die<lb/> Petitionen des Se. Wenzelscomitvs konferirte und nahm an diesen Unterhandlun¬<lb/> gen lebhaften Antheil (im April 1848). In Prag angelangt, ward er in das<lb/> Nationalcomitv gewählt. Den Slavencongreß half er mit vorbereiten, fungirte<lb/> aber in dessen Sitzungen nicht, da er bei der provisorischen Regierung, unter Graf<lb/> Leo Thun's Vorsitze beschäftigt war, zu welcher er mit Palaky, Graf Albert Nostitz,<lb/> Brauner, Graf Wnrmbraudt u. A. erkiesen worden. Seine wichtigste Thätigkeit be¬<lb/> ginnt mit dem Wiener Reichstage, bei welchem Rieger als Abgeordneter des böh¬<lb/> mischen Wahlbezirks Eisenbrod erschien.</p><lb/> <p xml:id="ID_1742" next="#ID_1743"> Rieger ist von hoher, schlanker Gestalt, jugendlich, vom Ansehen kräftig, doch<lb/> nicht von der blühendsten Gesundheit, seine Erscheinung wurde gehoben durch das<lb/> kleidsame, in dunkelen Farben gehaltene altslavische Kostüm, womit er sich in der<lb/> letztern Zeit zu putzen pflegte. Seine Gesichtsbildung ist eine angenehme, von aus¬<lb/> geprägt slavischem Typus und bleichem, nicht aber feinem Teint mit stechenden dun¬<lb/> keln Augen, üppigem uicht allzu langen Bart und dunkelbraunem leichtgekräuselteM<lb/> Haar. In seinem Benehmen ist er zierlich, plastisch, bisweilen affektirt, seine<lb/> Stimme ein schöner Bariton, biegsam und geschmeidig, seine Rede, im Deutschen<lb/> fast ebeu so gewandt wie im Czechischcn schwungvoll und wohl modulirt; seiue Aus¬<lb/> drucksweise, sonst klar und entschieden, litt in der letztern Zeit nicht selten an Ueber-<lb/> zierung und übertriebenen Pathos und ließ deu Inhalt seiner Vorträge nur zu oft<lb/> uuter der äußern rhetorischen Ausschmückung leiden. Am besten gelingt ihm der<lb/> gerade uicht wohlthuende Ausdruck des Hohns und stolzer Verachtung. Diese Ei¬<lb/> genthümlichkeit steht uns am unheimlichsten vor der Seele in jener nnheilschwan^<lb/> gern, verhängnißvollen Scene, als die Deputation der Ungarn, welche, wie sich<lb/> Borrosch ausdrückte, als die andere Hälfte des östreichische» Doppelaars an die<lb/> Pforten des Reichssaalcs klopfte — vo» der Kammer zumeist in Folge der Rie-<lb/> ger'sehen Rede abgewiesen wurde, weil man — etwas besseres zu thun hatte, als</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0508]
Ein Ereigniß für Prag in jener politisch unbedeutenden und unmündigen Zeit,
und genügend, Riegern für eine Weile ein Stück einer Martyrglorie zu verschaf¬
fen. Rieger schrieb nun nach wie vor seine Theaterberichte und traf wirklich ver¬
dienstliche Vorbereitungen für die Errichtung eines selbstständigen czechischen Thea¬
ters , welches bis dahin von den Landständen des Königreichs Böhmens, den In¬
habern des einzigen TheaterprivilegiumS für die vier Prager Städte als ein bloßer
Appendix des deutschen Thaliatempels betrachtet und stiefmütterlich genug behan¬
delt worden war. In den Jahren 1845—47 begann Rieger als einer der tüch¬
tigsten Sprecher in dem Verein zur Ermunterung deS GewerbSgeistes die Aufmerk¬
samkeit des Publikums auf sich zu ziehe». Sein männliches Auftreten, seine klaren,
warmen und überzeugenden Reden im Interesse der damals beschlossenen czechischen
Gewerbschule verschafften ihm eine bedeutende Popularität. Im Herbste 1847
unternahm Rieger eine Reise nach Italien, und kam eben von Rom zurück, als die
zweite böhmische Deputation mit dem Kaiser und dem Minister Pillersdorf über die
Petitionen des Se. Wenzelscomitvs konferirte und nahm an diesen Unterhandlun¬
gen lebhaften Antheil (im April 1848). In Prag angelangt, ward er in das
Nationalcomitv gewählt. Den Slavencongreß half er mit vorbereiten, fungirte
aber in dessen Sitzungen nicht, da er bei der provisorischen Regierung, unter Graf
Leo Thun's Vorsitze beschäftigt war, zu welcher er mit Palaky, Graf Albert Nostitz,
Brauner, Graf Wnrmbraudt u. A. erkiesen worden. Seine wichtigste Thätigkeit be¬
ginnt mit dem Wiener Reichstage, bei welchem Rieger als Abgeordneter des böh¬
mischen Wahlbezirks Eisenbrod erschien.
Rieger ist von hoher, schlanker Gestalt, jugendlich, vom Ansehen kräftig, doch
nicht von der blühendsten Gesundheit, seine Erscheinung wurde gehoben durch das
kleidsame, in dunkelen Farben gehaltene altslavische Kostüm, womit er sich in der
letztern Zeit zu putzen pflegte. Seine Gesichtsbildung ist eine angenehme, von aus¬
geprägt slavischem Typus und bleichem, nicht aber feinem Teint mit stechenden dun¬
keln Augen, üppigem uicht allzu langen Bart und dunkelbraunem leichtgekräuselteM
Haar. In seinem Benehmen ist er zierlich, plastisch, bisweilen affektirt, seine
Stimme ein schöner Bariton, biegsam und geschmeidig, seine Rede, im Deutschen
fast ebeu so gewandt wie im Czechischcn schwungvoll und wohl modulirt; seiue Aus¬
drucksweise, sonst klar und entschieden, litt in der letztern Zeit nicht selten an Ueber-
zierung und übertriebenen Pathos und ließ deu Inhalt seiner Vorträge nur zu oft
uuter der äußern rhetorischen Ausschmückung leiden. Am besten gelingt ihm der
gerade uicht wohlthuende Ausdruck des Hohns und stolzer Verachtung. Diese Ei¬
genthümlichkeit steht uns am unheimlichsten vor der Seele in jener nnheilschwan^
gern, verhängnißvollen Scene, als die Deputation der Ungarn, welche, wie sich
Borrosch ausdrückte, als die andere Hälfte des östreichische» Doppelaars an die
Pforten des Reichssaalcs klopfte — vo» der Kammer zumeist in Folge der Rie-
ger'sehen Rede abgewiesen wurde, weil man — etwas besseres zu thun hatte, als
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