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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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als Feinde des Staates betrachten, denn hinter ihnen steht die Majorität der
kaiserlichen Staatsbürger. Czechen, Ungarn, Italiener, die Hälfte der
Serben, die Hälfte der Polen, vielleicht ein Drittel der Deutschen!

Wahrlich, nie hat eine Regierung ein größeres Werk unternommen, als die
gegenwärtige des Kaiserstaates. Es ist eine Regierung der Minorität,
und sie soll gegen die Majorität der Völker und hier und da gegen Recht und
Menschenverstand regieren, umformen, die Völker "zur Freiheit" erziehen. Das
letzte wenigstens ist unmöglich.




Eine starke Regierung.



"In den Grundrechten fehlt das Bewußtsein des Oestreichers," rief der
adelige Wildner im Reichstage zu Kremsier und der Czeche Rieger gab ihm dafür
einen satyrischen Hieb, wir aber lachten über den drolligen Zweikampf, über die
barocke Loyalität des Einen, wie über die beißende Ironie des Andern, legten
jedoch auf das ergötzliche Schauspiel wenig Gewicht. Und nun ist es dahin
gekommen, daß grade in die Idee eines "östreichischen Bewußtseins" Sinn und
Wahrheit kommen muß, daß eine Regierung, welche das einige Reich neu begrün¬
den will, gerade darauf ihr Hauptaugenmerk zu richten hat, soll nicht die Zu¬
kunft Oestreichs trotz der gewaltigen Bayonnettmacht precär, der revolutionäre Trieb
hingegen fortwährend regsam in den Geistern bleiben. Denn mag Tyrannei noch
so viele Triumphe feiern und Siege erringen, die Stunden einer schlechten
Regierung sind gezählt, so schnell und bald thun uns Männer Noth, die den
befruchtenden Keim neuen Lebens in das Chaos unserer Gesetzlosigkeit werfen
und damit die unruhigen Geister bannen. Doch schnell müssen die Staatsmänner
dies erfassen, ehe sie in den zahllosen Irrwegen den Faden verlieren. Oestreich
hat seine Krisis in allen lichten und unheimlichen Schattirungen durchgemacht, und
scheint die Gefahr auch völlig vorüber, weil sie einmal unter den schwierigsten
Verhältnissen überstanden wurde; haben auch die nationalen Traumgebilde der
Phantasten einer rauheren Wirklichkeit das Feld geräumt, ihr dämonischer Schat¬
ten ist dennoch zurückgeblieben und wird das materielle Weltgetriebe so lange ver¬
düstern, bis die chaotische Völkermasse Oestreichs von einer solchen lebenskräftigen
Idee belebt sein wird, welche geeignet ist, den antagonistischen Drang geträum-
ter Bilder zu Paralysiren. Dies sollte die Aufgabe Jener sein, die das Palla¬
dium der Monarchie retten wollen, denn darin liegt eine größere Garantie der
östreichischen Zukunft, als im todten Buchstaben eines oktroyirten Gesetzes uLd


als Feinde des Staates betrachten, denn hinter ihnen steht die Majorität der
kaiserlichen Staatsbürger. Czechen, Ungarn, Italiener, die Hälfte der
Serben, die Hälfte der Polen, vielleicht ein Drittel der Deutschen!

Wahrlich, nie hat eine Regierung ein größeres Werk unternommen, als die
gegenwärtige des Kaiserstaates. Es ist eine Regierung der Minorität,
und sie soll gegen die Majorität der Völker und hier und da gegen Recht und
Menschenverstand regieren, umformen, die Völker „zur Freiheit" erziehen. Das
letzte wenigstens ist unmöglich.




Eine starke Regierung.



„In den Grundrechten fehlt das Bewußtsein des Oestreichers," rief der
adelige Wildner im Reichstage zu Kremsier und der Czeche Rieger gab ihm dafür
einen satyrischen Hieb, wir aber lachten über den drolligen Zweikampf, über die
barocke Loyalität des Einen, wie über die beißende Ironie des Andern, legten
jedoch auf das ergötzliche Schauspiel wenig Gewicht. Und nun ist es dahin
gekommen, daß grade in die Idee eines „östreichischen Bewußtseins" Sinn und
Wahrheit kommen muß, daß eine Regierung, welche das einige Reich neu begrün¬
den will, gerade darauf ihr Hauptaugenmerk zu richten hat, soll nicht die Zu¬
kunft Oestreichs trotz der gewaltigen Bayonnettmacht precär, der revolutionäre Trieb
hingegen fortwährend regsam in den Geistern bleiben. Denn mag Tyrannei noch
so viele Triumphe feiern und Siege erringen, die Stunden einer schlechten
Regierung sind gezählt, so schnell und bald thun uns Männer Noth, die den
befruchtenden Keim neuen Lebens in das Chaos unserer Gesetzlosigkeit werfen
und damit die unruhigen Geister bannen. Doch schnell müssen die Staatsmänner
dies erfassen, ehe sie in den zahllosen Irrwegen den Faden verlieren. Oestreich
hat seine Krisis in allen lichten und unheimlichen Schattirungen durchgemacht, und
scheint die Gefahr auch völlig vorüber, weil sie einmal unter den schwierigsten
Verhältnissen überstanden wurde; haben auch die nationalen Traumgebilde der
Phantasten einer rauheren Wirklichkeit das Feld geräumt, ihr dämonischer Schat¬
ten ist dennoch zurückgeblieben und wird das materielle Weltgetriebe so lange ver¬
düstern, bis die chaotische Völkermasse Oestreichs von einer solchen lebenskräftigen
Idee belebt sein wird, welche geeignet ist, den antagonistischen Drang geträum-
ter Bilder zu Paralysiren. Dies sollte die Aufgabe Jener sein, die das Palla¬
dium der Monarchie retten wollen, denn darin liegt eine größere Garantie der
östreichischen Zukunft, als im todten Buchstaben eines oktroyirten Gesetzes uLd


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[0503] als Feinde des Staates betrachten, denn hinter ihnen steht die Majorität der kaiserlichen Staatsbürger. Czechen, Ungarn, Italiener, die Hälfte der Serben, die Hälfte der Polen, vielleicht ein Drittel der Deutschen! Wahrlich, nie hat eine Regierung ein größeres Werk unternommen, als die gegenwärtige des Kaiserstaates. Es ist eine Regierung der Minorität, und sie soll gegen die Majorität der Völker und hier und da gegen Recht und Menschenverstand regieren, umformen, die Völker „zur Freiheit" erziehen. Das letzte wenigstens ist unmöglich. Eine starke Regierung. „In den Grundrechten fehlt das Bewußtsein des Oestreichers," rief der adelige Wildner im Reichstage zu Kremsier und der Czeche Rieger gab ihm dafür einen satyrischen Hieb, wir aber lachten über den drolligen Zweikampf, über die barocke Loyalität des Einen, wie über die beißende Ironie des Andern, legten jedoch auf das ergötzliche Schauspiel wenig Gewicht. Und nun ist es dahin gekommen, daß grade in die Idee eines „östreichischen Bewußtseins" Sinn und Wahrheit kommen muß, daß eine Regierung, welche das einige Reich neu begrün¬ den will, gerade darauf ihr Hauptaugenmerk zu richten hat, soll nicht die Zu¬ kunft Oestreichs trotz der gewaltigen Bayonnettmacht precär, der revolutionäre Trieb hingegen fortwährend regsam in den Geistern bleiben. Denn mag Tyrannei noch so viele Triumphe feiern und Siege erringen, die Stunden einer schlechten Regierung sind gezählt, so schnell und bald thun uns Männer Noth, die den befruchtenden Keim neuen Lebens in das Chaos unserer Gesetzlosigkeit werfen und damit die unruhigen Geister bannen. Doch schnell müssen die Staatsmänner dies erfassen, ehe sie in den zahllosen Irrwegen den Faden verlieren. Oestreich hat seine Krisis in allen lichten und unheimlichen Schattirungen durchgemacht, und scheint die Gefahr auch völlig vorüber, weil sie einmal unter den schwierigsten Verhältnissen überstanden wurde; haben auch die nationalen Traumgebilde der Phantasten einer rauheren Wirklichkeit das Feld geräumt, ihr dämonischer Schat¬ ten ist dennoch zurückgeblieben und wird das materielle Weltgetriebe so lange ver¬ düstern, bis die chaotische Völkermasse Oestreichs von einer solchen lebenskräftigen Idee belebt sein wird, welche geeignet ist, den antagonistischen Drang geträum- ter Bilder zu Paralysiren. Dies sollte die Aufgabe Jener sein, die das Palla¬ dium der Monarchie retten wollen, denn darin liegt eine größere Garantie der östreichischen Zukunft, als im todten Buchstaben eines oktroyirten Gesetzes uLd

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/503>, abgerufen am 05.02.2025.