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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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nicht gewahr wird. Deutsche und Polen, die sich zum ersten Male sehen, leben
sich im öffentlichen Gesellschaftshause oft so in und an einander, daß man der
Meinung wird, sie müssen Leute ein und derselben Nation und alte Freunde sein.
Der Pole besitzt Schroffheit und etwas Abstoßendes, dies aber verschwindet von
ihm gänzlich, sobald er auf den Schauplatz der Gesellschaft tritt. Hier ist er
Freund ohne Rücksicht, und will er den Stolz eines gewissen Vorrangs genießen,
so thut er das, indem er seine Freundschaft bis zur gewaltsamsten und eigensin¬
nigsten Aufopferung erweitert. Der Schade, den seine Börse dadurch nimmt,
kümmert ihn wenig.

Schreitet man durch die öffentlichen Gesellschaftshäuscr, so wird man der
Meinung, Polen und Deutsche leben in der schönsten Verbindung. Allein man
hat eigentlich nur den natürlichen Drang beider zu einander wahrgenommen und
sich getäuscht. Eine wirkliche Verbindung, wie sie vor der Revolution statt gesun¬
den, ist jetzt nicht vorhanden. Eine gewisse Scheu bewirkt einen Spalt zwischen
beiden, welcher eine wahre und erquickende Vertraulichkeit verhindert. ES ist
dies nicht die Scheu beider vor einander, sondern die Schen vor den Russen.
Ueberall in Warschau schweben sie als Gespenst, auch da, wo von ihnen nichts
wirklich zu erblicken ist. Indem sich der Deutsche dem Polen freundlich nähert,
tritt der Gedanke, sich dadurch vor der russischen Partei zu compromittiren, als
beängstigendes Gespenst vor ihn hin. Er saßt Muth, schlägt dem Gespenst in's
Gesicht und reicht dem Polen freundlich die Hand; aber das Herz hat einen
Druck erlitten, ist nicht mehr gesund und frei und die Gesellschaft gewährt ihm
keinen Genuß mehr. Aehnlich umgekehrt. Man schließt sich an einander an,
aber der Anschluß ist nicht unbefangen. Wo die Gesellschaft gemischter ist, wo
"und Nüssen einen Theil ausmachen, da verändert sich das Verhältniß ganz, da
Ziehen sich die Polen zurück und bilden eine Gesellschaft für sich, aber eine sehr
stille, mißvergnügte, düstere. Sie weisen jede Annäherung mit finsterem Stolze
zurück. In ähnlicher Weise sondern sich auch die Deutschen, und währeud sie
hier keinen geselligen Verkehr wagen, um sich nicht politisch zu compromittiren,
vermeiden sie ihn dort, um nicht das Unangenehme einer untergeordneten Stel¬
lung zu empfinden. Die Russen pflegen dann die große Rolle auf eigene
H""d zu spielen, sich von fern aufzublähen und Lärm nach Herzenslust zu
wachen. In Folge dessen pflegt sich aber das Local schnell zu entvölkern. Die
P"im gehen, die Deutschen folgen zum Theil: und die Männer der großen Rolle
haben nun das Vergnügen, nicht mehr in warschanischcr, sondern rein russischer
Gesellschaft zu sei", in welcher natürlich ihre Rolle nicht mehr gilt.

Das unangenehme Gefühl, geflohen zu werden, ist die Ursache, daß die
Russen offene Gesellschaftsvrte meiden. Nur in den Gesellschastsgärten finden sie
sich bisweilen zahlreich ein. Doch wie überall verderben oder vernichten sie auch^""


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nicht gewahr wird. Deutsche und Polen, die sich zum ersten Male sehen, leben
sich im öffentlichen Gesellschaftshause oft so in und an einander, daß man der
Meinung wird, sie müssen Leute ein und derselben Nation und alte Freunde sein.
Der Pole besitzt Schroffheit und etwas Abstoßendes, dies aber verschwindet von
ihm gänzlich, sobald er auf den Schauplatz der Gesellschaft tritt. Hier ist er
Freund ohne Rücksicht, und will er den Stolz eines gewissen Vorrangs genießen,
so thut er das, indem er seine Freundschaft bis zur gewaltsamsten und eigensin¬
nigsten Aufopferung erweitert. Der Schade, den seine Börse dadurch nimmt,
kümmert ihn wenig.

Schreitet man durch die öffentlichen Gesellschaftshäuscr, so wird man der
Meinung, Polen und Deutsche leben in der schönsten Verbindung. Allein man
hat eigentlich nur den natürlichen Drang beider zu einander wahrgenommen und
sich getäuscht. Eine wirkliche Verbindung, wie sie vor der Revolution statt gesun¬
den, ist jetzt nicht vorhanden. Eine gewisse Scheu bewirkt einen Spalt zwischen
beiden, welcher eine wahre und erquickende Vertraulichkeit verhindert. ES ist
dies nicht die Scheu beider vor einander, sondern die Schen vor den Russen.
Ueberall in Warschau schweben sie als Gespenst, auch da, wo von ihnen nichts
wirklich zu erblicken ist. Indem sich der Deutsche dem Polen freundlich nähert,
tritt der Gedanke, sich dadurch vor der russischen Partei zu compromittiren, als
beängstigendes Gespenst vor ihn hin. Er saßt Muth, schlägt dem Gespenst in's
Gesicht und reicht dem Polen freundlich die Hand; aber das Herz hat einen
Druck erlitten, ist nicht mehr gesund und frei und die Gesellschaft gewährt ihm
keinen Genuß mehr. Aehnlich umgekehrt. Man schließt sich an einander an,
aber der Anschluß ist nicht unbefangen. Wo die Gesellschaft gemischter ist, wo
«und Nüssen einen Theil ausmachen, da verändert sich das Verhältniß ganz, da
Ziehen sich die Polen zurück und bilden eine Gesellschaft für sich, aber eine sehr
stille, mißvergnügte, düstere. Sie weisen jede Annäherung mit finsterem Stolze
zurück. In ähnlicher Weise sondern sich auch die Deutschen, und währeud sie
hier keinen geselligen Verkehr wagen, um sich nicht politisch zu compromittiren,
vermeiden sie ihn dort, um nicht das Unangenehme einer untergeordneten Stel¬
lung zu empfinden. Die Russen pflegen dann die große Rolle auf eigene
H""d zu spielen, sich von fern aufzublähen und Lärm nach Herzenslust zu
wachen. In Folge dessen pflegt sich aber das Local schnell zu entvölkern. Die
P"im gehen, die Deutschen folgen zum Theil: und die Männer der großen Rolle
haben nun das Vergnügen, nicht mehr in warschanischcr, sondern rein russischer
Gesellschaft zu sei», in welcher natürlich ihre Rolle nicht mehr gilt.

Das unangenehme Gefühl, geflohen zu werden, ist die Ursache, daß die
Russen offene Gesellschaftsvrte meiden. Nur in den Gesellschastsgärten finden sie
sich bisweilen zahlreich ein. Doch wie überall verderben oder vernichten sie auch^"»


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[0489] nicht gewahr wird. Deutsche und Polen, die sich zum ersten Male sehen, leben sich im öffentlichen Gesellschaftshause oft so in und an einander, daß man der Meinung wird, sie müssen Leute ein und derselben Nation und alte Freunde sein. Der Pole besitzt Schroffheit und etwas Abstoßendes, dies aber verschwindet von ihm gänzlich, sobald er auf den Schauplatz der Gesellschaft tritt. Hier ist er Freund ohne Rücksicht, und will er den Stolz eines gewissen Vorrangs genießen, so thut er das, indem er seine Freundschaft bis zur gewaltsamsten und eigensin¬ nigsten Aufopferung erweitert. Der Schade, den seine Börse dadurch nimmt, kümmert ihn wenig. Schreitet man durch die öffentlichen Gesellschaftshäuscr, so wird man der Meinung, Polen und Deutsche leben in der schönsten Verbindung. Allein man hat eigentlich nur den natürlichen Drang beider zu einander wahrgenommen und sich getäuscht. Eine wirkliche Verbindung, wie sie vor der Revolution statt gesun¬ den, ist jetzt nicht vorhanden. Eine gewisse Scheu bewirkt einen Spalt zwischen beiden, welcher eine wahre und erquickende Vertraulichkeit verhindert. ES ist dies nicht die Scheu beider vor einander, sondern die Schen vor den Russen. Ueberall in Warschau schweben sie als Gespenst, auch da, wo von ihnen nichts wirklich zu erblicken ist. Indem sich der Deutsche dem Polen freundlich nähert, tritt der Gedanke, sich dadurch vor der russischen Partei zu compromittiren, als beängstigendes Gespenst vor ihn hin. Er saßt Muth, schlägt dem Gespenst in's Gesicht und reicht dem Polen freundlich die Hand; aber das Herz hat einen Druck erlitten, ist nicht mehr gesund und frei und die Gesellschaft gewährt ihm keinen Genuß mehr. Aehnlich umgekehrt. Man schließt sich an einander an, aber der Anschluß ist nicht unbefangen. Wo die Gesellschaft gemischter ist, wo «und Nüssen einen Theil ausmachen, da verändert sich das Verhältniß ganz, da Ziehen sich die Polen zurück und bilden eine Gesellschaft für sich, aber eine sehr stille, mißvergnügte, düstere. Sie weisen jede Annäherung mit finsterem Stolze zurück. In ähnlicher Weise sondern sich auch die Deutschen, und währeud sie hier keinen geselligen Verkehr wagen, um sich nicht politisch zu compromittiren, vermeiden sie ihn dort, um nicht das Unangenehme einer untergeordneten Stel¬ lung zu empfinden. Die Russen pflegen dann die große Rolle auf eigene H""d zu spielen, sich von fern aufzublähen und Lärm nach Herzenslust zu wachen. In Folge dessen pflegt sich aber das Local schnell zu entvölkern. Die P"im gehen, die Deutschen folgen zum Theil: und die Männer der großen Rolle haben nun das Vergnügen, nicht mehr in warschanischcr, sondern rein russischer Gesellschaft zu sei», in welcher natürlich ihre Rolle nicht mehr gilt. Das unangenehme Gefühl, geflohen zu werden, ist die Ursache, daß die Russen offene Gesellschaftsvrte meiden. Nur in den Gesellschastsgärten finden sie sich bisweilen zahlreich ein. Doch wie überall verderben oder vernichten sie auch^"» zbvte». l», I8W. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/489>, abgerufen am 11.02.2025.