Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.Hältnisse unter ihren Angen sich vorbereiten und entwickeln sah, und erst Hilfe zu Und als der Landesherr, gerührt von dem länger nicht mehr zu verbergen¬ Es schien bei alledem unerklärlich, daß ein so wohlgeordneter Staat wie der Hältnisse unter ihren Angen sich vorbereiten und entwickeln sah, und erst Hilfe zu Und als der Landesherr, gerührt von dem länger nicht mehr zu verbergen¬ Es schien bei alledem unerklärlich, daß ein so wohlgeordneter Staat wie der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0458" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279484"/> <p xml:id="ID_1544" prev="#ID_1543"> Hältnisse unter ihren Angen sich vorbereiten und entwickeln sah, und erst Hilfe zu<lb/> bringen vermochte, da es zu spät war, wer trägt die schwere Schuld? — Wir<lb/> möchten nicht gerne sagen: die Regierung, die Kirche, die Schule! — Wir glau¬<lb/> ben, daß die erste das Beste des Landes wollte, und erkenne» es gern an, daß<lb/> die Kirche, als der Oberschlefler in Branntwein untcrzugehn drohte, die Mäßig-<lb/> keitssache mit rühmlichem Eifer in die Hand genommen und manches Gute be¬<lb/> wirkt hat; — es mochte auch verzeihlich sein, daß man von einem Pariser Pro¬<lb/> fessor sich überreden ließ, die deutsche Volksschule sei vortrefflich; aber was soll<lb/> die deutsche Volksschule da leisten, wo man nicht deutsch versteht, wo man eine<lb/> Sprache redet, die halb deutsch, halb polnisch, weder von dem Deutschen noch<lb/> von dem Polen verstanden wird!</p><lb/> <p xml:id="ID_1545"> Und als der Landesherr, gerührt von dem länger nicht mehr zu verbergen¬<lb/> den Elend eines Landes, welches er kurz vorher noch mit seinem Besuch erfreut<lb/> hatte, einen seiner treuesten Diener hinsendete mit vollen Händen und wohlwollen¬<lb/> dem Herzen — da war es zu spät! Unaufhaltsam kosten die Märzereignisse des<lb/> Jahres 1848 auch die letzten Bande der Gesetzlichkeit auf. Ein Ministerium nach<lb/> dem andern versuchte vergebens, hier durch Nachgeben, dort durch Strenge, wie¬<lb/> der festen Boden zu gewinnen, das Schreckenswort: „zu spät!" war der Wie¬<lb/> derhall jedes Zeitungöblattes, welches uns Tagesneuigkeiten brachte. Da bemäch¬<lb/> tigte sich die niedrige Leidenschaft der allgemeinen Verwirrung, ohne Maß und<lb/> Ziel. Hier wiederwärtige Rathlosigkeit und feige Furcht, dort brutale Frechheit<lb/> und Verhöhnung der Sitte! — Der unheilbare Riß zwischen Armuth und Reich¬<lb/> thum, zwischen Negierung und Regierten, zwischen dem Volke und seinem Fürsten,<lb/> war geschehen, und vergebens sucht man die klaffende Wu'ide zu verhüllen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1546"> Es schien bei alledem unerklärlich, daß ein so wohlgeordneter Staat wie der<lb/> preußische, dessen Verwaltung in den Händen pflichtgetrener Beamten richt, dessen<lb/> innere und äußere Sicherheit ein Heer stützt, das sich als tapfer und treu be¬<lb/> währte, im Straßenkamps wie in der Feldschlacht, dessen Volk im Laufe eines<lb/> langen Friedens in unausgesetzter Progression um mehrere Millionen sich vermehrt<lb/> hat, dessen Gewerbsamkeit durch Kreditanstalten aller Art, und ein Netz von<lb/> Eisenbahnen und Kunststraßen gefördert wird, wie fast kein anderes Land des<lb/> Festlandes, — welches wie wir so gern hören, an der Spitze deutscher Bildung und<lb/> Civilisation steht, daß ein Staat wie der preußische in dem Zeitraum weniger<lb/> Monate so ans allen seinen Fugen weichen konnte? Wir wollen versuchen, «uf<lb/> diese Frage eine genügende Antwort zu geben, und fühlen ganz wohl, daß dies<lb/> die Hauptaufgabe dieser Zeilen, daß die Lösung dieser Frage aber das EinM<lb/> ist, was möglicherweise diesen Blättern einigen Werth geben könnte, wir fülM<lb/> die große Schwierigkeit der Lösung dieser Aufgabe, und bitten den geehrten Leser'<lb/> bei Beurtheilung dieses Versuches auch dieser Schwierigkeit Rechnung zu trage»'<lb/> In dieser Voraussetzung stehen wir nicht an, den Versuch zu wagen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0458]
Hältnisse unter ihren Angen sich vorbereiten und entwickeln sah, und erst Hilfe zu
bringen vermochte, da es zu spät war, wer trägt die schwere Schuld? — Wir
möchten nicht gerne sagen: die Regierung, die Kirche, die Schule! — Wir glau¬
ben, daß die erste das Beste des Landes wollte, und erkenne» es gern an, daß
die Kirche, als der Oberschlefler in Branntwein untcrzugehn drohte, die Mäßig-
keitssache mit rühmlichem Eifer in die Hand genommen und manches Gute be¬
wirkt hat; — es mochte auch verzeihlich sein, daß man von einem Pariser Pro¬
fessor sich überreden ließ, die deutsche Volksschule sei vortrefflich; aber was soll
die deutsche Volksschule da leisten, wo man nicht deutsch versteht, wo man eine
Sprache redet, die halb deutsch, halb polnisch, weder von dem Deutschen noch
von dem Polen verstanden wird!
Und als der Landesherr, gerührt von dem länger nicht mehr zu verbergen¬
den Elend eines Landes, welches er kurz vorher noch mit seinem Besuch erfreut
hatte, einen seiner treuesten Diener hinsendete mit vollen Händen und wohlwollen¬
dem Herzen — da war es zu spät! Unaufhaltsam kosten die Märzereignisse des
Jahres 1848 auch die letzten Bande der Gesetzlichkeit auf. Ein Ministerium nach
dem andern versuchte vergebens, hier durch Nachgeben, dort durch Strenge, wie¬
der festen Boden zu gewinnen, das Schreckenswort: „zu spät!" war der Wie¬
derhall jedes Zeitungöblattes, welches uns Tagesneuigkeiten brachte. Da bemäch¬
tigte sich die niedrige Leidenschaft der allgemeinen Verwirrung, ohne Maß und
Ziel. Hier wiederwärtige Rathlosigkeit und feige Furcht, dort brutale Frechheit
und Verhöhnung der Sitte! — Der unheilbare Riß zwischen Armuth und Reich¬
thum, zwischen Negierung und Regierten, zwischen dem Volke und seinem Fürsten,
war geschehen, und vergebens sucht man die klaffende Wu'ide zu verhüllen.
Es schien bei alledem unerklärlich, daß ein so wohlgeordneter Staat wie der
preußische, dessen Verwaltung in den Händen pflichtgetrener Beamten richt, dessen
innere und äußere Sicherheit ein Heer stützt, das sich als tapfer und treu be¬
währte, im Straßenkamps wie in der Feldschlacht, dessen Volk im Laufe eines
langen Friedens in unausgesetzter Progression um mehrere Millionen sich vermehrt
hat, dessen Gewerbsamkeit durch Kreditanstalten aller Art, und ein Netz von
Eisenbahnen und Kunststraßen gefördert wird, wie fast kein anderes Land des
Festlandes, — welches wie wir so gern hören, an der Spitze deutscher Bildung und
Civilisation steht, daß ein Staat wie der preußische in dem Zeitraum weniger
Monate so ans allen seinen Fugen weichen konnte? Wir wollen versuchen, «uf
diese Frage eine genügende Antwort zu geben, und fühlen ganz wohl, daß dies
die Hauptaufgabe dieser Zeilen, daß die Lösung dieser Frage aber das EinM
ist, was möglicherweise diesen Blättern einigen Werth geben könnte, wir fülM
die große Schwierigkeit der Lösung dieser Aufgabe, und bitten den geehrten Leser'
bei Beurtheilung dieses Versuches auch dieser Schwierigkeit Rechnung zu trage»'
In dieser Voraussetzung stehen wir nicht an, den Versuch zu wagen.
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