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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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derbtheit nach innen, ihrer Despotie nach außen, ihr starres Festhalten an Hier¬
archie und todten Buchstaben, ihre strenge Sonderung von der Außenwelt muß
gebrochen werden -- eh' ist eine freie Geschäftsbcweguug nicht zu hoffen.

Daran ist jedoch so bald nicht zu denken, besonders jetzt, wo die Reaction
an der Tagesordnung überall! Drohend tritt uns diese Erscheinung entgegen
und der "StaatshämorrhoidariuS" in den fliegenden Blättern und der Verweis wegen
der rothen statt blauen Schnüre in den Leuchtkugeln u. s. w. sind keine Ideale --
sondern häufige Erscheinungen im Kanzleileben.

Dieser geschäftige, das Unvermeidliche mechanisch und verdrießlich abmachende
Müssiggang -- ohnedies jedem aufgeklärten Beamten selbst verhaßt! -- ist es, wo¬
durch derselbe allen bessern Sinn, alle Lebenslust, oft den Verstand verliert und
entweder zum kalten oder süßlichen Präsidenten zusammenschrumpft oder sonst elen¬
diglich verkümmert, wenn er nicht vorher in die Welt zurücktritt, welche ihm leider
oft indeß fremd geworden. Aber auch als Pensionist (war er ein rechter d. h. im
würdigen Sinne: echter Beamte) spielt er einst eine klägliche Rolle, und noch so
viele Dienstjahre haben ihm außer der Pension selbst keinen Nutzen gebracht, keine
Lebensweisheit verschafft und er gleicht einer Uhr, die vor vielen Jahren stehen
geblieben, jetzt wieder die Stunde schlägt, wo man den Perpendikel aushielt.

Die Commission zur Organisirung der neu einzuführenden Gerichte ist bei¬
sammen, ihre Arbeiten aber gehen selber noch immer den alten wohlbekannten
Schneckengang -- wäre er doch der Letzte! -- Ob diese Einführung und die des
öffentlichen Verfahrens, der Gemeindevvdnung u. f. w. allen bisherigen Uebelstän-
den abhelfen wird, weiß Niemand, noch hofft Jeder: der gntöhcnliche Oberbeamte,
der jetzt so oft den Launen eines vornehmen Tagdicbes preisgegeben ist, dafür
seine Untergebenen quält oder Jenen prellt, wo er kann, -- der Communalbeamte,
welcher kleinstädtischen Uebermuthe oder Klatschsucht verfallen in der Kneipe seine
Erholung sucht, -- der Uuterbcamte, der um den Hausfrieden zu erhalten oder das
Brot, auf welches oft viele Mägen warten, nicht zu verlieren, oft gegen Ueber¬
zeugung nud Gewissen handelt und zu alle" Unbilden schweigt, dafür aber seine
Rohheit dem armen Bauer oder Handwerksburschen fühlen läßt -- der Rath, wel¬
cher im Hader mit seinen Kollegen und Präsidenten, im Verdrusse über Ungerech¬
tigkeiten bei der Zutheilung oder Kabalen bei der Abstimmung durch Studium
auf Gegenminen die beste Lebenszeit vergeudet,---Alle erwarten Verbesserung
ihres Schicksals von dieser unserer nächsten Zukunft.

Ein Theil unserer Bureaukraten verdient Erbarmen, es sind jene verknöcherten
Geschöpfe, die Alles für Wahrheit halten, mit innerer Ueberzeugung am leeren
Formenwesen festhalten, und ob über das ganze Blatt oder halbbrüchig geschrieben
werden soll, für wichtiger als den ganzen Inhalt ansehen, denen die Art des Zu-
sammeulegeus wesentlicher scheint, als die Urkunde selbst, die deu Präsidenten für
weiser und gerechter achte", als den Vicepräses u. s. w., deuen Alles Amtöge-


derbtheit nach innen, ihrer Despotie nach außen, ihr starres Festhalten an Hier¬
archie und todten Buchstaben, ihre strenge Sonderung von der Außenwelt muß
gebrochen werden — eh' ist eine freie Geschäftsbcweguug nicht zu hoffen.

Daran ist jedoch so bald nicht zu denken, besonders jetzt, wo die Reaction
an der Tagesordnung überall! Drohend tritt uns diese Erscheinung entgegen
und der „StaatshämorrhoidariuS" in den fliegenden Blättern und der Verweis wegen
der rothen statt blauen Schnüre in den Leuchtkugeln u. s. w. sind keine Ideale —
sondern häufige Erscheinungen im Kanzleileben.

Dieser geschäftige, das Unvermeidliche mechanisch und verdrießlich abmachende
Müssiggang — ohnedies jedem aufgeklärten Beamten selbst verhaßt! — ist es, wo¬
durch derselbe allen bessern Sinn, alle Lebenslust, oft den Verstand verliert und
entweder zum kalten oder süßlichen Präsidenten zusammenschrumpft oder sonst elen¬
diglich verkümmert, wenn er nicht vorher in die Welt zurücktritt, welche ihm leider
oft indeß fremd geworden. Aber auch als Pensionist (war er ein rechter d. h. im
würdigen Sinne: echter Beamte) spielt er einst eine klägliche Rolle, und noch so
viele Dienstjahre haben ihm außer der Pension selbst keinen Nutzen gebracht, keine
Lebensweisheit verschafft und er gleicht einer Uhr, die vor vielen Jahren stehen
geblieben, jetzt wieder die Stunde schlägt, wo man den Perpendikel aushielt.

Die Commission zur Organisirung der neu einzuführenden Gerichte ist bei¬
sammen, ihre Arbeiten aber gehen selber noch immer den alten wohlbekannten
Schneckengang — wäre er doch der Letzte! — Ob diese Einführung und die des
öffentlichen Verfahrens, der Gemeindevvdnung u. f. w. allen bisherigen Uebelstän-
den abhelfen wird, weiß Niemand, noch hofft Jeder: der gntöhcnliche Oberbeamte,
der jetzt so oft den Launen eines vornehmen Tagdicbes preisgegeben ist, dafür
seine Untergebenen quält oder Jenen prellt, wo er kann, — der Communalbeamte,
welcher kleinstädtischen Uebermuthe oder Klatschsucht verfallen in der Kneipe seine
Erholung sucht, — der Uuterbcamte, der um den Hausfrieden zu erhalten oder das
Brot, auf welches oft viele Mägen warten, nicht zu verlieren, oft gegen Ueber¬
zeugung nud Gewissen handelt und zu alle» Unbilden schweigt, dafür aber seine
Rohheit dem armen Bauer oder Handwerksburschen fühlen läßt — der Rath, wel¬
cher im Hader mit seinen Kollegen und Präsidenten, im Verdrusse über Ungerech¬
tigkeiten bei der Zutheilung oder Kabalen bei der Abstimmung durch Studium
auf Gegenminen die beste Lebenszeit vergeudet,---Alle erwarten Verbesserung
ihres Schicksals von dieser unserer nächsten Zukunft.

Ein Theil unserer Bureaukraten verdient Erbarmen, es sind jene verknöcherten
Geschöpfe, die Alles für Wahrheit halten, mit innerer Ueberzeugung am leeren
Formenwesen festhalten, und ob über das ganze Blatt oder halbbrüchig geschrieben
werden soll, für wichtiger als den ganzen Inhalt ansehen, denen die Art des Zu-
sammeulegeus wesentlicher scheint, als die Urkunde selbst, die deu Präsidenten für
weiser und gerechter achte», als den Vicepräses u. s. w., deuen Alles Amtöge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/45>, abgerufen am 05.02.2025.