Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die im Ausland verwendeten ungarischen Truppen in ihre Heimath zurückschicken.
Der Kaiser gab eine ausweichende Artwort, erklärte aber, er werde stets bereit
sein, die Gesetze des Reichs und die Integrität der ungarischen Kronländer auf¬
recht zu erhalten. Gleichzeitig aber richtete daS östreichische Ministerium an den
Palatin eine Denkschrift, in welcher die den Ungarn im März gewährte Selbst-
ständigkeit als im Widerspruch mit der pragmatischen Sanction erklärt wurde.

Den 9. September that Jellachich den entscheidenden Schritt, er ging über
die Drau. Sogleich traten einige Truppen zu ihm über, und sämmtliche Slaven
hatten nun das Signal zum Aufstand. Das vermittelnde Ministerium Bathycmy-
Deak gab seine Entlassung (14. September) und Kossuth übernahm das Präsidium.
Der Reichstag schickte eine neue Deputation (Wessclenyi an der Spitze), diesmal
an den Wiener Reichstag; sie kam am 18. September an, wurde aber uicht an¬
genommen. Kossuth begann nun sein Banknotensystcm; er wich, "is der Palatin
sein Veto einlegte; aber dieser verließ heimlich die ungarische Armee (24. Sept.),
und nun wurden überall die Honvcds aufgeboten. Schon stand Jellachich in Stuhl¬
weißenburg, das ganze Banat war in den Händen der Serben. Jetzt hielt es
Oestreich für zeitgemäß, zu interveniren. Graf Lamberg wurde (26. Sept.) als
Conuuissar nach Ungarn geschickt, mit dem Auftrage, sich in das ungarische Haupt-
quartier zu begeben, und daselbst alle Feindseligkeiten einzustellen, so wie den
gleichen Befehl an den Baums zu erlassen. Der Reichstag erklärte dies Manifest,
das von keinem Minister contrasignirt war, für ungesetzlich, und Lamberg wurde
gleich nach seiner Ankunft in Pesth (28. Sept.) vom Volk erschlagen. In Folge
dessen wurde in einem Manifest vom l!. October das Königreich in Kriegszustand
"rklärt, der Reichstag aufgelöst, und Recsey zum Premierminister, Jellachich,
der am 4. in Raab einrückte, zum "Itvr ox" ernannt. Die Lage desselben war
aber seit der Niederlage der Generale Roth und Philippowich (!Z0. Sept.) eine
bedenkliche.

In Wien war die Stimmung sehr trübe. Schon hatten mehrfach Zusammen¬
stöße zwischen den Arbeitern und Bürgern stattgefunden (so am 2!5. Angust, 1!5.
September); der Reichstag hatte zwar manche liberale Gesetze gegeben (so Ablö¬
sung der Unterthänigkeitslasten gegen Entschädigung durch den Staat, 30. August),
man wußte aber nicht, inwieweit sie zur Ausführung kommen würden. Die De¬
mokraten setzten auf die Ungarn ihre vorzüglichste Hoffnung; in diesem Sinn war
die Sache (1. October) in einer stürmischen Volksversammlung im Odeon behan¬
delt worden. Als nun die Regierung Truppen nach Ungar" abschicken wollte,
widersetzte sich das Volk; aus dem Kampf (6. October) wurde eine Revolution,
Latour erschlagen und gehängt, die Proletarier bewaffnet. Der Reichstag, aus
welchem die czechischen Abgeordneten, die in der Bewegung eine nationale deutsche
sahen, entflohen, erklärte sich in Permanenz und erließ ein Manifest an die
Oestreicher, der Kaiser entfloh (7. September), diesmal nach Olmütz. In einem


die im Ausland verwendeten ungarischen Truppen in ihre Heimath zurückschicken.
Der Kaiser gab eine ausweichende Artwort, erklärte aber, er werde stets bereit
sein, die Gesetze des Reichs und die Integrität der ungarischen Kronländer auf¬
recht zu erhalten. Gleichzeitig aber richtete daS östreichische Ministerium an den
Palatin eine Denkschrift, in welcher die den Ungarn im März gewährte Selbst-
ständigkeit als im Widerspruch mit der pragmatischen Sanction erklärt wurde.

Den 9. September that Jellachich den entscheidenden Schritt, er ging über
die Drau. Sogleich traten einige Truppen zu ihm über, und sämmtliche Slaven
hatten nun das Signal zum Aufstand. Das vermittelnde Ministerium Bathycmy-
Deak gab seine Entlassung (14. September) und Kossuth übernahm das Präsidium.
Der Reichstag schickte eine neue Deputation (Wessclenyi an der Spitze), diesmal
an den Wiener Reichstag; sie kam am 18. September an, wurde aber uicht an¬
genommen. Kossuth begann nun sein Banknotensystcm; er wich, «is der Palatin
sein Veto einlegte; aber dieser verließ heimlich die ungarische Armee (24. Sept.),
und nun wurden überall die Honvcds aufgeboten. Schon stand Jellachich in Stuhl¬
weißenburg, das ganze Banat war in den Händen der Serben. Jetzt hielt es
Oestreich für zeitgemäß, zu interveniren. Graf Lamberg wurde (26. Sept.) als
Conuuissar nach Ungarn geschickt, mit dem Auftrage, sich in das ungarische Haupt-
quartier zu begeben, und daselbst alle Feindseligkeiten einzustellen, so wie den
gleichen Befehl an den Baums zu erlassen. Der Reichstag erklärte dies Manifest,
das von keinem Minister contrasignirt war, für ungesetzlich, und Lamberg wurde
gleich nach seiner Ankunft in Pesth (28. Sept.) vom Volk erschlagen. In Folge
dessen wurde in einem Manifest vom l!. October das Königreich in Kriegszustand
«rklärt, der Reichstag aufgelöst, und Recsey zum Premierminister, Jellachich,
der am 4. in Raab einrückte, zum »Itvr ox» ernannt. Die Lage desselben war
aber seit der Niederlage der Generale Roth und Philippowich (!Z0. Sept.) eine
bedenkliche.

In Wien war die Stimmung sehr trübe. Schon hatten mehrfach Zusammen¬
stöße zwischen den Arbeitern und Bürgern stattgefunden (so am 2!5. Angust, 1!5.
September); der Reichstag hatte zwar manche liberale Gesetze gegeben (so Ablö¬
sung der Unterthänigkeitslasten gegen Entschädigung durch den Staat, 30. August),
man wußte aber nicht, inwieweit sie zur Ausführung kommen würden. Die De¬
mokraten setzten auf die Ungarn ihre vorzüglichste Hoffnung; in diesem Sinn war
die Sache (1. October) in einer stürmischen Volksversammlung im Odeon behan¬
delt worden. Als nun die Regierung Truppen nach Ungar» abschicken wollte,
widersetzte sich das Volk; aus dem Kampf (6. October) wurde eine Revolution,
Latour erschlagen und gehängt, die Proletarier bewaffnet. Der Reichstag, aus
welchem die czechischen Abgeordneten, die in der Bewegung eine nationale deutsche
sahen, entflohen, erklärte sich in Permanenz und erließ ein Manifest an die
Oestreicher, der Kaiser entfloh (7. September), diesmal nach Olmütz. In einem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0448" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279474"/>
          <p xml:id="ID_1519" prev="#ID_1518"> die im Ausland verwendeten ungarischen Truppen in ihre Heimath zurückschicken.<lb/>
Der Kaiser gab eine ausweichende Artwort, erklärte aber, er werde stets bereit<lb/>
sein, die Gesetze des Reichs und die Integrität der ungarischen Kronländer auf¬<lb/>
recht zu erhalten. Gleichzeitig aber richtete daS östreichische Ministerium an den<lb/>
Palatin eine Denkschrift, in welcher die den Ungarn im März gewährte Selbst-<lb/>
ständigkeit als im Widerspruch mit der pragmatischen Sanction erklärt wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1520"> Den 9. September that Jellachich den entscheidenden Schritt, er ging über<lb/>
die Drau. Sogleich traten einige Truppen zu ihm über, und sämmtliche Slaven<lb/>
hatten nun das Signal zum Aufstand. Das vermittelnde Ministerium Bathycmy-<lb/>
Deak gab seine Entlassung (14. September) und Kossuth übernahm das Präsidium.<lb/>
Der Reichstag schickte eine neue Deputation (Wessclenyi an der Spitze), diesmal<lb/>
an den Wiener Reichstag; sie kam am 18. September an, wurde aber uicht an¬<lb/>
genommen. Kossuth begann nun sein Banknotensystcm; er wich, «is der Palatin<lb/>
sein Veto einlegte; aber dieser verließ heimlich die ungarische Armee (24. Sept.),<lb/>
und nun wurden überall die Honvcds aufgeboten. Schon stand Jellachich in Stuhl¬<lb/>
weißenburg, das ganze Banat war in den Händen der Serben. Jetzt hielt es<lb/>
Oestreich für zeitgemäß, zu interveniren. Graf Lamberg wurde (26. Sept.) als<lb/>
Conuuissar nach Ungarn geschickt, mit dem Auftrage, sich in das ungarische Haupt-<lb/>
quartier zu begeben, und daselbst alle Feindseligkeiten einzustellen, so wie den<lb/>
gleichen Befehl an den Baums zu erlassen. Der Reichstag erklärte dies Manifest,<lb/>
das von keinem Minister contrasignirt war, für ungesetzlich, und Lamberg wurde<lb/>
gleich nach seiner Ankunft in Pesth (28. Sept.) vom Volk erschlagen. In Folge<lb/>
dessen wurde in einem Manifest vom l!. October das Königreich in Kriegszustand<lb/>
«rklärt, der Reichstag aufgelöst, und Recsey zum Premierminister, Jellachich,<lb/>
der am 4. in Raab einrückte, zum »Itvr ox» ernannt. Die Lage desselben war<lb/>
aber seit der Niederlage der Generale Roth und Philippowich (!Z0. Sept.) eine<lb/>
bedenkliche.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1521" next="#ID_1522"> In Wien war die Stimmung sehr trübe. Schon hatten mehrfach Zusammen¬<lb/>
stöße zwischen den Arbeitern und Bürgern stattgefunden (so am 2!5. Angust, 1!5.<lb/>
September); der Reichstag hatte zwar manche liberale Gesetze gegeben (so Ablö¬<lb/>
sung der Unterthänigkeitslasten gegen Entschädigung durch den Staat, 30. August),<lb/>
man wußte aber nicht, inwieweit sie zur Ausführung kommen würden. Die De¬<lb/>
mokraten setzten auf die Ungarn ihre vorzüglichste Hoffnung; in diesem Sinn war<lb/>
die Sache (1. October) in einer stürmischen Volksversammlung im Odeon behan¬<lb/>
delt worden. Als nun die Regierung Truppen nach Ungar» abschicken wollte,<lb/>
widersetzte sich das Volk; aus dem Kampf (6. October) wurde eine Revolution,<lb/>
Latour erschlagen und gehängt, die Proletarier bewaffnet. Der Reichstag, aus<lb/>
welchem die czechischen Abgeordneten, die in der Bewegung eine nationale deutsche<lb/>
sahen, entflohen, erklärte sich in Permanenz und erließ ein Manifest an die<lb/>
Oestreicher, der Kaiser entfloh (7. September), diesmal nach Olmütz. In einem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0448] die im Ausland verwendeten ungarischen Truppen in ihre Heimath zurückschicken. Der Kaiser gab eine ausweichende Artwort, erklärte aber, er werde stets bereit sein, die Gesetze des Reichs und die Integrität der ungarischen Kronländer auf¬ recht zu erhalten. Gleichzeitig aber richtete daS östreichische Ministerium an den Palatin eine Denkschrift, in welcher die den Ungarn im März gewährte Selbst- ständigkeit als im Widerspruch mit der pragmatischen Sanction erklärt wurde. Den 9. September that Jellachich den entscheidenden Schritt, er ging über die Drau. Sogleich traten einige Truppen zu ihm über, und sämmtliche Slaven hatten nun das Signal zum Aufstand. Das vermittelnde Ministerium Bathycmy- Deak gab seine Entlassung (14. September) und Kossuth übernahm das Präsidium. Der Reichstag schickte eine neue Deputation (Wessclenyi an der Spitze), diesmal an den Wiener Reichstag; sie kam am 18. September an, wurde aber uicht an¬ genommen. Kossuth begann nun sein Banknotensystcm; er wich, «is der Palatin sein Veto einlegte; aber dieser verließ heimlich die ungarische Armee (24. Sept.), und nun wurden überall die Honvcds aufgeboten. Schon stand Jellachich in Stuhl¬ weißenburg, das ganze Banat war in den Händen der Serben. Jetzt hielt es Oestreich für zeitgemäß, zu interveniren. Graf Lamberg wurde (26. Sept.) als Conuuissar nach Ungarn geschickt, mit dem Auftrage, sich in das ungarische Haupt- quartier zu begeben, und daselbst alle Feindseligkeiten einzustellen, so wie den gleichen Befehl an den Baums zu erlassen. Der Reichstag erklärte dies Manifest, das von keinem Minister contrasignirt war, für ungesetzlich, und Lamberg wurde gleich nach seiner Ankunft in Pesth (28. Sept.) vom Volk erschlagen. In Folge dessen wurde in einem Manifest vom l!. October das Königreich in Kriegszustand «rklärt, der Reichstag aufgelöst, und Recsey zum Premierminister, Jellachich, der am 4. in Raab einrückte, zum »Itvr ox» ernannt. Die Lage desselben war aber seit der Niederlage der Generale Roth und Philippowich (!Z0. Sept.) eine bedenkliche. In Wien war die Stimmung sehr trübe. Schon hatten mehrfach Zusammen¬ stöße zwischen den Arbeitern und Bürgern stattgefunden (so am 2!5. Angust, 1!5. September); der Reichstag hatte zwar manche liberale Gesetze gegeben (so Ablö¬ sung der Unterthänigkeitslasten gegen Entschädigung durch den Staat, 30. August), man wußte aber nicht, inwieweit sie zur Ausführung kommen würden. Die De¬ mokraten setzten auf die Ungarn ihre vorzüglichste Hoffnung; in diesem Sinn war die Sache (1. October) in einer stürmischen Volksversammlung im Odeon behan¬ delt worden. Als nun die Regierung Truppen nach Ungar» abschicken wollte, widersetzte sich das Volk; aus dem Kampf (6. October) wurde eine Revolution, Latour erschlagen und gehängt, die Proletarier bewaffnet. Der Reichstag, aus welchem die czechischen Abgeordneten, die in der Bewegung eine nationale deutsche sahen, entflohen, erklärte sich in Permanenz und erließ ein Manifest an die Oestreicher, der Kaiser entfloh (7. September), diesmal nach Olmütz. In einem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/448
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/448>, abgerufen am 11.02.2025.