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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Impuls zu geben suchte. Denn theils war es unbestimmt, was man eigentlich
wollte -- es müsse anders werden, darüber war man freilich einig, und Met-
ternich müsse fort, -- theils konnte man auch noch gar nicht die Mittel über¬
sehn, über welche mau zu disponiren habe. Als freilich am folgenden Tage die
Unruhen sich bis zu Barrikaden steigerten, ohne daß das Militär einschritt, wurde
die Sache bedenklicher, und als am Abend verkündigt wurde, Metternich habe in
Folge vielfach erneuerter Petitionen sein Amt in die Hände des Kaisers nieder¬
gelegt, erregte es kaum mehr Ueberraschung.

Uns ist jetzt freilich Vieles dabei unklar. Was war deun eigentlich geschehen,
ein 33 Jahre lang mit wunderbarer Energie festgehaltenes System in Einem
Augenblicke zu stürzen? -- Der Grund war wohl ein doppelter. Metternich hatte
einen Aufstand in Oestreich nicht in seine Rechnung gezogen, nicht überlegt, was
in solchem Fall zu thun sei, und war nicht genial genug, dem Unerwartetem zu
begegnen. So sehlte der eigentlich conservativen Partei alle Leitung; ein Jeder
handelte nach Gutdünken. Zweitens aber gab es am Hof selbst eine sehr wichtige
Partei, die des alten Mannes müde war, und sie benutzte die Aufregung, sich
seiner zu entledigen, im übrigen überzeugt, daß es auf die alte Weise, mit leid¬
lichen Reformen, weiter gehn würde.

/ Die drohende Haltung der Proletarier näherte die gemäßigten Parteien ein¬
ander. Die akademische Legion wurde genehmigt, Preßfreiheit proclamirt, und
eine Nationalgarde eröffnet, über welche der Befehl dem Oberstjägermcister Gra¬
fen Hoyos anvertraut wurde (14. März). Ein Maueranschlag, in welchem der
Feldmarschall Alfred Fürst Windischgrätz die Stadt in Belagerungszustand
erklärte, verstärkte, weil sie ohne Folgen blieb , nur uoch die Macht der liberalen
Partei. Ein Patent (>!). März), gegengezeichnet von den Hvfkanzlern Karl Graf
v. Inzaghi, Franz Freih. v. Pillersdorf und Joseph Freih. v. Wein¬
garten, verkündigte für Oestreich eine auf liberalen Erweiterungen der bisherigen
Stände basirte Verfassung für Oestreich. Seitdem beschäftigte man sich mit Feier¬
tagen. Der Polizeiminister Graf S edln itzky mußte Wien verlassen, Ungar",
erhielt ein selbstständiges Ministerium unter Bathyany, und der Erzherzog
Stephan eine ausgedehnte Vollmacht als Reichspalatin. Die ungarischen Stände
beschlossen eine constitutionelle Volksrepräscntativn (18. März), und erhiel¬
ten dafür (I I. April) die kaiserliche Sanction. In den Provinzen fand die neue
Wendung der Dinge überall freudige Anerkennung; die Czechen hatten ihre For¬
derungen schon in der Versammlung in Wenzclsbad (12. März) formulirt; sie
schickten (20. März) eine neue Deputation; ebenso die Kroaten (30. März). Es
wurden den ersteren (8. April) Concessionen gemacht, Graf Leo Thun (13. April)
an Stelle Stadion's zum Regierungspräsidenten von Böhmen ernannt. Der Kanz¬
ler Inzaghi dankte ab (17. März), und es wurde ein verantwortliches Ministe-


Impuls zu geben suchte. Denn theils war es unbestimmt, was man eigentlich
wollte — es müsse anders werden, darüber war man freilich einig, und Met-
ternich müsse fort, — theils konnte man auch noch gar nicht die Mittel über¬
sehn, über welche mau zu disponiren habe. Als freilich am folgenden Tage die
Unruhen sich bis zu Barrikaden steigerten, ohne daß das Militär einschritt, wurde
die Sache bedenklicher, und als am Abend verkündigt wurde, Metternich habe in
Folge vielfach erneuerter Petitionen sein Amt in die Hände des Kaisers nieder¬
gelegt, erregte es kaum mehr Ueberraschung.

Uns ist jetzt freilich Vieles dabei unklar. Was war deun eigentlich geschehen,
ein 33 Jahre lang mit wunderbarer Energie festgehaltenes System in Einem
Augenblicke zu stürzen? — Der Grund war wohl ein doppelter. Metternich hatte
einen Aufstand in Oestreich nicht in seine Rechnung gezogen, nicht überlegt, was
in solchem Fall zu thun sei, und war nicht genial genug, dem Unerwartetem zu
begegnen. So sehlte der eigentlich conservativen Partei alle Leitung; ein Jeder
handelte nach Gutdünken. Zweitens aber gab es am Hof selbst eine sehr wichtige
Partei, die des alten Mannes müde war, und sie benutzte die Aufregung, sich
seiner zu entledigen, im übrigen überzeugt, daß es auf die alte Weise, mit leid¬
lichen Reformen, weiter gehn würde.

/ Die drohende Haltung der Proletarier näherte die gemäßigten Parteien ein¬
ander. Die akademische Legion wurde genehmigt, Preßfreiheit proclamirt, und
eine Nationalgarde eröffnet, über welche der Befehl dem Oberstjägermcister Gra¬
fen Hoyos anvertraut wurde (14. März). Ein Maueranschlag, in welchem der
Feldmarschall Alfred Fürst Windischgrätz die Stadt in Belagerungszustand
erklärte, verstärkte, weil sie ohne Folgen blieb , nur uoch die Macht der liberalen
Partei. Ein Patent (>!). März), gegengezeichnet von den Hvfkanzlern Karl Graf
v. Inzaghi, Franz Freih. v. Pillersdorf und Joseph Freih. v. Wein¬
garten, verkündigte für Oestreich eine auf liberalen Erweiterungen der bisherigen
Stände basirte Verfassung für Oestreich. Seitdem beschäftigte man sich mit Feier¬
tagen. Der Polizeiminister Graf S edln itzky mußte Wien verlassen, Ungar»,
erhielt ein selbstständiges Ministerium unter Bathyany, und der Erzherzog
Stephan eine ausgedehnte Vollmacht als Reichspalatin. Die ungarischen Stände
beschlossen eine constitutionelle Volksrepräscntativn (18. März), und erhiel¬
ten dafür (I I. April) die kaiserliche Sanction. In den Provinzen fand die neue
Wendung der Dinge überall freudige Anerkennung; die Czechen hatten ihre For¬
derungen schon in der Versammlung in Wenzclsbad (12. März) formulirt; sie
schickten (20. März) eine neue Deputation; ebenso die Kroaten (30. März). Es
wurden den ersteren (8. April) Concessionen gemacht, Graf Leo Thun (13. April)
an Stelle Stadion's zum Regierungspräsidenten von Böhmen ernannt. Der Kanz¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/442>, abgerufen am 05.02.2025.