Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

so glücklich fühlen, wäre es unrecht sie zu bezweifeln. Für einen verweichlichten
Kulturmenschen sind allerdings einige kleine Bedenken dabei. In den meisten Ge¬
genden eine flache Ebene, die Berge kahl, die Flüsse und Bäche ohne Wasser, die
Bäume fast ohne Blätter, an größern Thieren großer Mangel, im ganzen Haus¬
halt der Natur eine gewisse bizarre Dürftigkeit. Offenbar ist das Land verkom¬
men, weil es so lange und so weit von allem Verkehr mit gebildeteren Landstrichen
entfernt war. Daß der Sommer um Neujahr, der Winter um den Juli trifft, daß
der Norden des Landes die Palmenvegetation der Tropenländer, der Süden unge¬
fähr unsere hat, daß die Kirschen dort ihre Kerne an der Spitze der Frucht haben,
die Schwäne schwarz und die Krähen weiß sind, daß die Vögel dort durchaus
nicht singen, die Sängethiere gleich nach der Empfängniß geboren, von den Eltern
in einen Beutel gepackt und herumgeschleppt werden, bis sie fertig geworden sind
und courfähig für diese Welt, das Alles ist Jedem bekannt, auch das Beutelthier,
das Schnabelthier, das Opossum und die Sckmarozerpflanzen, in welchen die Göttin
der Natur gleichsam im Traum alle möglichen erstaunlichen Thierformen, Krebse,
Schmetterlinge, Käfer und Schnecken nachgebildet und mit einer Stecknadel an
alte Baumstämme angestochen hat. Alles das wundert uns gar nicht mehr, es ist
uns bereits gleichgiltig; selbst jene kleine Fliege, welche die blödsinnige. Neigung
hat, sich an das Auge des Menschen zu setzen, und aus demselben, wie aus einer
Wassermelone die Feuchtigkeit herauszufangen, auch diese Fliege ärgert uns nicht
mehr; das Auge geschonte uns nach einer solchen Fliege und wir werden temporär,
oder für immer blind, aber man kann ja auch als Blinder glücklich sein, selbst
diese Fliege stört uns nicht in unserer Freude über Australien. -- Aber ein an¬
derer sehr großer Uebelstand ist daselbst vorhanden; man kann durchaus keinen Löffel
Sahne zu seinem Kaffee erhalten, ohne die größte und furchtbarste Lebensgefahr.
Diese Sache geht so zu:

Der Ansiedler, welcher Rindviehpächter werde" will, miethet große Strecken
Regiernngsland gegen jährlichen Zins, baut sich von Baumrinde und Spänen eine
Hütte, kauft eine Anzahl Rinder und zwei Pferde, brennt den Kühen sein Zeichen
ein und läßt sie im Freien grasen. Bei dieser zwanglosen Existenz verwildern
Kühe und Ochsen eben so heftig, als sie sich schnell vermehren. Das Leben eines
Farmers gleicht daher auffs Haar dem eines Farmers in Texas, Mexiko oder
Südamerika; seine Hauptsorge ist füglich zu ermitteln, wo der Böse sein Vieh
hingetrieben hat, und wenn er'S endlich gefunden hat, so ist seine zweite Sorge,
nicht von ihnen gespießt, ertreten oder auf andere Weise umgebracht zu werden.
Kochen Sie deshalb auf einer Rindviehfarm Ihren Kaffee, so spricht Ihre Fran
zu Ihnen: "Mann hole Sahne!" Sie werfen noch einen Abschiedsblick auf Ihre
schlummernden Kinder in der Wiege, stürzen zum Pferde, welches im glücklichsten
Fall einige tausend Schritt vom Hause frißt, werfen ihm den Sattel und dann
sich selber aus und jagen mit ihm über Felsen und Wasser, durch Busch und Sand


so glücklich fühlen, wäre es unrecht sie zu bezweifeln. Für einen verweichlichten
Kulturmenschen sind allerdings einige kleine Bedenken dabei. In den meisten Ge¬
genden eine flache Ebene, die Berge kahl, die Flüsse und Bäche ohne Wasser, die
Bäume fast ohne Blätter, an größern Thieren großer Mangel, im ganzen Haus¬
halt der Natur eine gewisse bizarre Dürftigkeit. Offenbar ist das Land verkom¬
men, weil es so lange und so weit von allem Verkehr mit gebildeteren Landstrichen
entfernt war. Daß der Sommer um Neujahr, der Winter um den Juli trifft, daß
der Norden des Landes die Palmenvegetation der Tropenländer, der Süden unge¬
fähr unsere hat, daß die Kirschen dort ihre Kerne an der Spitze der Frucht haben,
die Schwäne schwarz und die Krähen weiß sind, daß die Vögel dort durchaus
nicht singen, die Sängethiere gleich nach der Empfängniß geboren, von den Eltern
in einen Beutel gepackt und herumgeschleppt werden, bis sie fertig geworden sind
und courfähig für diese Welt, das Alles ist Jedem bekannt, auch das Beutelthier,
das Schnabelthier, das Opossum und die Sckmarozerpflanzen, in welchen die Göttin
der Natur gleichsam im Traum alle möglichen erstaunlichen Thierformen, Krebse,
Schmetterlinge, Käfer und Schnecken nachgebildet und mit einer Stecknadel an
alte Baumstämme angestochen hat. Alles das wundert uns gar nicht mehr, es ist
uns bereits gleichgiltig; selbst jene kleine Fliege, welche die blödsinnige. Neigung
hat, sich an das Auge des Menschen zu setzen, und aus demselben, wie aus einer
Wassermelone die Feuchtigkeit herauszufangen, auch diese Fliege ärgert uns nicht
mehr; das Auge geschonte uns nach einer solchen Fliege und wir werden temporär,
oder für immer blind, aber man kann ja auch als Blinder glücklich sein, selbst
diese Fliege stört uns nicht in unserer Freude über Australien. — Aber ein an¬
derer sehr großer Uebelstand ist daselbst vorhanden; man kann durchaus keinen Löffel
Sahne zu seinem Kaffee erhalten, ohne die größte und furchtbarste Lebensgefahr.
Diese Sache geht so zu:

Der Ansiedler, welcher Rindviehpächter werde» will, miethet große Strecken
Regiernngsland gegen jährlichen Zins, baut sich von Baumrinde und Spänen eine
Hütte, kauft eine Anzahl Rinder und zwei Pferde, brennt den Kühen sein Zeichen
ein und läßt sie im Freien grasen. Bei dieser zwanglosen Existenz verwildern
Kühe und Ochsen eben so heftig, als sie sich schnell vermehren. Das Leben eines
Farmers gleicht daher auffs Haar dem eines Farmers in Texas, Mexiko oder
Südamerika; seine Hauptsorge ist füglich zu ermitteln, wo der Böse sein Vieh
hingetrieben hat, und wenn er'S endlich gefunden hat, so ist seine zweite Sorge,
nicht von ihnen gespießt, ertreten oder auf andere Weise umgebracht zu werden.
Kochen Sie deshalb auf einer Rindviehfarm Ihren Kaffee, so spricht Ihre Fran
zu Ihnen: „Mann hole Sahne!" Sie werfen noch einen Abschiedsblick auf Ihre
schlummernden Kinder in der Wiege, stürzen zum Pferde, welches im glücklichsten
Fall einige tausend Schritt vom Hause frißt, werfen ihm den Sattel und dann
sich selber aus und jagen mit ihm über Felsen und Wasser, durch Busch und Sand


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0424" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279450"/>
          <p xml:id="ID_1440" prev="#ID_1439"> so glücklich fühlen, wäre es unrecht sie zu bezweifeln. Für einen verweichlichten<lb/>
Kulturmenschen sind allerdings einige kleine Bedenken dabei. In den meisten Ge¬<lb/>
genden eine flache Ebene, die Berge kahl, die Flüsse und Bäche ohne Wasser, die<lb/>
Bäume fast ohne Blätter, an größern Thieren großer Mangel, im ganzen Haus¬<lb/>
halt der Natur eine gewisse bizarre Dürftigkeit. Offenbar ist das Land verkom¬<lb/>
men, weil es so lange und so weit von allem Verkehr mit gebildeteren Landstrichen<lb/>
entfernt war. Daß der Sommer um Neujahr, der Winter um den Juli trifft, daß<lb/>
der Norden des Landes die Palmenvegetation der Tropenländer, der Süden unge¬<lb/>
fähr unsere hat, daß die Kirschen dort ihre Kerne an der Spitze der Frucht haben,<lb/>
die Schwäne schwarz und die Krähen weiß sind, daß die Vögel dort durchaus<lb/>
nicht singen, die Sängethiere gleich nach der Empfängniß geboren, von den Eltern<lb/>
in einen Beutel gepackt und herumgeschleppt werden, bis sie fertig geworden sind<lb/>
und courfähig für diese Welt, das Alles ist Jedem bekannt, auch das Beutelthier,<lb/>
das Schnabelthier, das Opossum und die Sckmarozerpflanzen, in welchen die Göttin<lb/>
der Natur gleichsam im Traum alle möglichen erstaunlichen Thierformen, Krebse,<lb/>
Schmetterlinge, Käfer und Schnecken nachgebildet und mit einer Stecknadel an<lb/>
alte Baumstämme angestochen hat. Alles das wundert uns gar nicht mehr, es ist<lb/>
uns bereits gleichgiltig; selbst jene kleine Fliege, welche die blödsinnige. Neigung<lb/>
hat, sich an das Auge des Menschen zu setzen, und aus demselben, wie aus einer<lb/>
Wassermelone die Feuchtigkeit herauszufangen, auch diese Fliege ärgert uns nicht<lb/>
mehr; das Auge geschonte uns nach einer solchen Fliege und wir werden temporär,<lb/>
oder für immer blind, aber man kann ja auch als Blinder glücklich sein, selbst<lb/>
diese Fliege stört uns nicht in unserer Freude über Australien. &#x2014; Aber ein an¬<lb/>
derer sehr großer Uebelstand ist daselbst vorhanden; man kann durchaus keinen Löffel<lb/>
Sahne zu seinem Kaffee erhalten, ohne die größte und furchtbarste Lebensgefahr.<lb/>
Diese Sache geht so zu:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1441" next="#ID_1442"> Der Ansiedler, welcher Rindviehpächter werde» will, miethet große Strecken<lb/>
Regiernngsland gegen jährlichen Zins, baut sich von Baumrinde und Spänen eine<lb/>
Hütte, kauft eine Anzahl Rinder und zwei Pferde, brennt den Kühen sein Zeichen<lb/>
ein und läßt sie im Freien grasen. Bei dieser zwanglosen Existenz verwildern<lb/>
Kühe und Ochsen eben so heftig, als sie sich schnell vermehren. Das Leben eines<lb/>
Farmers gleicht daher auffs Haar dem eines Farmers in Texas, Mexiko oder<lb/>
Südamerika; seine Hauptsorge ist füglich zu ermitteln, wo der Böse sein Vieh<lb/>
hingetrieben hat, und wenn er'S endlich gefunden hat, so ist seine zweite Sorge,<lb/>
nicht von ihnen gespießt, ertreten oder auf andere Weise umgebracht zu werden.<lb/>
Kochen Sie deshalb auf einer Rindviehfarm Ihren Kaffee, so spricht Ihre Fran<lb/>
zu Ihnen: &#x201E;Mann hole Sahne!" Sie werfen noch einen Abschiedsblick auf Ihre<lb/>
schlummernden Kinder in der Wiege, stürzen zum Pferde, welches im glücklichsten<lb/>
Fall einige tausend Schritt vom Hause frißt, werfen ihm den Sattel und dann<lb/>
sich selber aus und jagen mit ihm über Felsen und Wasser, durch Busch und Sand</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0424] so glücklich fühlen, wäre es unrecht sie zu bezweifeln. Für einen verweichlichten Kulturmenschen sind allerdings einige kleine Bedenken dabei. In den meisten Ge¬ genden eine flache Ebene, die Berge kahl, die Flüsse und Bäche ohne Wasser, die Bäume fast ohne Blätter, an größern Thieren großer Mangel, im ganzen Haus¬ halt der Natur eine gewisse bizarre Dürftigkeit. Offenbar ist das Land verkom¬ men, weil es so lange und so weit von allem Verkehr mit gebildeteren Landstrichen entfernt war. Daß der Sommer um Neujahr, der Winter um den Juli trifft, daß der Norden des Landes die Palmenvegetation der Tropenländer, der Süden unge¬ fähr unsere hat, daß die Kirschen dort ihre Kerne an der Spitze der Frucht haben, die Schwäne schwarz und die Krähen weiß sind, daß die Vögel dort durchaus nicht singen, die Sängethiere gleich nach der Empfängniß geboren, von den Eltern in einen Beutel gepackt und herumgeschleppt werden, bis sie fertig geworden sind und courfähig für diese Welt, das Alles ist Jedem bekannt, auch das Beutelthier, das Schnabelthier, das Opossum und die Sckmarozerpflanzen, in welchen die Göttin der Natur gleichsam im Traum alle möglichen erstaunlichen Thierformen, Krebse, Schmetterlinge, Käfer und Schnecken nachgebildet und mit einer Stecknadel an alte Baumstämme angestochen hat. Alles das wundert uns gar nicht mehr, es ist uns bereits gleichgiltig; selbst jene kleine Fliege, welche die blödsinnige. Neigung hat, sich an das Auge des Menschen zu setzen, und aus demselben, wie aus einer Wassermelone die Feuchtigkeit herauszufangen, auch diese Fliege ärgert uns nicht mehr; das Auge geschonte uns nach einer solchen Fliege und wir werden temporär, oder für immer blind, aber man kann ja auch als Blinder glücklich sein, selbst diese Fliege stört uns nicht in unserer Freude über Australien. — Aber ein an¬ derer sehr großer Uebelstand ist daselbst vorhanden; man kann durchaus keinen Löffel Sahne zu seinem Kaffee erhalten, ohne die größte und furchtbarste Lebensgefahr. Diese Sache geht so zu: Der Ansiedler, welcher Rindviehpächter werde» will, miethet große Strecken Regiernngsland gegen jährlichen Zins, baut sich von Baumrinde und Spänen eine Hütte, kauft eine Anzahl Rinder und zwei Pferde, brennt den Kühen sein Zeichen ein und läßt sie im Freien grasen. Bei dieser zwanglosen Existenz verwildern Kühe und Ochsen eben so heftig, als sie sich schnell vermehren. Das Leben eines Farmers gleicht daher auffs Haar dem eines Farmers in Texas, Mexiko oder Südamerika; seine Hauptsorge ist füglich zu ermitteln, wo der Böse sein Vieh hingetrieben hat, und wenn er'S endlich gefunden hat, so ist seine zweite Sorge, nicht von ihnen gespießt, ertreten oder auf andere Weise umgebracht zu werden. Kochen Sie deshalb auf einer Rindviehfarm Ihren Kaffee, so spricht Ihre Fran zu Ihnen: „Mann hole Sahne!" Sie werfen noch einen Abschiedsblick auf Ihre schlummernden Kinder in der Wiege, stürzen zum Pferde, welches im glücklichsten Fall einige tausend Schritt vom Hause frißt, werfen ihm den Sattel und dann sich selber aus und jagen mit ihm über Felsen und Wasser, durch Busch und Sand

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/424
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/424>, abgerufen am 05.02.2025.