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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Süden und Westen eine fast ganz gerade und nur nach gewissen geographischen
Motiven hie und da ihre Richtung verändernde Linie zeigt.

Der Verfertiger der Karte hat sich sorgfältigst bemüht, im Innern unsers ge¬
stimmten Sprachgebiets die einzelnen dialectischer Unterabtheilungen abzugrenzen,
welche den deutschen Stämmen der Vergangenheit und Gegenwart entsprechen.
Das Resultat dürfte für manche romantische und perfide deutsche Politiker besonders im
Süden sehr ärgerlich sein, denn es stellt sich hier auf einem Blick deutlich dar,
daß keine einzige dieser Grenzen einer heutigen politischen entspricht. Was die
Augen sehen, glaubt das Herz; ich denke, eine Betrachtung der Karte könnte
manche Stammeseigenthümlichkeitsschwärmer besser belehren, als lange und gründ¬
liche historische Deductionen. Ueverdies sind auch diese zur Genüge in den An¬
merkungen gegeben.

Eine zweite hieher gehörige Betrachtung mag ebenfalls von Nutzen sein. Der
Verfertiger und Erläuterer der Karte hat sich, wie eben erwähnt, mit wahrhaft
deutschem Fleiße bemüht, jene Grenzlinien zwischen den einzelnen Dialecten und
Stämmen mit Benutzung der vorhandenen Hilfsmittel und eigener Localkenntniß
möglichst genau zu ziehen, aber, wie er an verschiedenen Stellen der Anmerkungen
sagt, mit durchaus unvollständigem Erfolg. Die Ursache davon ist, daß diese
Grenzen an vielen Orten ganz verwischt, an andern nur durch die allersubtilstcn
Lvcalforschungen aufzudecken sind. Ein schlechter Trost für die, welche darauf eine
Neugestaltung der deutschen Staatencomplexe gründen möchten, wie es z. B. in
einem naiven Schaffrath - Hagen'scheu Antrag im October 1848 in Frankfurt be¬
absichtigt wurde. Gewiß werden sie auch für die Zukunft so wenig wie jetzt und
damals mit einem solchen Plane reussiren und seine unmittelbare Gefährlichkeit
ist es nicht, gegen die man sich zu erheben hat. Das einzige Bedenkliche
dabei ist, daß eine neue Contusion zu den zahlreichen vorhandenen in die Köpfe
vieler unserer lieben Landsleute gekommen ist, die um so mehr Berechtigung und
Befestigung gewinnt, je gelehrter die Gründe scheinen, auf die sie sich stützt. Am
Eude wird sie denn doch nur von allen schlechten Speculanten, den Particularisten
im Allgemeinen, den Preußenfressern insbesondere ausgebeutet. Und es ist schon
traurig genug, wenn irgend etwas im Stande ist, den künstlichen Borg der par-
ticularistischen und antipreußischen Vorurtheile im Süden und Norden Deutschlands
noch um einige Schichten höher emporzuthürmen.




Süden und Westen eine fast ganz gerade und nur nach gewissen geographischen
Motiven hie und da ihre Richtung verändernde Linie zeigt.

Der Verfertiger der Karte hat sich sorgfältigst bemüht, im Innern unsers ge¬
stimmten Sprachgebiets die einzelnen dialectischer Unterabtheilungen abzugrenzen,
welche den deutschen Stämmen der Vergangenheit und Gegenwart entsprechen.
Das Resultat dürfte für manche romantische und perfide deutsche Politiker besonders im
Süden sehr ärgerlich sein, denn es stellt sich hier auf einem Blick deutlich dar,
daß keine einzige dieser Grenzen einer heutigen politischen entspricht. Was die
Augen sehen, glaubt das Herz; ich denke, eine Betrachtung der Karte könnte
manche Stammeseigenthümlichkeitsschwärmer besser belehren, als lange und gründ¬
liche historische Deductionen. Ueverdies sind auch diese zur Genüge in den An¬
merkungen gegeben.

Eine zweite hieher gehörige Betrachtung mag ebenfalls von Nutzen sein. Der
Verfertiger und Erläuterer der Karte hat sich, wie eben erwähnt, mit wahrhaft
deutschem Fleiße bemüht, jene Grenzlinien zwischen den einzelnen Dialecten und
Stämmen mit Benutzung der vorhandenen Hilfsmittel und eigener Localkenntniß
möglichst genau zu ziehen, aber, wie er an verschiedenen Stellen der Anmerkungen
sagt, mit durchaus unvollständigem Erfolg. Die Ursache davon ist, daß diese
Grenzen an vielen Orten ganz verwischt, an andern nur durch die allersubtilstcn
Lvcalforschungen aufzudecken sind. Ein schlechter Trost für die, welche darauf eine
Neugestaltung der deutschen Staatencomplexe gründen möchten, wie es z. B. in
einem naiven Schaffrath - Hagen'scheu Antrag im October 1848 in Frankfurt be¬
absichtigt wurde. Gewiß werden sie auch für die Zukunft so wenig wie jetzt und
damals mit einem solchen Plane reussiren und seine unmittelbare Gefährlichkeit
ist es nicht, gegen die man sich zu erheben hat. Das einzige Bedenkliche
dabei ist, daß eine neue Contusion zu den zahlreichen vorhandenen in die Köpfe
vieler unserer lieben Landsleute gekommen ist, die um so mehr Berechtigung und
Befestigung gewinnt, je gelehrter die Gründe scheinen, auf die sie sich stützt. Am
Eude wird sie denn doch nur von allen schlechten Speculanten, den Particularisten
im Allgemeinen, den Preußenfressern insbesondere ausgebeutet. Und es ist schon
traurig genug, wenn irgend etwas im Stande ist, den künstlichen Borg der par-
ticularistischen und antipreußischen Vorurtheile im Süden und Norden Deutschlands
noch um einige Schichten höher emporzuthürmen.




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[0421] Süden und Westen eine fast ganz gerade und nur nach gewissen geographischen Motiven hie und da ihre Richtung verändernde Linie zeigt. Der Verfertiger der Karte hat sich sorgfältigst bemüht, im Innern unsers ge¬ stimmten Sprachgebiets die einzelnen dialectischer Unterabtheilungen abzugrenzen, welche den deutschen Stämmen der Vergangenheit und Gegenwart entsprechen. Das Resultat dürfte für manche romantische und perfide deutsche Politiker besonders im Süden sehr ärgerlich sein, denn es stellt sich hier auf einem Blick deutlich dar, daß keine einzige dieser Grenzen einer heutigen politischen entspricht. Was die Augen sehen, glaubt das Herz; ich denke, eine Betrachtung der Karte könnte manche Stammeseigenthümlichkeitsschwärmer besser belehren, als lange und gründ¬ liche historische Deductionen. Ueverdies sind auch diese zur Genüge in den An¬ merkungen gegeben. Eine zweite hieher gehörige Betrachtung mag ebenfalls von Nutzen sein. Der Verfertiger und Erläuterer der Karte hat sich, wie eben erwähnt, mit wahrhaft deutschem Fleiße bemüht, jene Grenzlinien zwischen den einzelnen Dialecten und Stämmen mit Benutzung der vorhandenen Hilfsmittel und eigener Localkenntniß möglichst genau zu ziehen, aber, wie er an verschiedenen Stellen der Anmerkungen sagt, mit durchaus unvollständigem Erfolg. Die Ursache davon ist, daß diese Grenzen an vielen Orten ganz verwischt, an andern nur durch die allersubtilstcn Lvcalforschungen aufzudecken sind. Ein schlechter Trost für die, welche darauf eine Neugestaltung der deutschen Staatencomplexe gründen möchten, wie es z. B. in einem naiven Schaffrath - Hagen'scheu Antrag im October 1848 in Frankfurt be¬ absichtigt wurde. Gewiß werden sie auch für die Zukunft so wenig wie jetzt und damals mit einem solchen Plane reussiren und seine unmittelbare Gefährlichkeit ist es nicht, gegen die man sich zu erheben hat. Das einzige Bedenkliche dabei ist, daß eine neue Contusion zu den zahlreichen vorhandenen in die Köpfe vieler unserer lieben Landsleute gekommen ist, die um so mehr Berechtigung und Befestigung gewinnt, je gelehrter die Gründe scheinen, auf die sie sich stützt. Am Eude wird sie denn doch nur von allen schlechten Speculanten, den Particularisten im Allgemeinen, den Preußenfressern insbesondere ausgebeutet. Und es ist schon traurig genug, wenn irgend etwas im Stande ist, den künstlichen Borg der par- ticularistischen und antipreußischen Vorurtheile im Süden und Norden Deutschlands noch um einige Schichten höher emporzuthürmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/421>, abgerufen am 05.02.2025.