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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Periode allgemeiner Entkräftung und Anarchie als politisches Moment geltend
macht. Darin bestand beiläufig der große Irrthum in Berlin zur Zeit der
Constituante. Als damals die Souveräne der Straße ihre Vertreter mit
Stöcken und Knitteln bedrohten, meinten die Herren Jung u. s. w., man
sollte sich durch solches "Schaumspritzen der aufgeregten Wogen" nicht irre machen
lassen, in England bombardirten auch die Gassenbuben den Herzog von Wel¬
lington mit Koth und Steinen, und der edle Pair wende keine andere Ma߬
regel dagegen an, als daß er seinen Wagen mit stärkern Wänden versehen ließe.
Aber der Fall ist ein ganz anderer. Der Herzog von Wellington ist Manns genug,
solche Demonstrationen der Volkssouveränität auf das Gründlichste zu verachten,
er bleibt ein Tory nach wie vor, und solche Männer sind sämmtliche edle Lords
und Gentlemen im Parlament ihrer großbritanischen Majestät. Wenn aber in
einer Versammlung, die berufen ist, die neue Verfassung eines Staats zu ent¬
werfen, zwei Drittel der Mitglieder so inhaltlos und unselbstständig sind, daß sie
sich von der Staatsweisheit, die auf der Gasse gemacht wird, inspiriren lassen,
dann sind solche "Rückschläge des Vertrauens" allerdings bedenklich, und die Ne¬
gierung hat das Recht und die Pflicht, einer solchen Wechselwirkung ein Ende
zu machen.

Freilich hängt der Erfolg mit dem Werth der Sache zusammen. Nur eine
so vollkommene Verwirrung der Principien, wie sie in den Köpfen Hecker's und
seiner Parteigenossen herrschte, macht den Weg begreiflich, auf dem er dieselben
ins Leben führen wollte. Man ruft einen Haufen Bummler zusammen, steckt die
rothe Fahne auf und damit soll dann die Republik fertig sein. Natürlich wird
die Schaar durch das erste Regiment, das ihnen begegnet, auseinander getrieben,
wie Spreu vor dem Winde, und wird Zeter gerufen über das knechtisch gesinnte
Vaterland, das seinen Retter im Stich gelassen.

Wohl ist im Lauf des vorigen Jahres Vieles vorgekommen, was uns über
die Reife unserer Nation, von der die Poeten so viel Schönes gefabelt, in Zwei¬
fel setzen kann. Aber diese Republikaner haben kein Recht, es uns vorzuwerfen.
Von allen Phänomenen unserer Unreife war ihr Auftreten das handgreiflichste.

Mögen sie in der Fremde die Gesundheit wieder finden, die sie in der Hei-
math durch ein künstliches Festhalten der Jugend über das Maß der Natur hin-
aus verscherzt haben. Keine Kraft ist verloren, die sich einen Boden realer
Thätigkeit zu schaffen vermag.


2. Ludwig von Rango.

Deutschland war gegen das Ende des Mittelalters berufen durch seine Lanz¬
knechte, die es nach allen Gegenden Europas ausschickte, wo es irgend Krieg gab,
Beute und Gefahr. In neuerer Zeit haben die Polen diese Rolle übernommen;


Periode allgemeiner Entkräftung und Anarchie als politisches Moment geltend
macht. Darin bestand beiläufig der große Irrthum in Berlin zur Zeit der
Constituante. Als damals die Souveräne der Straße ihre Vertreter mit
Stöcken und Knitteln bedrohten, meinten die Herren Jung u. s. w., man
sollte sich durch solches „Schaumspritzen der aufgeregten Wogen" nicht irre machen
lassen, in England bombardirten auch die Gassenbuben den Herzog von Wel¬
lington mit Koth und Steinen, und der edle Pair wende keine andere Ma߬
regel dagegen an, als daß er seinen Wagen mit stärkern Wänden versehen ließe.
Aber der Fall ist ein ganz anderer. Der Herzog von Wellington ist Manns genug,
solche Demonstrationen der Volkssouveränität auf das Gründlichste zu verachten,
er bleibt ein Tory nach wie vor, und solche Männer sind sämmtliche edle Lords
und Gentlemen im Parlament ihrer großbritanischen Majestät. Wenn aber in
einer Versammlung, die berufen ist, die neue Verfassung eines Staats zu ent¬
werfen, zwei Drittel der Mitglieder so inhaltlos und unselbstständig sind, daß sie
sich von der Staatsweisheit, die auf der Gasse gemacht wird, inspiriren lassen,
dann sind solche „Rückschläge des Vertrauens" allerdings bedenklich, und die Ne¬
gierung hat das Recht und die Pflicht, einer solchen Wechselwirkung ein Ende
zu machen.

Freilich hängt der Erfolg mit dem Werth der Sache zusammen. Nur eine
so vollkommene Verwirrung der Principien, wie sie in den Köpfen Hecker's und
seiner Parteigenossen herrschte, macht den Weg begreiflich, auf dem er dieselben
ins Leben führen wollte. Man ruft einen Haufen Bummler zusammen, steckt die
rothe Fahne auf und damit soll dann die Republik fertig sein. Natürlich wird
die Schaar durch das erste Regiment, das ihnen begegnet, auseinander getrieben,
wie Spreu vor dem Winde, und wird Zeter gerufen über das knechtisch gesinnte
Vaterland, das seinen Retter im Stich gelassen.

Wohl ist im Lauf des vorigen Jahres Vieles vorgekommen, was uns über
die Reife unserer Nation, von der die Poeten so viel Schönes gefabelt, in Zwei¬
fel setzen kann. Aber diese Republikaner haben kein Recht, es uns vorzuwerfen.
Von allen Phänomenen unserer Unreife war ihr Auftreten das handgreiflichste.

Mögen sie in der Fremde die Gesundheit wieder finden, die sie in der Hei-
math durch ein künstliches Festhalten der Jugend über das Maß der Natur hin-
aus verscherzt haben. Keine Kraft ist verloren, die sich einen Boden realer
Thätigkeit zu schaffen vermag.


2. Ludwig von Rango.

Deutschland war gegen das Ende des Mittelalters berufen durch seine Lanz¬
knechte, die es nach allen Gegenden Europas ausschickte, wo es irgend Krieg gab,
Beute und Gefahr. In neuerer Zeit haben die Polen diese Rolle übernommen;


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[0413] Periode allgemeiner Entkräftung und Anarchie als politisches Moment geltend macht. Darin bestand beiläufig der große Irrthum in Berlin zur Zeit der Constituante. Als damals die Souveräne der Straße ihre Vertreter mit Stöcken und Knitteln bedrohten, meinten die Herren Jung u. s. w., man sollte sich durch solches „Schaumspritzen der aufgeregten Wogen" nicht irre machen lassen, in England bombardirten auch die Gassenbuben den Herzog von Wel¬ lington mit Koth und Steinen, und der edle Pair wende keine andere Ma߬ regel dagegen an, als daß er seinen Wagen mit stärkern Wänden versehen ließe. Aber der Fall ist ein ganz anderer. Der Herzog von Wellington ist Manns genug, solche Demonstrationen der Volkssouveränität auf das Gründlichste zu verachten, er bleibt ein Tory nach wie vor, und solche Männer sind sämmtliche edle Lords und Gentlemen im Parlament ihrer großbritanischen Majestät. Wenn aber in einer Versammlung, die berufen ist, die neue Verfassung eines Staats zu ent¬ werfen, zwei Drittel der Mitglieder so inhaltlos und unselbstständig sind, daß sie sich von der Staatsweisheit, die auf der Gasse gemacht wird, inspiriren lassen, dann sind solche „Rückschläge des Vertrauens" allerdings bedenklich, und die Ne¬ gierung hat das Recht und die Pflicht, einer solchen Wechselwirkung ein Ende zu machen. Freilich hängt der Erfolg mit dem Werth der Sache zusammen. Nur eine so vollkommene Verwirrung der Principien, wie sie in den Köpfen Hecker's und seiner Parteigenossen herrschte, macht den Weg begreiflich, auf dem er dieselben ins Leben führen wollte. Man ruft einen Haufen Bummler zusammen, steckt die rothe Fahne auf und damit soll dann die Republik fertig sein. Natürlich wird die Schaar durch das erste Regiment, das ihnen begegnet, auseinander getrieben, wie Spreu vor dem Winde, und wird Zeter gerufen über das knechtisch gesinnte Vaterland, das seinen Retter im Stich gelassen. Wohl ist im Lauf des vorigen Jahres Vieles vorgekommen, was uns über die Reife unserer Nation, von der die Poeten so viel Schönes gefabelt, in Zwei¬ fel setzen kann. Aber diese Republikaner haben kein Recht, es uns vorzuwerfen. Von allen Phänomenen unserer Unreife war ihr Auftreten das handgreiflichste. Mögen sie in der Fremde die Gesundheit wieder finden, die sie in der Hei- math durch ein künstliches Festhalten der Jugend über das Maß der Natur hin- aus verscherzt haben. Keine Kraft ist verloren, die sich einen Boden realer Thätigkeit zu schaffen vermag. 2. Ludwig von Rango. Deutschland war gegen das Ende des Mittelalters berufen durch seine Lanz¬ knechte, die es nach allen Gegenden Europas ausschickte, wo es irgend Krieg gab, Beute und Gefahr. In neuerer Zeit haben die Polen diese Rolle übernommen;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/413>, abgerufen am 11.02.2025.