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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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chen darauf ausgeschnitzt, Harlekine, Mönchskutten, mittelalterliche Junker, schein¬
heilige Pietistengehülfen; aber der Bau des Staats selber ist zu solide, als daß
ihr Federmesser tief hätte eindringen können. Ein tüchtiger Hobel, und die Rococo-
Schnörkel sind abgewischt, ohne daß das Haus Schaden leidet.




Kleine Portraits.



I. Friedrich Hecker.

Mit einem gemischten Gefühl sehen wir Hecker zum zweiten Mal ans seinem
Vatevlande scheiden. Der Augenblick unsers Lebens, in welchem wir die letzten
Illusionen der Jngend von uns werfen, ist nothwendig und heilsam, aber "ehe
ohne Schmerz. Hecker war das fixirte Bild unserer politischen Jugend, die edelste
Gestalt jener verwegenen Richtung, welche die Freiheit, wie wir sie in der Stu¬
dentenzeit uns vorstellen, durch einen raschen Handstreich gewinnen wollte.

Sein Abschiedsgruß an Deutschland ist bitter. "Mit wahrer Sehnsucht,"
schreibt er von Havre an einen Freund in Baselland "schaue ich hinüber nach dem
fernen Westen und meiner Waldeinsamkeit; ekelerfüllt und bitter enttäuscht, seit ich
die Erde des alterschwach gewordenen Europa unter meinen Füßen fühle. Im
Eilfluge legte ich die 6000 englischen Meilen zurück, um eine Revolution, der so
gewaltige Mittel zu Gebote stauben, niederwerfen zu sehen. Aber gerade daß
Baden trotz diesem, von allen andern Stämmen im Stiche gelassen, einsam ver¬
blutete, gerade der Umstand, daß alle Häupter der republikanischen Partei zur
Verfügung standen, und doch in vier Wochen Alles zu Ende ging, gerade dieses
Alles zeigt, daß es der Masse des Volkes an wahrem revolutionären Enthusiasmus
und wildenergischer nothwendiger Kraft, den Führern an Genialität und jenem
eisernen Willen fehlt, mit welchem man die Begeisterung und Anstrengung zur
That hervorruft. Mit bitterem Gefühle nehme ich den umgekehrten Griffel und
wische 12 Jahre des redliche", rastlosen Wirkens und Kämpfens aus den Tafeln
meines Lebens, um mit 38 Jahren von Börnen zu beginnen, und in dem kleinen
Kreise eines westlichen Bauern zu wirken und zu schaffen. Das Scheiden wird
mir aber leichter, wenn ich das, was ich seit meiner Ankunft auf dem Continent
erfahren habe, zusammen nehme. Ich selbst von der Polizei als ein Vagabund
behandelt und fortgejagt, und so lange ich geduldet wurde, Nichts hörend als
lediglich Anklagen des Einen gegen den Andern, Jeder den Andern aller Infamie,
des Verraths, der Feigheit, der Schurkerei beschuldigend, bin ich dieses widrig-


chen darauf ausgeschnitzt, Harlekine, Mönchskutten, mittelalterliche Junker, schein¬
heilige Pietistengehülfen; aber der Bau des Staats selber ist zu solide, als daß
ihr Federmesser tief hätte eindringen können. Ein tüchtiger Hobel, und die Rococo-
Schnörkel sind abgewischt, ohne daß das Haus Schaden leidet.




Kleine Portraits.



I. Friedrich Hecker.

Mit einem gemischten Gefühl sehen wir Hecker zum zweiten Mal ans seinem
Vatevlande scheiden. Der Augenblick unsers Lebens, in welchem wir die letzten
Illusionen der Jngend von uns werfen, ist nothwendig und heilsam, aber «ehe
ohne Schmerz. Hecker war das fixirte Bild unserer politischen Jugend, die edelste
Gestalt jener verwegenen Richtung, welche die Freiheit, wie wir sie in der Stu¬
dentenzeit uns vorstellen, durch einen raschen Handstreich gewinnen wollte.

Sein Abschiedsgruß an Deutschland ist bitter. „Mit wahrer Sehnsucht,"
schreibt er von Havre an einen Freund in Baselland „schaue ich hinüber nach dem
fernen Westen und meiner Waldeinsamkeit; ekelerfüllt und bitter enttäuscht, seit ich
die Erde des alterschwach gewordenen Europa unter meinen Füßen fühle. Im
Eilfluge legte ich die 6000 englischen Meilen zurück, um eine Revolution, der so
gewaltige Mittel zu Gebote stauben, niederwerfen zu sehen. Aber gerade daß
Baden trotz diesem, von allen andern Stämmen im Stiche gelassen, einsam ver¬
blutete, gerade der Umstand, daß alle Häupter der republikanischen Partei zur
Verfügung standen, und doch in vier Wochen Alles zu Ende ging, gerade dieses
Alles zeigt, daß es der Masse des Volkes an wahrem revolutionären Enthusiasmus
und wildenergischer nothwendiger Kraft, den Führern an Genialität und jenem
eisernen Willen fehlt, mit welchem man die Begeisterung und Anstrengung zur
That hervorruft. Mit bitterem Gefühle nehme ich den umgekehrten Griffel und
wische 12 Jahre des redliche«, rastlosen Wirkens und Kämpfens aus den Tafeln
meines Lebens, um mit 38 Jahren von Börnen zu beginnen, und in dem kleinen
Kreise eines westlichen Bauern zu wirken und zu schaffen. Das Scheiden wird
mir aber leichter, wenn ich das, was ich seit meiner Ankunft auf dem Continent
erfahren habe, zusammen nehme. Ich selbst von der Polizei als ein Vagabund
behandelt und fortgejagt, und so lange ich geduldet wurde, Nichts hörend als
lediglich Anklagen des Einen gegen den Andern, Jeder den Andern aller Infamie,
des Verraths, der Feigheit, der Schurkerei beschuldigend, bin ich dieses widrig-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/408>, abgerufen am 05.02.2025.