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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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so lange nicht leiden, als das Corpsgefühl dem Ausländer, den Barbaren -- hier
dem Philister gegenüber ein gleiches bleibt.

Diese burschikosen Reminiscenzen werden in uns geweckt, wenn wir die Art
und Weise verfolgen, wie Herr v. Gerlach, Chef der Ultra's in der ersten
Kammer, die Kategorie des Schwarzweißen dem Tricoloren gegenüberstellt. Be¬
kanntlich fürchtete man, ein Ministerium Gerlach an die Stelle Manteuffel's treten
zu sehen. Nach dieser Rede furchten wir es weniger. Herr v. Gerlach gebärdet
sich wie ein Tntthahn, der auf den rothen Lappen losstürzt, weil seine Nerven
die Farbe nicht vertragen. Eine so nervöse Empfindlichkeit qualificirt sich nicht
für ein Portefeuille. Herr v. Gerlach erklärt, wenn ihm die Wahl zwischen einem
schwarzweißen Pfennig und einem trikolorcn Thaler freigestellt wäre, so würde er
den Thaler erst zehnmal umdrehen, um zu sehen, ob er nicht ein falscher wäre.
Wenn sich das auf Papiergeld bezieht, so würden wir dasselbe thun, Fud selbst
die am meisten Deutschgesinuten rothen Republikaner würden nicht einstehn, unserm
Beispiele zu folgen; sie würden gern hundert Brentano'sche Kassenanweisungen
gegen eine Preußische eintauschen. Aber wenn wir von jenem Thaler die rothe
Farbe abwischten, so daß nichts übrig bliebe, als schwarzgelb -- eine Farbe, die
Herr v. Gerlach im Stillen weit mehr verehrt, als seine offizielle Litze -- würde
er weniger bedenklich sein über den augenblicklichen Cours? Ich dächte nicht!

Herr v. Gerlach ist ein Royalist der dritten Classe, ein Royalist aus Doctrin,
aus religiöser Reflexion. Er ist nicht Anhänger des Königs, weil er ein Preuße
ist, sondern er ist Preuße, weil er das Königthum verehrt und vor Allen die Re¬
volution haßt. Diese Sorte hat Preußen seit zehn Jahren unendlichen Schaden
gebracht, weil sie diesen Staat seine beste Grundlage, die Solidität entzogen hat.
Nicht als einseitige, eingefleischte Praktiker hassen sie den liberalen Doctrinarismus,
sondern als umgekehrte DoctrinairS; sie sind "Professoren," Schulmeister, Schola-
stiker oder wie man es nennen will, in zwanzigster Potenz; aber sie schwärmen
nicht für die theoretische Religion des Vernünftige", des Rationellen; ihr Ideal
ist das Jrratiouelle, das Particulaire, das Unklare, Mystische, Verschrobene als
solches. Sie lieben Oestreich, nicht wegen seines tüchtigen Fonds, sondern wegen
seines unentwickelten Staatswesens; sie möchten eigentlich Rußland vorziehen, weil
es dort noch irrationeller, unklarer und mystischer zugeht, nur daß der Kaiser von
solchen doctrinairen Dithyramben, die ihrem Herzen ein Bedürfniß sind, nicht viel
hält; sie halten an Preußen nicht ii-irco "jro, sondern "moi,>>le; sie würden es
bei Weitem vorziehn, wenn sie neben den absoluten König noch einen absoluten
Adel und einen infalliblen Papst stellen könnten.

Es ist immerhin ein gutes Zeichen für deu gesunden Kern Preußens, daß die
Zehnjährige Herrschaft dieser Sorte nicht im Stande gewesen ist, es vollständig ver¬
schroben zu machen. Ihr Einfluß hat nur die Oberfläche berührt; sie haben Mann-


so lange nicht leiden, als das Corpsgefühl dem Ausländer, den Barbaren — hier
dem Philister gegenüber ein gleiches bleibt.

Diese burschikosen Reminiscenzen werden in uns geweckt, wenn wir die Art
und Weise verfolgen, wie Herr v. Gerlach, Chef der Ultra's in der ersten
Kammer, die Kategorie des Schwarzweißen dem Tricoloren gegenüberstellt. Be¬
kanntlich fürchtete man, ein Ministerium Gerlach an die Stelle Manteuffel's treten
zu sehen. Nach dieser Rede furchten wir es weniger. Herr v. Gerlach gebärdet
sich wie ein Tntthahn, der auf den rothen Lappen losstürzt, weil seine Nerven
die Farbe nicht vertragen. Eine so nervöse Empfindlichkeit qualificirt sich nicht
für ein Portefeuille. Herr v. Gerlach erklärt, wenn ihm die Wahl zwischen einem
schwarzweißen Pfennig und einem trikolorcn Thaler freigestellt wäre, so würde er
den Thaler erst zehnmal umdrehen, um zu sehen, ob er nicht ein falscher wäre.
Wenn sich das auf Papiergeld bezieht, so würden wir dasselbe thun, Fud selbst
die am meisten Deutschgesinuten rothen Republikaner würden nicht einstehn, unserm
Beispiele zu folgen; sie würden gern hundert Brentano'sche Kassenanweisungen
gegen eine Preußische eintauschen. Aber wenn wir von jenem Thaler die rothe
Farbe abwischten, so daß nichts übrig bliebe, als schwarzgelb — eine Farbe, die
Herr v. Gerlach im Stillen weit mehr verehrt, als seine offizielle Litze — würde
er weniger bedenklich sein über den augenblicklichen Cours? Ich dächte nicht!

Herr v. Gerlach ist ein Royalist der dritten Classe, ein Royalist aus Doctrin,
aus religiöser Reflexion. Er ist nicht Anhänger des Königs, weil er ein Preuße
ist, sondern er ist Preuße, weil er das Königthum verehrt und vor Allen die Re¬
volution haßt. Diese Sorte hat Preußen seit zehn Jahren unendlichen Schaden
gebracht, weil sie diesen Staat seine beste Grundlage, die Solidität entzogen hat.
Nicht als einseitige, eingefleischte Praktiker hassen sie den liberalen Doctrinarismus,
sondern als umgekehrte DoctrinairS; sie sind „Professoren," Schulmeister, Schola-
stiker oder wie man es nennen will, in zwanzigster Potenz; aber sie schwärmen
nicht für die theoretische Religion des Vernünftige», des Rationellen; ihr Ideal
ist das Jrratiouelle, das Particulaire, das Unklare, Mystische, Verschrobene als
solches. Sie lieben Oestreich, nicht wegen seines tüchtigen Fonds, sondern wegen
seines unentwickelten Staatswesens; sie möchten eigentlich Rußland vorziehen, weil
es dort noch irrationeller, unklarer und mystischer zugeht, nur daß der Kaiser von
solchen doctrinairen Dithyramben, die ihrem Herzen ein Bedürfniß sind, nicht viel
hält; sie halten an Preußen nicht ii-irco «jro, sondern «moi,>>le; sie würden es
bei Weitem vorziehn, wenn sie neben den absoluten König noch einen absoluten
Adel und einen infalliblen Papst stellen könnten.

Es ist immerhin ein gutes Zeichen für deu gesunden Kern Preußens, daß die
Zehnjährige Herrschaft dieser Sorte nicht im Stande gewesen ist, es vollständig ver¬
schroben zu machen. Ihr Einfluß hat nur die Oberfläche berührt; sie haben Mann-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/407>, abgerufen am 05.02.2025.