Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Preußische Briefe.



Zwanzigster Brief.
Die Vorlagen der Regierung in der deutschen Verfassung.

Die preußische Negierung hat den beiden Kammern die Aktenstücke, welche
sich auf die seit der Auflösung der vorigen Kammer gepflogenen Unterhandlungen in
der deutschen Verfassungsfrage beziehn, vorgelegt, und sie dnrch eine Denkschrift,
so wie durch mündliche Erklärungen ihrer Commissarien näher erläutert. In der
ersten Kammer hat der Unterstaatssecretär im Departement der auswärtigen An¬
gelegenheiten, Grc.f Bülow, in der zweiten General v. Radowitz die Ansichten
der Regierung ausgesprochen. In Folge dieser Erklärungen hat zunächst die erste
Kammer (27. August) mit 96 : 14 Stimmen (die Stahl'sche Partei) den Antrag
Camphausen's zu dem ihrigen gemacht. Sie hat damit der Regierung die Voll¬
macht ertheilt, mit dem auf Grund des Entwurfes vom 26. Mai einzuberufenden
Bundesparlament ohne Zuziehung der preußischen Kammern die Reichsverfassung
zu vereinbaren.

Dieser Schritt, der von sehr großer Wichtigkeit wäre, wenn die Kammern
der übrigen deutschen Staaten, namentlich die von Sachsen und Hannover, ihm
nachfolgten, verliert durch die Erklärungen des Ministeriums freilich sehr an Be¬
deutung. Es nimmt ihn als eine Art Vertrauensvotum an, behält sich aber vor,
davon Gebrauch zu macheu oder nicht, je nach den Umständen. Ja es zeigt sich,
namentlich aus der Rede des Grafen Bülow, daß die Negierung auf den guten
Willen selbst ihrer nächsten Verbündeten nicht viel Vertrauen setzt, und daß sie
sich ganz bestimmt den Fall ausmalt, aus der ganzen Sache könne nichts werden.

Die Rechtfertigung der Regierung in Beziehung auf das, was sie gethan,
geht nach zwei Seiten hin. Einmal gegen die unitarische Partei, welche von ihr
die Annahme der Reichsverfassung, wie sie aus den Berathungen der deutschen
Nationalversammlung hervorgegangen war, gefordert hatte, sodann gegen die Le-
gitimisten, welche schon in dem preußischen Project eine mehr oder minder gewalt¬
same Alteration der bestehenden Rechtsverhältnisse erblicken.

Was das erste betrifft, so hält sich die Regierung in den allgemeinen Redens-


Grenzboten, let. 184S. 46
Preußische Briefe.



Zwanzigster Brief.
Die Vorlagen der Regierung in der deutschen Verfassung.

Die preußische Negierung hat den beiden Kammern die Aktenstücke, welche
sich auf die seit der Auflösung der vorigen Kammer gepflogenen Unterhandlungen in
der deutschen Verfassungsfrage beziehn, vorgelegt, und sie dnrch eine Denkschrift,
so wie durch mündliche Erklärungen ihrer Commissarien näher erläutert. In der
ersten Kammer hat der Unterstaatssecretär im Departement der auswärtigen An¬
gelegenheiten, Grc.f Bülow, in der zweiten General v. Radowitz die Ansichten
der Regierung ausgesprochen. In Folge dieser Erklärungen hat zunächst die erste
Kammer (27. August) mit 96 : 14 Stimmen (die Stahl'sche Partei) den Antrag
Camphausen's zu dem ihrigen gemacht. Sie hat damit der Regierung die Voll¬
macht ertheilt, mit dem auf Grund des Entwurfes vom 26. Mai einzuberufenden
Bundesparlament ohne Zuziehung der preußischen Kammern die Reichsverfassung
zu vereinbaren.

Dieser Schritt, der von sehr großer Wichtigkeit wäre, wenn die Kammern
der übrigen deutschen Staaten, namentlich die von Sachsen und Hannover, ihm
nachfolgten, verliert durch die Erklärungen des Ministeriums freilich sehr an Be¬
deutung. Es nimmt ihn als eine Art Vertrauensvotum an, behält sich aber vor,
davon Gebrauch zu macheu oder nicht, je nach den Umständen. Ja es zeigt sich,
namentlich aus der Rede des Grafen Bülow, daß die Negierung auf den guten
Willen selbst ihrer nächsten Verbündeten nicht viel Vertrauen setzt, und daß sie
sich ganz bestimmt den Fall ausmalt, aus der ganzen Sache könne nichts werden.

Die Rechtfertigung der Regierung in Beziehung auf das, was sie gethan,
geht nach zwei Seiten hin. Einmal gegen die unitarische Partei, welche von ihr
die Annahme der Reichsverfassung, wie sie aus den Berathungen der deutschen
Nationalversammlung hervorgegangen war, gefordert hatte, sodann gegen die Le-
gitimisten, welche schon in dem preußischen Project eine mehr oder minder gewalt¬
same Alteration der bestehenden Rechtsverhältnisse erblicken.

Was das erste betrifft, so hält sich die Regierung in den allgemeinen Redens-


Grenzboten, let. 184S. 46
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0361" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279387"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Preußische Briefe.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="2">
            <head> Zwanzigster Brief.<lb/>
Die Vorlagen der Regierung in der deutschen Verfassung.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1202"> Die preußische Negierung hat den beiden Kammern die Aktenstücke, welche<lb/>
sich auf die seit der Auflösung der vorigen Kammer gepflogenen Unterhandlungen in<lb/>
der deutschen Verfassungsfrage beziehn, vorgelegt, und sie dnrch eine Denkschrift,<lb/>
so wie durch mündliche Erklärungen ihrer Commissarien näher erläutert. In der<lb/>
ersten Kammer hat der Unterstaatssecretär im Departement der auswärtigen An¬<lb/>
gelegenheiten, Grc.f Bülow, in der zweiten General v. Radowitz die Ansichten<lb/>
der Regierung ausgesprochen. In Folge dieser Erklärungen hat zunächst die erste<lb/>
Kammer (27. August) mit 96 : 14 Stimmen (die Stahl'sche Partei) den Antrag<lb/>
Camphausen's zu dem ihrigen gemacht. Sie hat damit der Regierung die Voll¬<lb/>
macht ertheilt, mit dem auf Grund des Entwurfes vom 26. Mai einzuberufenden<lb/>
Bundesparlament ohne Zuziehung der preußischen Kammern die Reichsverfassung<lb/>
zu vereinbaren.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1203"> Dieser Schritt, der von sehr großer Wichtigkeit wäre, wenn die Kammern<lb/>
der übrigen deutschen Staaten, namentlich die von Sachsen und Hannover, ihm<lb/>
nachfolgten, verliert durch die Erklärungen des Ministeriums freilich sehr an Be¬<lb/>
deutung. Es nimmt ihn als eine Art Vertrauensvotum an, behält sich aber vor,<lb/>
davon Gebrauch zu macheu oder nicht, je nach den Umständen. Ja es zeigt sich,<lb/>
namentlich aus der Rede des Grafen Bülow, daß die Negierung auf den guten<lb/>
Willen selbst ihrer nächsten Verbündeten nicht viel Vertrauen setzt, und daß sie<lb/>
sich ganz bestimmt den Fall ausmalt, aus der ganzen Sache könne nichts werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1204"> Die Rechtfertigung der Regierung in Beziehung auf das, was sie gethan,<lb/>
geht nach zwei Seiten hin. Einmal gegen die unitarische Partei, welche von ihr<lb/>
die Annahme der Reichsverfassung, wie sie aus den Berathungen der deutschen<lb/>
Nationalversammlung hervorgegangen war, gefordert hatte, sodann gegen die Le-<lb/>
gitimisten, welche schon in dem preußischen Project eine mehr oder minder gewalt¬<lb/>
same Alteration der bestehenden Rechtsverhältnisse erblicken.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1205" next="#ID_1206"> Was das erste betrifft, so hält sich die Regierung in den allgemeinen Redens-</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten, let. 184S. 46</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0361] Preußische Briefe. Zwanzigster Brief. Die Vorlagen der Regierung in der deutschen Verfassung. Die preußische Negierung hat den beiden Kammern die Aktenstücke, welche sich auf die seit der Auflösung der vorigen Kammer gepflogenen Unterhandlungen in der deutschen Verfassungsfrage beziehn, vorgelegt, und sie dnrch eine Denkschrift, so wie durch mündliche Erklärungen ihrer Commissarien näher erläutert. In der ersten Kammer hat der Unterstaatssecretär im Departement der auswärtigen An¬ gelegenheiten, Grc.f Bülow, in der zweiten General v. Radowitz die Ansichten der Regierung ausgesprochen. In Folge dieser Erklärungen hat zunächst die erste Kammer (27. August) mit 96 : 14 Stimmen (die Stahl'sche Partei) den Antrag Camphausen's zu dem ihrigen gemacht. Sie hat damit der Regierung die Voll¬ macht ertheilt, mit dem auf Grund des Entwurfes vom 26. Mai einzuberufenden Bundesparlament ohne Zuziehung der preußischen Kammern die Reichsverfassung zu vereinbaren. Dieser Schritt, der von sehr großer Wichtigkeit wäre, wenn die Kammern der übrigen deutschen Staaten, namentlich die von Sachsen und Hannover, ihm nachfolgten, verliert durch die Erklärungen des Ministeriums freilich sehr an Be¬ deutung. Es nimmt ihn als eine Art Vertrauensvotum an, behält sich aber vor, davon Gebrauch zu macheu oder nicht, je nach den Umständen. Ja es zeigt sich, namentlich aus der Rede des Grafen Bülow, daß die Negierung auf den guten Willen selbst ihrer nächsten Verbündeten nicht viel Vertrauen setzt, und daß sie sich ganz bestimmt den Fall ausmalt, aus der ganzen Sache könne nichts werden. Die Rechtfertigung der Regierung in Beziehung auf das, was sie gethan, geht nach zwei Seiten hin. Einmal gegen die unitarische Partei, welche von ihr die Annahme der Reichsverfassung, wie sie aus den Berathungen der deutschen Nationalversammlung hervorgegangen war, gefordert hatte, sodann gegen die Le- gitimisten, welche schon in dem preußischen Project eine mehr oder minder gewalt¬ same Alteration der bestehenden Rechtsverhältnisse erblicken. Was das erste betrifft, so hält sich die Regierung in den allgemeinen Redens- Grenzboten, let. 184S. 46

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/361
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/361>, abgerufen am 05.02.2025.