Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.oder würden es die östreichischen Minister nicht schenen, vor einem außeröstreichi¬ Wir überlassen die Anschuldigung von Seite des Finanzministers gegen Pnlszky Leo Graf Thun als Staatsminister. GrafLeo Thun ist vom abgesetzten Landeschef Böhmens zumMi- Die "Swornost" würde mir diese Rücksichtsnahme freilich sehr übel nehmen, oder würden es die östreichischen Minister nicht schenen, vor einem außeröstreichi¬ Wir überlassen die Anschuldigung von Seite des Finanzministers gegen Pnlszky Leo Graf Thun als Staatsminister. GrafLeo Thun ist vom abgesetzten Landeschef Böhmens zumMi- Die „Swornost" würde mir diese Rücksichtsnahme freilich sehr übel nehmen, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0309" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279335"/> <p xml:id="ID_1010" prev="#ID_1009"> oder würden es die östreichischen Minister nicht schenen, vor einem außeröstreichi¬<lb/> schen Gericht den Prozeß auszuführen, so müßte sie Pulszky vorladen, der Ver¬<lb/> leumdung und Ehrenkränkung angeklagt, und bald — überwiesen. Der Todschlag<lb/> Latours war ein zufälliger, und diesen so wie dem ganzen 6. October unseligen<lb/> Andenkens standen die Ungarn, wie es alle Eingeweihten bezeugen, ganz fern; er<lb/> überraschte die Pesther eben so wie die Wiener. Weder Demokraten noch Reactionäre,<lb/> weder die schwarzgelben, noch die Schwarzrothgoldnen, weder die Garden und<lb/> Legionäre noch das Militär und Civil, Niemand, Niemand war ans die Vor¬<lb/> gänge des 6. October vorbereitet. Das Gewitter schwebte seit Wochen über dem<lb/> Horizont, der Blitz schlug ins Kriegsgebäude.</p><lb/> <p xml:id="ID_1011"> Wir überlassen die Anschuldigung von Seite des Finanzministers gegen Pnlszky<lb/> dem Urtheile der Leser; ihr verdanke» sie den Titel dieses Aufsatzes.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Leo Graf Thun als Staatsminister.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_1012"> GrafLeo Thun ist vom abgesetzten Landeschef Böhmens zumMi-<lb/> nister Oestreichs avancirt. Ein wahrer Kaisersprung für einen Staatsmann,<lb/> der auf dem schroffen Gestein des czechisch-panslavistischen Charakters so sehr die<lb/> Negierungsstraße verloren hatte, daß er erst dnrch Entlassung aus dem peinlichen<lb/> Labyrinthe gezogen werden konnte. Mehr als ein Jahr ist dieser Manu, der für<lb/> die Sprache und Nationalität seiner Stammesbrüder schon in einer Zeit muthig<lb/> wirkte, in welcher seine nachmaligen Ankläger ihre wilden Mähnen noch nicht zu<lb/> schütteln wagten, — als Apostat geächtet und als Veiräther der Nation vielseitig<lb/> bezeichnet gewesen, bis ihm auf den Trümmern panslavistischer Ideale ein Mini¬<lb/> ster sitz erstand. Schwer ist es, noch ein billiges Urtheil über diesen Charakter<lb/> zu fällen, Hoffnung und Furcht haben hier gleichviel Chancen für sich, Lob und<lb/> Tadel kann nnr die Zeit aussprechen. —</p><lb/> <p xml:id="ID_1013" next="#ID_1014"> Die „Swornost" würde mir diese Rücksichtsnahme freilich sehr übel nehmen,<lb/> und rufen: „Man zweifelt an der Perfidie und reactwnärcn Gestnnnng eines<lb/> Mannes, der seine zweite Vaterstadt in Brand stecken ließ, seinen Stamm mit<lb/> Schmach bedeckte und die treusten Anhänger des angestammten, glorreichen Für¬<lb/> stenhauses in eine fabelhafte Verschwörung verwickelte?" Möglich, daß ihm manche<lb/> nicht zu billigende Zweideutigkeit vorzuwerfen ist; allein bedenkt auch, daß über den<lb/> ganzen czechischen Freiheitsjubel ein entschieden demokratisches Urtheil nicht leicht mög¬<lb/> lich ist. Bedenkt, daß ihr durch nicht minder zweideutige Uebcrgnffe so manchen<lb/> frühern Getreuen eurer Partei entfremdet habt; daß zwischen Freiheit und Zügello-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0309]
oder würden es die östreichischen Minister nicht schenen, vor einem außeröstreichi¬
schen Gericht den Prozeß auszuführen, so müßte sie Pulszky vorladen, der Ver¬
leumdung und Ehrenkränkung angeklagt, und bald — überwiesen. Der Todschlag
Latours war ein zufälliger, und diesen so wie dem ganzen 6. October unseligen
Andenkens standen die Ungarn, wie es alle Eingeweihten bezeugen, ganz fern; er
überraschte die Pesther eben so wie die Wiener. Weder Demokraten noch Reactionäre,
weder die schwarzgelben, noch die Schwarzrothgoldnen, weder die Garden und
Legionäre noch das Militär und Civil, Niemand, Niemand war ans die Vor¬
gänge des 6. October vorbereitet. Das Gewitter schwebte seit Wochen über dem
Horizont, der Blitz schlug ins Kriegsgebäude.
Wir überlassen die Anschuldigung von Seite des Finanzministers gegen Pnlszky
dem Urtheile der Leser; ihr verdanke» sie den Titel dieses Aufsatzes.
Leo Graf Thun als Staatsminister.
GrafLeo Thun ist vom abgesetzten Landeschef Böhmens zumMi-
nister Oestreichs avancirt. Ein wahrer Kaisersprung für einen Staatsmann,
der auf dem schroffen Gestein des czechisch-panslavistischen Charakters so sehr die
Negierungsstraße verloren hatte, daß er erst dnrch Entlassung aus dem peinlichen
Labyrinthe gezogen werden konnte. Mehr als ein Jahr ist dieser Manu, der für
die Sprache und Nationalität seiner Stammesbrüder schon in einer Zeit muthig
wirkte, in welcher seine nachmaligen Ankläger ihre wilden Mähnen noch nicht zu
schütteln wagten, — als Apostat geächtet und als Veiräther der Nation vielseitig
bezeichnet gewesen, bis ihm auf den Trümmern panslavistischer Ideale ein Mini¬
ster sitz erstand. Schwer ist es, noch ein billiges Urtheil über diesen Charakter
zu fällen, Hoffnung und Furcht haben hier gleichviel Chancen für sich, Lob und
Tadel kann nnr die Zeit aussprechen. —
Die „Swornost" würde mir diese Rücksichtsnahme freilich sehr übel nehmen,
und rufen: „Man zweifelt an der Perfidie und reactwnärcn Gestnnnng eines
Mannes, der seine zweite Vaterstadt in Brand stecken ließ, seinen Stamm mit
Schmach bedeckte und die treusten Anhänger des angestammten, glorreichen Für¬
stenhauses in eine fabelhafte Verschwörung verwickelte?" Möglich, daß ihm manche
nicht zu billigende Zweideutigkeit vorzuwerfen ist; allein bedenkt auch, daß über den
ganzen czechischen Freiheitsjubel ein entschieden demokratisches Urtheil nicht leicht mög¬
lich ist. Bedenkt, daß ihr durch nicht minder zweideutige Uebcrgnffe so manchen
frühern Getreuen eurer Partei entfremdet habt; daß zwischen Freiheit und Zügello-
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