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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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und 2 Individuen mit der unbestimmten Bezeichnung Dr. ni-it. Von den Pro¬
fessoren gehörten 3 der deutschen Nationalversammlung an (Eduard S imson aus
Königsberg, Dunker aus Halle, Tellkampf aus Breslau), 2 der vorigen
Kammer (Keller aus Berlin, Urlichs aus Greifswald), 2 sind neu hinzuge¬
treten (der Philosoph Trendelen bürg, von dein die Grenzboten vor einiger
Zeit ein Portrait brachten, und der Mathematiker Ohm, beide aus Berlin).

Das ist das Verhältniß der Stände zu einander. Was die Parteistcllung
betrifft, so ist darüber bisher wenig Lehrreiches zu sagen. Da die Demokraten
nicht gewählt haben, so ist eigentlich nur Eine Art von systematischer Opposition
vorhanden, die aber nicht blos gegen diese bestimmte Form des Staatslebens,
sondern gegen den preußischen Staat überhaupt gerichtet ist, ich meine die unge¬
fähr 20 Polen, zu denen auch der Pfarrer Schaffrenek, und der Bauer Gor-
zolka zu schlagen sind. Was die übrige Masse betrifft, so zeigt sie zwar eine große
Sehnsucht nach einer Organisation in Fractionen, aber es will ihr nicht gelingen.
Das Programm, welches Herr v. Becke rath für ein Centrum ausgearbeitet hat,
war so allgemein gehalten, daß jeder Konservative sich unterschreiben konnte. Da¬
gegen hat man eine formelle Frage benutzt, um wenigsteus einigermaßen den
Stand der Parteien zu constatiren, die Präsidentenwahl.

Da Herr Grabow, der Präsident der constituirenden Versammlung und
der vorigen zweiten Kammer, sich diesmal an den Wahlen nicht betheiligt hat,
weil er die einseitige Veränderung des Wahlgesetzes nicht für rechtsgiltig erkannte,
so mußte mau sich nach einem andern Kandidaten umsehn. Herr Simson, der in einer
weit größern und weit schwerer zu lenkenden Versammlung so lange mit einer
glänzenden Sicherheit präsidire hat, schien der geeignetste zu diesem Posten. Aber
er hatte im vorigen November als Bevollmächtigter der Nationalversammlung, den
Zurücktritt des gegenwärtigen Ministeriums bewirken wollen, und dieses konnte
seine Wahl also wenigstens nicht für ein Compliment ansehn. Es sprach das aus,
obgleich es "aus der Wahl keine Cabinetssrage machen" wollte, und obgleich das
Piitsi-ministerielle Blatt (das übrigens wie weiland die "ewige Lampe" nach Gut¬
dünken heute vou diesem, morgen von jenem redigirt zu werden scheint) sich ziem¬
lich bestimmt für die Kandidatur der Notabilität aus der Paulskirche aussprach.
Dennoch erhielt Simson 84 Stimmen, und die "Rechte" stellte ihm in der Per¬
son des Grafen Schwerin wenigstens einen Liberalen von altem Datum ent¬
gegen, der sich selber lebhaft für Simson erklärt hatte und sogar bei seiner Denk¬
rede einen Wink fallen ließ, als wäre es ihm lieber gewesen, wenn man ihm
denselben vorgezogen hätte. Schwerin erhielt 17ö Stimmen, dagegen wurde Sim¬
son zum ersten Vicepräsidenten mit l40 Stimmen erwählt, während sein Geg¬
ner, Graf Arnim-Boitzenburg, deren 102 erhielt. Der zweite Vizepräsident,
Canonicus Lensing, ein conservativer Veteran aus dem Landtag, der Constituante
und der vorigen zweiten Kammer, fand keine eigentliche Opposition.


und 2 Individuen mit der unbestimmten Bezeichnung Dr. ni-it. Von den Pro¬
fessoren gehörten 3 der deutschen Nationalversammlung an (Eduard S imson aus
Königsberg, Dunker aus Halle, Tellkampf aus Breslau), 2 der vorigen
Kammer (Keller aus Berlin, Urlichs aus Greifswald), 2 sind neu hinzuge¬
treten (der Philosoph Trendelen bürg, von dein die Grenzboten vor einiger
Zeit ein Portrait brachten, und der Mathematiker Ohm, beide aus Berlin).

Das ist das Verhältniß der Stände zu einander. Was die Parteistcllung
betrifft, so ist darüber bisher wenig Lehrreiches zu sagen. Da die Demokraten
nicht gewählt haben, so ist eigentlich nur Eine Art von systematischer Opposition
vorhanden, die aber nicht blos gegen diese bestimmte Form des Staatslebens,
sondern gegen den preußischen Staat überhaupt gerichtet ist, ich meine die unge¬
fähr 20 Polen, zu denen auch der Pfarrer Schaffrenek, und der Bauer Gor-
zolka zu schlagen sind. Was die übrige Masse betrifft, so zeigt sie zwar eine große
Sehnsucht nach einer Organisation in Fractionen, aber es will ihr nicht gelingen.
Das Programm, welches Herr v. Becke rath für ein Centrum ausgearbeitet hat,
war so allgemein gehalten, daß jeder Konservative sich unterschreiben konnte. Da¬
gegen hat man eine formelle Frage benutzt, um wenigsteus einigermaßen den
Stand der Parteien zu constatiren, die Präsidentenwahl.

Da Herr Grabow, der Präsident der constituirenden Versammlung und
der vorigen zweiten Kammer, sich diesmal an den Wahlen nicht betheiligt hat,
weil er die einseitige Veränderung des Wahlgesetzes nicht für rechtsgiltig erkannte,
so mußte mau sich nach einem andern Kandidaten umsehn. Herr Simson, der in einer
weit größern und weit schwerer zu lenkenden Versammlung so lange mit einer
glänzenden Sicherheit präsidire hat, schien der geeignetste zu diesem Posten. Aber
er hatte im vorigen November als Bevollmächtigter der Nationalversammlung, den
Zurücktritt des gegenwärtigen Ministeriums bewirken wollen, und dieses konnte
seine Wahl also wenigstens nicht für ein Compliment ansehn. Es sprach das aus,
obgleich es „aus der Wahl keine Cabinetssrage machen" wollte, und obgleich das
Piitsi-ministerielle Blatt (das übrigens wie weiland die „ewige Lampe" nach Gut¬
dünken heute vou diesem, morgen von jenem redigirt zu werden scheint) sich ziem¬
lich bestimmt für die Kandidatur der Notabilität aus der Paulskirche aussprach.
Dennoch erhielt Simson 84 Stimmen, und die „Rechte" stellte ihm in der Per¬
son des Grafen Schwerin wenigstens einen Liberalen von altem Datum ent¬
gegen, der sich selber lebhaft für Simson erklärt hatte und sogar bei seiner Denk¬
rede einen Wink fallen ließ, als wäre es ihm lieber gewesen, wenn man ihm
denselben vorgezogen hätte. Schwerin erhielt 17ö Stimmen, dagegen wurde Sim¬
son zum ersten Vicepräsidenten mit l40 Stimmen erwählt, während sein Geg¬
ner, Graf Arnim-Boitzenburg, deren 102 erhielt. Der zweite Vizepräsident,
Canonicus Lensing, ein conservativer Veteran aus dem Landtag, der Constituante
und der vorigen zweiten Kammer, fand keine eigentliche Opposition.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/300>, abgerufen am 11.02.2025.