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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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den Slaven und die politischen Reformen der hohen Pforte. Zwei Systeme mo¬
derner politischer Ideen, welche sehr getrennt in verschiedenen Ländern und Völ¬
kern erwachsen sind und jetzt grade in dem abenteuerlichen, wenig bekannten Grenz¬
lande feindlich zusammenstoßen. Dort haben sie eine Gährung verursacht, welche
wahrscheinlich mit einer chemischen Zersetzung und Umwandlung Bosniens endigen
wird, selbst wenn die Revolution der letzten Wochen schnell gedämpft werden sollte.

Die panslavistischcn Ideale, wie unklar und unpraktisch sie sich auch beim
Slavencongreß zeigten, haben doch auf den großen südslavischen Stamm einen
mächtigen Einfluß ausgeübt, einen größern als auf die Pole", Ruthenen, Slo-
vaken und Czechen. Der serbische Volksstamm hat sich durch sie in Wahrheit als
ein Ganzes, als eine nationale Einheit fühlen gelernt. Er hatte aus den alten
und neuen Heldenthaten der türkischen Serben bei sich selbst eine Fülle von natio¬
nalen Erinnerungen, von Charakteren und Familieuruhm gewonnen, an welchen
sein Selbstgefühl sich sättigen kann. Diese Erinnerungen haben ihm seine Gelehr¬
ten aufgefrischt und ihrer Bedeutung nach erklärt. Die sprachlichen Studien
der Panslavisten aber sind eine reiche Fundgrube für Bildung der Sprache und
des Volkes geworden. Sehr viel ist in den letzten Jahren in Kroatien und Sla¬
vonien, ja selbst in dem serbischen Belgrad geschehen, um den Samen moderner
"slavischer" Bildung in die untern Schichten des Volkes zu werfen, und es vermin¬
dert die Wichtigkeit dieser Bestrebungen nicht, wenn sie uns in Einzelnen ver¬
worren, kleinlich, ja lächerlich erscheinen. Daß sie wirksam sind, hat in dem östrei¬
chischen Serbenland die politische Trennung von den Magyaren und das Hervor¬
treiben des Volkslieblings Jellachich bewiesen, und in dem Fürstenthum Serbien
jenes Freicorps fast von LV00 Mann, welches im vorigen Sommer den Kroaten
zu Hilfe kam, und neben seinen Kopfabschneidern mehr als einen wunderlichen
illyrischen Heiligen zählte, der außer dem Handzar auch die Feder zu führen
wußte. Jellachich verdankt seine Banswürde und seine jetzige Dictatur zumeist der
Sehnsucht der Kroaten nach einem einheimischen Helden. Er selbst hat die süd¬
slavische Bewegung in einer legalen Bahn erhalten und bis jetzt für die östrei¬
chische Regierung verwerthet. Es muß aber hier erwähnt werden, daß ein Theil
der gebildeten Kroaten, grade solche, welche die Feder führen, bereits jetzt in
stiller, aber eifriger Opposition gegen ihn und seine Principien steht. Zumal die
literarische Jugend ist in diesem Augenblick sehr antikaiserlich und gut magyarisch,
die Schlappen, welche Jellachich in den letzten Monaten von den Ungarn erhielt,
haben dieser kleinen aber nicht unwichtigen Fraktion Muth gemacht, daher jetzt
Verhaftungen und Untersuchungen in den slavischen Grenzlanden. Und wenn nicht
die Blutrache für das vergossene Blut hinderte, die Freiwilligen aus dem Fürsten¬
thum Serbien schlügen sich jetzt vielleicht schon auf Seite der Magyaren.

Auch auf Bosnien hat der Geist des neuen Illyriens gewirkt. Gebet- und
Schulbücher für die böhmische Raja werden in Agram gedruckt und über die Grenze


den Slaven und die politischen Reformen der hohen Pforte. Zwei Systeme mo¬
derner politischer Ideen, welche sehr getrennt in verschiedenen Ländern und Völ¬
kern erwachsen sind und jetzt grade in dem abenteuerlichen, wenig bekannten Grenz¬
lande feindlich zusammenstoßen. Dort haben sie eine Gährung verursacht, welche
wahrscheinlich mit einer chemischen Zersetzung und Umwandlung Bosniens endigen
wird, selbst wenn die Revolution der letzten Wochen schnell gedämpft werden sollte.

Die panslavistischcn Ideale, wie unklar und unpraktisch sie sich auch beim
Slavencongreß zeigten, haben doch auf den großen südslavischen Stamm einen
mächtigen Einfluß ausgeübt, einen größern als auf die Pole», Ruthenen, Slo-
vaken und Czechen. Der serbische Volksstamm hat sich durch sie in Wahrheit als
ein Ganzes, als eine nationale Einheit fühlen gelernt. Er hatte aus den alten
und neuen Heldenthaten der türkischen Serben bei sich selbst eine Fülle von natio¬
nalen Erinnerungen, von Charakteren und Familieuruhm gewonnen, an welchen
sein Selbstgefühl sich sättigen kann. Diese Erinnerungen haben ihm seine Gelehr¬
ten aufgefrischt und ihrer Bedeutung nach erklärt. Die sprachlichen Studien
der Panslavisten aber sind eine reiche Fundgrube für Bildung der Sprache und
des Volkes geworden. Sehr viel ist in den letzten Jahren in Kroatien und Sla¬
vonien, ja selbst in dem serbischen Belgrad geschehen, um den Samen moderner
„slavischer" Bildung in die untern Schichten des Volkes zu werfen, und es vermin¬
dert die Wichtigkeit dieser Bestrebungen nicht, wenn sie uns in Einzelnen ver¬
worren, kleinlich, ja lächerlich erscheinen. Daß sie wirksam sind, hat in dem östrei¬
chischen Serbenland die politische Trennung von den Magyaren und das Hervor¬
treiben des Volkslieblings Jellachich bewiesen, und in dem Fürstenthum Serbien
jenes Freicorps fast von LV00 Mann, welches im vorigen Sommer den Kroaten
zu Hilfe kam, und neben seinen Kopfabschneidern mehr als einen wunderlichen
illyrischen Heiligen zählte, der außer dem Handzar auch die Feder zu führen
wußte. Jellachich verdankt seine Banswürde und seine jetzige Dictatur zumeist der
Sehnsucht der Kroaten nach einem einheimischen Helden. Er selbst hat die süd¬
slavische Bewegung in einer legalen Bahn erhalten und bis jetzt für die östrei¬
chische Regierung verwerthet. Es muß aber hier erwähnt werden, daß ein Theil
der gebildeten Kroaten, grade solche, welche die Feder führen, bereits jetzt in
stiller, aber eifriger Opposition gegen ihn und seine Principien steht. Zumal die
literarische Jugend ist in diesem Augenblick sehr antikaiserlich und gut magyarisch,
die Schlappen, welche Jellachich in den letzten Monaten von den Ungarn erhielt,
haben dieser kleinen aber nicht unwichtigen Fraktion Muth gemacht, daher jetzt
Verhaftungen und Untersuchungen in den slavischen Grenzlanden. Und wenn nicht
die Blutrache für das vergossene Blut hinderte, die Freiwilligen aus dem Fürsten¬
thum Serbien schlügen sich jetzt vielleicht schon auf Seite der Magyaren.

Auch auf Bosnien hat der Geist des neuen Illyriens gewirkt. Gebet- und
Schulbücher für die böhmische Raja werden in Agram gedruckt und über die Grenze


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[0295] den Slaven und die politischen Reformen der hohen Pforte. Zwei Systeme mo¬ derner politischer Ideen, welche sehr getrennt in verschiedenen Ländern und Völ¬ kern erwachsen sind und jetzt grade in dem abenteuerlichen, wenig bekannten Grenz¬ lande feindlich zusammenstoßen. Dort haben sie eine Gährung verursacht, welche wahrscheinlich mit einer chemischen Zersetzung und Umwandlung Bosniens endigen wird, selbst wenn die Revolution der letzten Wochen schnell gedämpft werden sollte. Die panslavistischcn Ideale, wie unklar und unpraktisch sie sich auch beim Slavencongreß zeigten, haben doch auf den großen südslavischen Stamm einen mächtigen Einfluß ausgeübt, einen größern als auf die Pole», Ruthenen, Slo- vaken und Czechen. Der serbische Volksstamm hat sich durch sie in Wahrheit als ein Ganzes, als eine nationale Einheit fühlen gelernt. Er hatte aus den alten und neuen Heldenthaten der türkischen Serben bei sich selbst eine Fülle von natio¬ nalen Erinnerungen, von Charakteren und Familieuruhm gewonnen, an welchen sein Selbstgefühl sich sättigen kann. Diese Erinnerungen haben ihm seine Gelehr¬ ten aufgefrischt und ihrer Bedeutung nach erklärt. Die sprachlichen Studien der Panslavisten aber sind eine reiche Fundgrube für Bildung der Sprache und des Volkes geworden. Sehr viel ist in den letzten Jahren in Kroatien und Sla¬ vonien, ja selbst in dem serbischen Belgrad geschehen, um den Samen moderner „slavischer" Bildung in die untern Schichten des Volkes zu werfen, und es vermin¬ dert die Wichtigkeit dieser Bestrebungen nicht, wenn sie uns in Einzelnen ver¬ worren, kleinlich, ja lächerlich erscheinen. Daß sie wirksam sind, hat in dem östrei¬ chischen Serbenland die politische Trennung von den Magyaren und das Hervor¬ treiben des Volkslieblings Jellachich bewiesen, und in dem Fürstenthum Serbien jenes Freicorps fast von LV00 Mann, welches im vorigen Sommer den Kroaten zu Hilfe kam, und neben seinen Kopfabschneidern mehr als einen wunderlichen illyrischen Heiligen zählte, der außer dem Handzar auch die Feder zu führen wußte. Jellachich verdankt seine Banswürde und seine jetzige Dictatur zumeist der Sehnsucht der Kroaten nach einem einheimischen Helden. Er selbst hat die süd¬ slavische Bewegung in einer legalen Bahn erhalten und bis jetzt für die östrei¬ chische Regierung verwerthet. Es muß aber hier erwähnt werden, daß ein Theil der gebildeten Kroaten, grade solche, welche die Feder führen, bereits jetzt in stiller, aber eifriger Opposition gegen ihn und seine Principien steht. Zumal die literarische Jugend ist in diesem Augenblick sehr antikaiserlich und gut magyarisch, die Schlappen, welche Jellachich in den letzten Monaten von den Ungarn erhielt, haben dieser kleinen aber nicht unwichtigen Fraktion Muth gemacht, daher jetzt Verhaftungen und Untersuchungen in den slavischen Grenzlanden. Und wenn nicht die Blutrache für das vergossene Blut hinderte, die Freiwilligen aus dem Fürsten¬ thum Serbien schlügen sich jetzt vielleicht schon auf Seite der Magyaren. Auch auf Bosnien hat der Geist des neuen Illyriens gewirkt. Gebet- und Schulbücher für die böhmische Raja werden in Agram gedruckt und über die Grenze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/295>, abgerufen am 11.02.2025.