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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Es ist ein seltsames verkümmertes Geschlecht, welches sich in dem einsamen
Lande fortpflanzt. Seit die Enkel des großen Serbenkönigs Stephan Dnschan am
Ende des vierzehnten Jahrhunderts den Türken erlagen und Bosnien eine türki¬
sche Provinz wurde, hat sich dort türkisches Wesen mit serbischer Art in unge¬
füger Weise vermischt. Die Fürsteukiuder, der zahlreiche Adel des Landes gingen
nach n"d nach zum Islam über, ohne ihre Nationalität, ihre Erinnerungen und
ihre Sprache auszugeben. Sie erstarrten in träger Rohheit und Schwäche, wie
das Volk selbst; nur hier und da erhielten sie sich ihre erblichen Wviwodenrechte,
zumeist in der Herzegowina, dem westlichen Theile des Landes, und dort wohl
auch ihren alten Glauben. So ist es gekommen, daß gegenwärtig in dem Lande
drei Parteien durch einander wohnen, ächte Türken, Bosnier muhamedanischen
Glaubens und Christen. Die Türken, die Herrn des Landes sind am wenigsten
zahlreich, sie sind die Nachkommen der Spahi, der Beg und Pascha, welche als
Negierende von Constantinopel in das Land geschickt wurden, oder Handelsleute,
Abenteurer :c. Dem Volk stehn sie noch jetzt fremd gegenüber, und wenn sie
die Raja, die Gemeinden der christlichen Bosnier, drücken und aussaugen, so
hassen sie den muhamedanischen Bosnier noch außerdem als einen unächten Tür¬
ken. Beide, die muhamedanischen Bosnier und die Osmanli, können einander
noch heut nicht ausstehn, der Bosnier schimpft auf den Türken, es gebe keine so
häßlichen Menschen unter der Sonue, und der Türke sagt, die Bosnier seien nur
oberflächlich zum Propheten bekehrt und schlimmer als ungläubige Ehristeuhunde,
man müsse sie drücken und treten, damit sie sich fürchten, diese Halbtürken! Der
muhamedanische Bosnier aber wird wieder von seinem christlichen Landsmann gefürchtet,
denn sein Glaube gibt ihm das Privilegium Waffen zu tragen, was der Christ
nur auf Reisen thun darf; als Beamter der Negierung sich zu spreizen, was dem
Christen nie gelingt; ja sogar den Namen Bosnier für sich allein in Anspruch zu
nehmen, denn der eingeborne Christ darf in Bosnien den Namen seines Bolkes
nicht führen, er heißt als Gemeinde Raja, als Einzelner Wlache"), bei vertrau¬
licher Anrede Giaur (Hund). Bis zu den Formeln der Begrüßung geht dieser
Unterschied der drei Parteien, jede hat einen eignen Gruß i" Anspruch zu nehmen.
Der Zahl nach sind die Christen am stärksten, fast alle sind nicht "nirte Griechen,
im westlichen Theil vielleicht ein Hunderttausend lateinische Cbiisten; die Bosnier
des muhamedanischen Glaubens machen die kleinere Hälfte der Einwohner aus,
aber sie gevehrden sich als Kern der Nation. Wenigstens sind sie der originellste



*) Kein Bölkcrname wird in so verschiedener Bedeutung gebraucht, als der Name Wlache.
Der Türke nennt jeden Südslaven, weicher Christ ist, gleichviel ob Lateiner oder Grieche,
Wlache; in ""knallen heißen die Bauern des Festlandes auf oas Gebirge zu ebenso, im Ge¬
gensatz zu den Küstenbewohnern; in den nordslavischen Dialekten bedeutet Wlach - wälsch, ita¬
lienisch; und die Serben verstehen, wie wir, unter dieser Bezeichnung die Rumainen.
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Es ist ein seltsames verkümmertes Geschlecht, welches sich in dem einsamen
Lande fortpflanzt. Seit die Enkel des großen Serbenkönigs Stephan Dnschan am
Ende des vierzehnten Jahrhunderts den Türken erlagen und Bosnien eine türki¬
sche Provinz wurde, hat sich dort türkisches Wesen mit serbischer Art in unge¬
füger Weise vermischt. Die Fürsteukiuder, der zahlreiche Adel des Landes gingen
nach n»d nach zum Islam über, ohne ihre Nationalität, ihre Erinnerungen und
ihre Sprache auszugeben. Sie erstarrten in träger Rohheit und Schwäche, wie
das Volk selbst; nur hier und da erhielten sie sich ihre erblichen Wviwodenrechte,
zumeist in der Herzegowina, dem westlichen Theile des Landes, und dort wohl
auch ihren alten Glauben. So ist es gekommen, daß gegenwärtig in dem Lande
drei Parteien durch einander wohnen, ächte Türken, Bosnier muhamedanischen
Glaubens und Christen. Die Türken, die Herrn des Landes sind am wenigsten
zahlreich, sie sind die Nachkommen der Spahi, der Beg und Pascha, welche als
Negierende von Constantinopel in das Land geschickt wurden, oder Handelsleute,
Abenteurer :c. Dem Volk stehn sie noch jetzt fremd gegenüber, und wenn sie
die Raja, die Gemeinden der christlichen Bosnier, drücken und aussaugen, so
hassen sie den muhamedanischen Bosnier noch außerdem als einen unächten Tür¬
ken. Beide, die muhamedanischen Bosnier und die Osmanli, können einander
noch heut nicht ausstehn, der Bosnier schimpft auf den Türken, es gebe keine so
häßlichen Menschen unter der Sonue, und der Türke sagt, die Bosnier seien nur
oberflächlich zum Propheten bekehrt und schlimmer als ungläubige Ehristeuhunde,
man müsse sie drücken und treten, damit sie sich fürchten, diese Halbtürken! Der
muhamedanische Bosnier aber wird wieder von seinem christlichen Landsmann gefürchtet,
denn sein Glaube gibt ihm das Privilegium Waffen zu tragen, was der Christ
nur auf Reisen thun darf; als Beamter der Negierung sich zu spreizen, was dem
Christen nie gelingt; ja sogar den Namen Bosnier für sich allein in Anspruch zu
nehmen, denn der eingeborne Christ darf in Bosnien den Namen seines Bolkes
nicht führen, er heißt als Gemeinde Raja, als Einzelner Wlache"), bei vertrau¬
licher Anrede Giaur (Hund). Bis zu den Formeln der Begrüßung geht dieser
Unterschied der drei Parteien, jede hat einen eignen Gruß i» Anspruch zu nehmen.
Der Zahl nach sind die Christen am stärksten, fast alle sind nicht »nirte Griechen,
im westlichen Theil vielleicht ein Hunderttausend lateinische Cbiisten; die Bosnier
des muhamedanischen Glaubens machen die kleinere Hälfte der Einwohner aus,
aber sie gevehrden sich als Kern der Nation. Wenigstens sind sie der originellste



*) Kein Bölkcrname wird in so verschiedener Bedeutung gebraucht, als der Name Wlache.
Der Türke nennt jeden Südslaven, weicher Christ ist, gleichviel ob Lateiner oder Grieche,
Wlache; in »»knallen heißen die Bauern des Festlandes auf oas Gebirge zu ebenso, im Ge¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/283>, abgerufen am 05.02.2025.