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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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zusehen. Und Haynaü hält sich vollends gewissenhaft daran, bald wird diese bald
jene Judengemeinde zu einer Geldstrafe oder Kontribution verurtheilt, bald soll
die Naaber 80,000 Fi. zahlen, bald werden der Pesther und Ofncr enorme Re¬
quisitionen auferlegt. Außerdem empfiehlt er die Juden ganz besonders der Auf¬
merksamkeit der Behörden, ihnen vorzüglich sollen nur ausnahmsweise Pässe nach
andern Landestheilen viflrt werden und was dergleichen Zuvorkommenheiten mehr sind.

Warum aber das alles, fragen wir? Die Juden sind Rebellen? Ja freilich,
sind sie es, aber sind es denn nur sie? Wen" es in Ungarn keine andern Rebellen
gäbe als die Juden, wäre man mit dem Aufstande schon längst fertig geworden.
Aber die "wenigen Uebelgestnntcn", wie man sonst offiziell die Insurgenten zu
nennen Pflegte, bilden eben die große Mehrzahl der ungarischen Bevölkerung, und
unter dieser finden sich auch Juden. Treten aber diese als Gesammtheit, als Ju¬
den der östreichischen Negierung entgegen? Keineswegs. Und warum sollen sie es
auch? Welches wahre oder eingebildete Interesse hätten die Juden als religiöse
Corporation oder als besonderer Volksstamm an dem Siege der Ungarn? Hoffen
sie etwa, daß Kossuth ihnen Jerusalem erobern, und den Tempel Salomonis wie¬
derherstellen werde? Die Juden betheiligen sich an derJnsurrectivu durchaus nicht
als Juden, "zu" wies, sondern als Staatsbürger, als Ungarn. Sie sind nicht
Rebellen, weil sie Juden und nicht Juden, weil sie Rebellen sind, zwischen diesen
beiden Eigenschaften besteht durchaus kein Kausalnexus, sondern sie sind blos bei¬
des zugleich, Rebellen wie die Andern und nebstbei auch Juden. Wenn aber das
ist, warum sollen sie sür diese Theilnahme strenger behandelt werden als andere
Insurgenten?

Wenn ein Christ als Spion ergriffen wird, so wird er erschossen und damit
Punktum. Ist es aber ein Jude, so wird er ebenfalls erschossen, aber außerdem
ist noch eine Geldstrafe von 3000 Fi. zu bezahlen. Warum diese Ungleichheit?
Nach welcher strafrechtlichen Theorie ist bei den Verbrechen des Hochverraths oder
des Aufruhrs das Judenthum ein erschwerender Umstand? Verletzt etwa ein Jude,
wenn er eines dieser Verbrechen begeht, seine Bürgerpflicht in einem höhern
Grade als der Christ in gleichem Falle? Hat etwa das Haus Oestreich gegrün¬
detere Ansprüche auf die Treue seiner jüdischen als ans die seiner christlichen Unter¬
thanen? Waren etwa jene besonders begünstigt? War vielleicht wie Preußen ein
christlich-germanischer, so Oestreich ein jüdisch-semitischer Staat?

Oder ist etwa der durch diese Verbrechen verursachte Schade oder die damit
verbundene Gefahr größer, wenn sie von einem Juden begangen werden, als wenn
der Verbrecher einer andern Konfession angehört ? Machtes einen Unterschied, ob ein öst¬
reichischer Soldat von der Hand eines jüdischen oder eines christlichen Insurgenten
fällt? Oder ist es gefährlicher, wenn die Bewegungen der k. k. Armee den Ungarn
von einem jüdischen, als wenn sie von einem christlichen Spione verrathen werden?
Oder haben etwa die Juden mit ihren Psalmen den Generalmajor Puchner mit


zusehen. Und Haynaü hält sich vollends gewissenhaft daran, bald wird diese bald
jene Judengemeinde zu einer Geldstrafe oder Kontribution verurtheilt, bald soll
die Naaber 80,000 Fi. zahlen, bald werden der Pesther und Ofncr enorme Re¬
quisitionen auferlegt. Außerdem empfiehlt er die Juden ganz besonders der Auf¬
merksamkeit der Behörden, ihnen vorzüglich sollen nur ausnahmsweise Pässe nach
andern Landestheilen viflrt werden und was dergleichen Zuvorkommenheiten mehr sind.

Warum aber das alles, fragen wir? Die Juden sind Rebellen? Ja freilich,
sind sie es, aber sind es denn nur sie? Wen» es in Ungarn keine andern Rebellen
gäbe als die Juden, wäre man mit dem Aufstande schon längst fertig geworden.
Aber die „wenigen Uebelgestnntcn", wie man sonst offiziell die Insurgenten zu
nennen Pflegte, bilden eben die große Mehrzahl der ungarischen Bevölkerung, und
unter dieser finden sich auch Juden. Treten aber diese als Gesammtheit, als Ju¬
den der östreichischen Negierung entgegen? Keineswegs. Und warum sollen sie es
auch? Welches wahre oder eingebildete Interesse hätten die Juden als religiöse
Corporation oder als besonderer Volksstamm an dem Siege der Ungarn? Hoffen
sie etwa, daß Kossuth ihnen Jerusalem erobern, und den Tempel Salomonis wie¬
derherstellen werde? Die Juden betheiligen sich an derJnsurrectivu durchaus nicht
als Juden, «zu» wies, sondern als Staatsbürger, als Ungarn. Sie sind nicht
Rebellen, weil sie Juden und nicht Juden, weil sie Rebellen sind, zwischen diesen
beiden Eigenschaften besteht durchaus kein Kausalnexus, sondern sie sind blos bei¬
des zugleich, Rebellen wie die Andern und nebstbei auch Juden. Wenn aber das
ist, warum sollen sie sür diese Theilnahme strenger behandelt werden als andere
Insurgenten?

Wenn ein Christ als Spion ergriffen wird, so wird er erschossen und damit
Punktum. Ist es aber ein Jude, so wird er ebenfalls erschossen, aber außerdem
ist noch eine Geldstrafe von 3000 Fi. zu bezahlen. Warum diese Ungleichheit?
Nach welcher strafrechtlichen Theorie ist bei den Verbrechen des Hochverraths oder
des Aufruhrs das Judenthum ein erschwerender Umstand? Verletzt etwa ein Jude,
wenn er eines dieser Verbrechen begeht, seine Bürgerpflicht in einem höhern
Grade als der Christ in gleichem Falle? Hat etwa das Haus Oestreich gegrün¬
detere Ansprüche auf die Treue seiner jüdischen als ans die seiner christlichen Unter¬
thanen? Waren etwa jene besonders begünstigt? War vielleicht wie Preußen ein
christlich-germanischer, so Oestreich ein jüdisch-semitischer Staat?

Oder ist etwa der durch diese Verbrechen verursachte Schade oder die damit
verbundene Gefahr größer, wenn sie von einem Juden begangen werden, als wenn
der Verbrecher einer andern Konfession angehört ? Machtes einen Unterschied, ob ein öst¬
reichischer Soldat von der Hand eines jüdischen oder eines christlichen Insurgenten
fällt? Oder ist es gefährlicher, wenn die Bewegungen der k. k. Armee den Ungarn
von einem jüdischen, als wenn sie von einem christlichen Spione verrathen werden?
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/271>, abgerufen am 05.02.2025.