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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Landtage, als unvereinbar mit dem Wohle des Staats ganz aufzuheben, die Funk¬
tionen derselben aber deu Kreistagen zu übertragen. Dies würde die Centralisi-
rung vielleicht anch nicht auf immer, aber doch auf lange retten, denn die
Theilungspolilik unserer Minister erhielte dadurch den größten Spielraum. Nicht
auf immer, glauben wir, denn es kann keine Idee von Lebensfähigkeit in der
Geschichte auftauchen, und wieder untergehen, bevor sie sich in ihre Konsequenzen
entwickelt hätte. So ist's in Oestreich mit dem unbefriedigten Drang der Natio¬
nalitäten zu persönlicher Geltung zu gelangen, so namentlich mit dem besonnenen
und berechnenden Nationalitätsfanatismus der Slaven, so mit dem ungestümeren
der Magyaren, die eben den Todeskampf ihrer Selbstständigkeit kämpfen, so mit
dem belebenden Unabhängigkeitsgedanken der Polen und Italiener, die zu wieder¬
holten Malen geschlagen, mit um so größerer Leidenschaft zu ihrer Freiheitsidee
zurückkehren. So endlich wird es mit der deutschen Einheitsidee in Oestreich wer¬
den, wenn wir nur einmal von den unsanften Stößen unserer brüderlichen Nach¬
barn wach gerüttelt werden.

In der Verfassungsurkunde vom 4. März ist dieser Anschauung so wenig
Rechnung getragen, daß dem erwachten jngendkräftigeu Drange der Völker nach
möglichst freier Föderation sogar der Tummelplatz der Gesetzlichkeit gegeben wird.
Wir sprechen es wiederholt aus, wenn die einzelnen Landtage diese Freiheit zu leben
und sich, wenn gleich in engen Schranken zu bewegen nicht in vorzeitigen Uebermuthe
zu erweitern suchen, wird die Verfassung vom 4. März von ihren eignen Konse¬
quenzen verschlungen werden. -- Denn bald wird die Schwierigkeit einer Verstän¬
digung auf dem allgemeine" Reichstage die vorhandene Neigung der Landtage ih¬
ren Wirkungskreis zu erweiter", zum Bedürfniß steigern, und wenn die Regierung
nicht immer wieder mit eisernen Banden in's Mittel tritt, zu einer noch laxern
Föderation führen, als sogar die Abgeordneten in Kremsier in ihrem Entwürfe
auszusprechen wagten. Schon der in der Urkunde vom 4. März den Landtagen
zugewiesene Wirkungskreis fällt fast mit dem des Entwurfes zusammen. Wenn
auch die Ausführung der noch zu erwartenden Landtagsordnungen manche Grenz¬
linien enger stecke" sollte , als viele eifrige Föderaliste" wünsche", so ist eben doch
das Princip anerkannt und wird sich selbst weiter durchbrechen.

Am Grellsten sehen wir den eben gerügten innern Widerspruch im System der
Verfass""gsurku"de im "ten Abschnitt der octroyirten Charte und in dem 8. 68.
des 8ten hervortreten. Bei der Redaction der fraglichen Stellen hat offenbar die
Rathlosigkeit den Vorsitz geführt. Denn hier ist in Beziehung auf Kroatien, Sla¬
vonien, Ungarn und Siebenbürgen eine Ansnahmstellung beliebt worden , welche
der Föderation im weitesten Sinne Thür und Thor öffnet. Wie und zu welcher
Zeit kann die Regierung glaube", die Civil- und Strafgesetzgebung, welche sie
jetzt, bei offenstehender Gelegenheit nicht wagt, diesen Kronländern mit einem kuh-


Landtage, als unvereinbar mit dem Wohle des Staats ganz aufzuheben, die Funk¬
tionen derselben aber deu Kreistagen zu übertragen. Dies würde die Centralisi-
rung vielleicht anch nicht auf immer, aber doch auf lange retten, denn die
Theilungspolilik unserer Minister erhielte dadurch den größten Spielraum. Nicht
auf immer, glauben wir, denn es kann keine Idee von Lebensfähigkeit in der
Geschichte auftauchen, und wieder untergehen, bevor sie sich in ihre Konsequenzen
entwickelt hätte. So ist's in Oestreich mit dem unbefriedigten Drang der Natio¬
nalitäten zu persönlicher Geltung zu gelangen, so namentlich mit dem besonnenen
und berechnenden Nationalitätsfanatismus der Slaven, so mit dem ungestümeren
der Magyaren, die eben den Todeskampf ihrer Selbstständigkeit kämpfen, so mit
dem belebenden Unabhängigkeitsgedanken der Polen und Italiener, die zu wieder¬
holten Malen geschlagen, mit um so größerer Leidenschaft zu ihrer Freiheitsidee
zurückkehren. So endlich wird es mit der deutschen Einheitsidee in Oestreich wer¬
den, wenn wir nur einmal von den unsanften Stößen unserer brüderlichen Nach¬
barn wach gerüttelt werden.

In der Verfassungsurkunde vom 4. März ist dieser Anschauung so wenig
Rechnung getragen, daß dem erwachten jngendkräftigeu Drange der Völker nach
möglichst freier Föderation sogar der Tummelplatz der Gesetzlichkeit gegeben wird.
Wir sprechen es wiederholt aus, wenn die einzelnen Landtage diese Freiheit zu leben
und sich, wenn gleich in engen Schranken zu bewegen nicht in vorzeitigen Uebermuthe
zu erweitern suchen, wird die Verfassung vom 4. März von ihren eignen Konse¬
quenzen verschlungen werden. — Denn bald wird die Schwierigkeit einer Verstän¬
digung auf dem allgemeine» Reichstage die vorhandene Neigung der Landtage ih¬
ren Wirkungskreis zu erweiter», zum Bedürfniß steigern, und wenn die Regierung
nicht immer wieder mit eisernen Banden in's Mittel tritt, zu einer noch laxern
Föderation führen, als sogar die Abgeordneten in Kremsier in ihrem Entwürfe
auszusprechen wagten. Schon der in der Urkunde vom 4. März den Landtagen
zugewiesene Wirkungskreis fällt fast mit dem des Entwurfes zusammen. Wenn
auch die Ausführung der noch zu erwartenden Landtagsordnungen manche Grenz¬
linien enger stecke» sollte , als viele eifrige Föderaliste» wünsche», so ist eben doch
das Princip anerkannt und wird sich selbst weiter durchbrechen.

Am Grellsten sehen wir den eben gerügten innern Widerspruch im System der
Verfass»»gsurku»de im »ten Abschnitt der octroyirten Charte und in dem 8. 68.
des 8ten hervortreten. Bei der Redaction der fraglichen Stellen hat offenbar die
Rathlosigkeit den Vorsitz geführt. Denn hier ist in Beziehung auf Kroatien, Sla¬
vonien, Ungarn und Siebenbürgen eine Ansnahmstellung beliebt worden , welche
der Föderation im weitesten Sinne Thür und Thor öffnet. Wie und zu welcher
Zeit kann die Regierung glaube», die Civil- und Strafgesetzgebung, welche sie
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[0238] Landtage, als unvereinbar mit dem Wohle des Staats ganz aufzuheben, die Funk¬ tionen derselben aber deu Kreistagen zu übertragen. Dies würde die Centralisi- rung vielleicht anch nicht auf immer, aber doch auf lange retten, denn die Theilungspolilik unserer Minister erhielte dadurch den größten Spielraum. Nicht auf immer, glauben wir, denn es kann keine Idee von Lebensfähigkeit in der Geschichte auftauchen, und wieder untergehen, bevor sie sich in ihre Konsequenzen entwickelt hätte. So ist's in Oestreich mit dem unbefriedigten Drang der Natio¬ nalitäten zu persönlicher Geltung zu gelangen, so namentlich mit dem besonnenen und berechnenden Nationalitätsfanatismus der Slaven, so mit dem ungestümeren der Magyaren, die eben den Todeskampf ihrer Selbstständigkeit kämpfen, so mit dem belebenden Unabhängigkeitsgedanken der Polen und Italiener, die zu wieder¬ holten Malen geschlagen, mit um so größerer Leidenschaft zu ihrer Freiheitsidee zurückkehren. So endlich wird es mit der deutschen Einheitsidee in Oestreich wer¬ den, wenn wir nur einmal von den unsanften Stößen unserer brüderlichen Nach¬ barn wach gerüttelt werden. In der Verfassungsurkunde vom 4. März ist dieser Anschauung so wenig Rechnung getragen, daß dem erwachten jngendkräftigeu Drange der Völker nach möglichst freier Föderation sogar der Tummelplatz der Gesetzlichkeit gegeben wird. Wir sprechen es wiederholt aus, wenn die einzelnen Landtage diese Freiheit zu leben und sich, wenn gleich in engen Schranken zu bewegen nicht in vorzeitigen Uebermuthe zu erweitern suchen, wird die Verfassung vom 4. März von ihren eignen Konse¬ quenzen verschlungen werden. — Denn bald wird die Schwierigkeit einer Verstän¬ digung auf dem allgemeine» Reichstage die vorhandene Neigung der Landtage ih¬ ren Wirkungskreis zu erweiter», zum Bedürfniß steigern, und wenn die Regierung nicht immer wieder mit eisernen Banden in's Mittel tritt, zu einer noch laxern Föderation führen, als sogar die Abgeordneten in Kremsier in ihrem Entwürfe auszusprechen wagten. Schon der in der Urkunde vom 4. März den Landtagen zugewiesene Wirkungskreis fällt fast mit dem des Entwurfes zusammen. Wenn auch die Ausführung der noch zu erwartenden Landtagsordnungen manche Grenz¬ linien enger stecke» sollte , als viele eifrige Föderaliste» wünsche», so ist eben doch das Princip anerkannt und wird sich selbst weiter durchbrechen. Am Grellsten sehen wir den eben gerügten innern Widerspruch im System der Verfass»»gsurku»de im »ten Abschnitt der octroyirten Charte und in dem 8. 68. des 8ten hervortreten. Bei der Redaction der fraglichen Stellen hat offenbar die Rathlosigkeit den Vorsitz geführt. Denn hier ist in Beziehung auf Kroatien, Sla¬ vonien, Ungarn und Siebenbürgen eine Ansnahmstellung beliebt worden , welche der Föderation im weitesten Sinne Thür und Thor öffnet. Wie und zu welcher Zeit kann die Regierung glaube», die Civil- und Strafgesetzgebung, welche sie jetzt, bei offenstehender Gelegenheit nicht wagt, diesen Kronländern mit einem kuh-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/238>, abgerufen am 05.02.2025.