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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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und daß bei der ungeheuern Bevorzugung des Capitals in den Wahlen, auch das
Capital am stärksten besteuert werde. So ist die liberale Einkommensteuer nichts
als die Kehrseite eines Wahlgesetzes, welches grade nicht in dem Geruch des Li¬
beralismus steht. Allerdings entsteht jetzt sür das Ministerium die bedenkliche
Frage, ob alle die Vermögenden, welche sich mit Behagen in der ersten Wähler¬
klasse, oft als einzige Urwähler, sahen, jetzt auch geneigt sein werden, die ver¬
nünftigen Consequenzen ihres Wahlrechts auf sich zu nehmen. Wir fürchten, daS
wird nicht geschehn, auch das Ministerium scheint das zu besorgen. Die Pro-
gressivscala -wird vielleicht geopfert werden müssen, möglicherweise das ganze Pro¬
jekt der Eittkommenstcncr. Für das Ministerium aber wäre dies ein tödtlicher
sa lag, denn ohne Einkommensteuer würde auch das Wahlgesetz nicht gehalten
werden können, die schreiende Ungerechtigkeit und Willkür desselben würde der
Nation gegenüber ohne Gegengewicht bleiben und fortwährend verletzen. So ist
nicht unmöglich, daß das Ministerium eine gefährliche Niederlage erfährt, grade
durch die liberalste Institution, welche es einführen will, und daß dieselben Prin¬
cipien, welche es heraufbeschworen hat, ihm selbst verderblich werden.

Wenn die demokratische Partei das Projekt der Einkommensteuer lobt, die
conservative aber es angreist, so folgen beide ihrem Gefühl mehr als politischer
Klugheit. Ob die Einkommensteuer auch unseren conservativen Reichen die Ueber¬
zeugung bringen wird, daß das Princip des octrvyirten Wahlgesetzes falsch ist,
müssen wir abwarten.




Aus r a g.



Prag --. ein Theben en mimsturo -- Wenn ich jetzt auf ländlichem Kar¬
ren hereinfahre und zu dem neunten, nach meiner Heimath blickenden Thore gelange,
ivo der schnurrbärtige Polizist und sein Schatten, der Zollmann, jeden Wagen
durchstöbert, um verbotene Menschen oder Waaren zu entdecken, so wird mir ganz
unheimlich zu Gemüthe. -- Nicht als ob ich mich für verboten oder gar vermauth-
bar hielte, -- denn ich bin lammfromm und noch ein menschliches Wesen; -- aber
weil beim Anblicke der alterthümlichen, einst dreifarbigen Hussitenstadt meiner Phan¬
tasie eine unnatürliche Sphinxgestalt vorschwebt! Es ist kein Ungethüm mit
einem Löwenkopf aus böhmischen Thon, mit einem wellenförmigen Schlangenleib
und häßlichen Pfauenfüßen, mit zweifarbigen Doppeladlerflügeln und dem fette"


und daß bei der ungeheuern Bevorzugung des Capitals in den Wahlen, auch das
Capital am stärksten besteuert werde. So ist die liberale Einkommensteuer nichts
als die Kehrseite eines Wahlgesetzes, welches grade nicht in dem Geruch des Li¬
beralismus steht. Allerdings entsteht jetzt sür das Ministerium die bedenkliche
Frage, ob alle die Vermögenden, welche sich mit Behagen in der ersten Wähler¬
klasse, oft als einzige Urwähler, sahen, jetzt auch geneigt sein werden, die ver¬
nünftigen Consequenzen ihres Wahlrechts auf sich zu nehmen. Wir fürchten, daS
wird nicht geschehn, auch das Ministerium scheint das zu besorgen. Die Pro-
gressivscala -wird vielleicht geopfert werden müssen, möglicherweise das ganze Pro¬
jekt der Eittkommenstcncr. Für das Ministerium aber wäre dies ein tödtlicher
sa lag, denn ohne Einkommensteuer würde auch das Wahlgesetz nicht gehalten
werden können, die schreiende Ungerechtigkeit und Willkür desselben würde der
Nation gegenüber ohne Gegengewicht bleiben und fortwährend verletzen. So ist
nicht unmöglich, daß das Ministerium eine gefährliche Niederlage erfährt, grade
durch die liberalste Institution, welche es einführen will, und daß dieselben Prin¬
cipien, welche es heraufbeschworen hat, ihm selbst verderblich werden.

Wenn die demokratische Partei das Projekt der Einkommensteuer lobt, die
conservative aber es angreist, so folgen beide ihrem Gefühl mehr als politischer
Klugheit. Ob die Einkommensteuer auch unseren conservativen Reichen die Ueber¬
zeugung bringen wird, daß das Princip des octrvyirten Wahlgesetzes falsch ist,
müssen wir abwarten.




Aus r a g.



Prag —. ein Theben en mimsturo — Wenn ich jetzt auf ländlichem Kar¬
ren hereinfahre und zu dem neunten, nach meiner Heimath blickenden Thore gelange,
ivo der schnurrbärtige Polizist und sein Schatten, der Zollmann, jeden Wagen
durchstöbert, um verbotene Menschen oder Waaren zu entdecken, so wird mir ganz
unheimlich zu Gemüthe. — Nicht als ob ich mich für verboten oder gar vermauth-
bar hielte, — denn ich bin lammfromm und noch ein menschliches Wesen; — aber
weil beim Anblicke der alterthümlichen, einst dreifarbigen Hussitenstadt meiner Phan¬
tasie eine unnatürliche Sphinxgestalt vorschwebt! Es ist kein Ungethüm mit
einem Löwenkopf aus böhmischen Thon, mit einem wellenförmigen Schlangenleib
und häßlichen Pfauenfüßen, mit zweifarbigen Doppeladlerflügeln und dem fette»


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/230>, abgerufen am 05.02.2025.