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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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größer und größer wird und neues Thun veranlaßt, bis zuletzt die gestörte Har¬
monie der Welt, in welcher die Helden dargestellt werden, dieselben besiegt und
in der Schlußkatastrophe sich mit voller Macht die handelnden Personen unter¬
wirft. Auf diese Katastrophe folgt schnell der Schluß des Stückes, die Situation, wo
die Versöhnung der kämpfenden Gegensätze, die Wiederherstellung der durch die
Helden gestörten ethischen Ruhe eintritt, dies ist der Moment, wo die Grundidee
des Stückes am klarsten hervorkommt und der Seele des Zuschauers Erhebung und
Frieden bringt. Dieser Inhalt des Dramas, in jedem einzelnen als Lebensbe-
dingung vorhanden, tritt natürlich bei den Dramen hohen Styls am deutlichsten
hervor. Macbeth z. B. erscheint zuerst als treuer Feldherr, in der Hexenscene
wird der Keim zu ehrgeizigem Wunsch in seine Brust gelegt, dieser Wunsch treibt
ihn durch den zweiten und dritten Akt, durch den Sturm der Leidenschaft bis
zur Ermordung seines königlichen Freundes und zur Occupation der Königs-
würde. Durch diese That ist die sittliche Ordnung seiner Welt furchtbar gestört
und beginnt gegen ihn zu wirken. Das Mißtrauen, der Verdacht seiner Edlen
und vor Allem die sittliche Veränderung, welche die That in ihm selbst hervorge¬
bracht hat, kämpfen gegen ihn, treiben ihn von einem neuen Unrecht zum andern,
bis endlich die gegen ihn arbeitenden Kräfte so stark werden, daß sie in der Kata¬
strophe, in dem Kampf mit Makdnff ihn vernichten.

Denselben innern Verlauf haben fast alle große" Dramen Shakespeares, Ro¬
meo und Julie, Julius Cäsar, Coriolan, auch Orhello, wo der Keim der Ti)alt
die Entführung der Desdemona, der Höhenpunkt der Handlung aber (im 8. Akt)
das Unterliegen des edlen Othello unter die Leidenschaft der Eisersucht ist, auch An-
tonius und Cleopatra, Timon ze. und von den Dramen aus der englische" Ge¬
schichte die meisten. Die antike Tragödie der Griechen ist diesem organischen
Gesetz des Dramas zuerst mit künstlerischem Bewußtsein gefolgt, die französischen
Tragiker haben oft pedantisch den Griechen nachgeahmt; Shakespeares unge¬
heure Schöpferkraft steht auch darin einzig da, daß er diese Gesetze ohne ästheti¬
sche Schulbildung viel genauer beobachtete und sicherer inne hatte, als irgend
einer unsrer deutschen Dramatiker, Lesstng ausgenommen. Von den großen Dich¬
tern der Deutschen hat Göthe dieselben am wenigsten verstanden, Schiller aber, der sich
allerdings von ihnen bestimmt fühlte, wurde durch die große Ausdehnung, welche
bei ihm die Episoden in der Ausführung gegenüber seinem ursprünglichen Plan
bekamen, zuweilen in der richtigen Handhabung derselben gestört. Shakespeare
ist anch deshalb der größte dramatische Dichter, weil er der gesetzmäßigste ist,
und weil bei aller Freiheit, die er sich im Detail erlaubt, das Hanptgewebe seiner
Dramen den höchsten Gesetzen der Kunst am genauesten entspricht. Denn die
Grundnothwendigteiten des Dramas sind zu gleicher Zeit für die Wirkung
eines. Stückes auf der Bühne unentbehrlich. Die Bühnenwirksamkeit eines
Dramas hängt nämlich in Beziehung auf die Begebenheit des Stückes, auf das,


größer und größer wird und neues Thun veranlaßt, bis zuletzt die gestörte Har¬
monie der Welt, in welcher die Helden dargestellt werden, dieselben besiegt und
in der Schlußkatastrophe sich mit voller Macht die handelnden Personen unter¬
wirft. Auf diese Katastrophe folgt schnell der Schluß des Stückes, die Situation, wo
die Versöhnung der kämpfenden Gegensätze, die Wiederherstellung der durch die
Helden gestörten ethischen Ruhe eintritt, dies ist der Moment, wo die Grundidee
des Stückes am klarsten hervorkommt und der Seele des Zuschauers Erhebung und
Frieden bringt. Dieser Inhalt des Dramas, in jedem einzelnen als Lebensbe-
dingung vorhanden, tritt natürlich bei den Dramen hohen Styls am deutlichsten
hervor. Macbeth z. B. erscheint zuerst als treuer Feldherr, in der Hexenscene
wird der Keim zu ehrgeizigem Wunsch in seine Brust gelegt, dieser Wunsch treibt
ihn durch den zweiten und dritten Akt, durch den Sturm der Leidenschaft bis
zur Ermordung seines königlichen Freundes und zur Occupation der Königs-
würde. Durch diese That ist die sittliche Ordnung seiner Welt furchtbar gestört
und beginnt gegen ihn zu wirken. Das Mißtrauen, der Verdacht seiner Edlen
und vor Allem die sittliche Veränderung, welche die That in ihm selbst hervorge¬
bracht hat, kämpfen gegen ihn, treiben ihn von einem neuen Unrecht zum andern,
bis endlich die gegen ihn arbeitenden Kräfte so stark werden, daß sie in der Kata¬
strophe, in dem Kampf mit Makdnff ihn vernichten.

Denselben innern Verlauf haben fast alle große» Dramen Shakespeares, Ro¬
meo und Julie, Julius Cäsar, Coriolan, auch Orhello, wo der Keim der Ti)alt
die Entführung der Desdemona, der Höhenpunkt der Handlung aber (im 8. Akt)
das Unterliegen des edlen Othello unter die Leidenschaft der Eisersucht ist, auch An-
tonius und Cleopatra, Timon ze. und von den Dramen aus der englische» Ge¬
schichte die meisten. Die antike Tragödie der Griechen ist diesem organischen
Gesetz des Dramas zuerst mit künstlerischem Bewußtsein gefolgt, die französischen
Tragiker haben oft pedantisch den Griechen nachgeahmt; Shakespeares unge¬
heure Schöpferkraft steht auch darin einzig da, daß er diese Gesetze ohne ästheti¬
sche Schulbildung viel genauer beobachtete und sicherer inne hatte, als irgend
einer unsrer deutschen Dramatiker, Lesstng ausgenommen. Von den großen Dich¬
tern der Deutschen hat Göthe dieselben am wenigsten verstanden, Schiller aber, der sich
allerdings von ihnen bestimmt fühlte, wurde durch die große Ausdehnung, welche
bei ihm die Episoden in der Ausführung gegenüber seinem ursprünglichen Plan
bekamen, zuweilen in der richtigen Handhabung derselben gestört. Shakespeare
ist anch deshalb der größte dramatische Dichter, weil er der gesetzmäßigste ist,
und weil bei aller Freiheit, die er sich im Detail erlaubt, das Hanptgewebe seiner
Dramen den höchsten Gesetzen der Kunst am genauesten entspricht. Denn die
Grundnothwendigteiten des Dramas sind zu gleicher Zeit für die Wirkung
eines. Stückes auf der Bühne unentbehrlich. Die Bühnenwirksamkeit eines
Dramas hängt nämlich in Beziehung auf die Begebenheit des Stückes, auf das,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/20>, abgerufen am 05.02.2025.