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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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gestellt, über das Ergreifende in demselben werden durch den Dichter selbst keine Reflexio¬
nen angestellt. Wenn das Judenmädchen in einer Unterredung mit ihrem Verlob¬
ten den Entschluß gefaßt hat, bei Nacht den französischen General zu besuchen,
so wird dies Factum kurz, mit einfachen Worten erzählt und dem Leser überlassen,
sich das Tragische dieser Situation auszumalen, wenn der Sohn des Nandars
seine Schwester von ihrem Versucher zurückholt, so wird diese ganze Katastrophe
mit möglichst einfachen, wenigen Sätzen abgemacht, es ist kein Heraustreiben der
Effecte, eher ein Verhüllen. Freilich liegt grade darin ein Hauptreiz dieser De-
taildarstellnng, die Novellen erhalten eine epische Ruhe und einen Schein von
Klarheit, welcher mehr fesselt, als breite Ausführung. Für die künstlerische Fort¬
bildung des modernen Dichters aber kann diese Art zu wirken, wenn seine Seele
sich daran gewöhnt, eine Klippe werden, wenigstens ist es für einen Andern
schwer, sich den Uebergang eines so organisirten Talentes zum Drama zu denken.

Fassen wir zusammen, was der neue Dichter uns bringt: gebildete Empfin¬
dung, Virtuosität in der Darstellung des epischen Details, herzliche Freude am
Schaffen, interessante Stoffe, und eine künstlerische Sprache, so werden wir Ver¬
anlassung haben, ihm zuerst für sein Erscheine" zu danken und zweitens den
Wunsch auszusprechen, daß er seine Phantasie sobald als möglich ans dem kleinen
stagnirenden See des Ghetto herausziehen und lustig in den Strom unseres
Lebens tauchen möge. In der Jugend soll der Dichter seine Kräfte prüfen, das
Genre, und sei es noch so reizend, entfernt jetzt auf die Länge den Schaffenden
von seiner Zeit, die virtuose Form und liebenswürdiges Detail wird uns nicht
mehr befriedigen, unsere Kunst verlangt einen großen Inhalt, mächtige Leiden¬
schaft, für die Form mag dann ein guter Gott sorgen. -- Wir hoffen, den
Dichter in der Zukunft da zu finden, wo wir die stärksten Kräfte hinwünschen,
bei den dramatischen Stoffen unseres Lebens.


Zur neuesten Geschichte Ungarns.



V.

Der Kampf in Ungarn hat von Neuem begonnen. Von Norden und Süden,
von Osten und Westen dringen besoldete Heere auf das Machtgebot zweier Kaiser
in das blutgedüngte Land, das sich aufrafft zum Verzweiflungskampfe. Im Nor¬
den und im Osten, wo die Mutter Erde natürliche Wälle in Bergessormen auf¬
geworfen hat und spärliche Gebirgspässe durch ein Labyrinth von Thälern in die
große Ebene führen, ward der Natur emsig nachgeholfen. Felsenmassen wurden


gestellt, über das Ergreifende in demselben werden durch den Dichter selbst keine Reflexio¬
nen angestellt. Wenn das Judenmädchen in einer Unterredung mit ihrem Verlob¬
ten den Entschluß gefaßt hat, bei Nacht den französischen General zu besuchen,
so wird dies Factum kurz, mit einfachen Worten erzählt und dem Leser überlassen,
sich das Tragische dieser Situation auszumalen, wenn der Sohn des Nandars
seine Schwester von ihrem Versucher zurückholt, so wird diese ganze Katastrophe
mit möglichst einfachen, wenigen Sätzen abgemacht, es ist kein Heraustreiben der
Effecte, eher ein Verhüllen. Freilich liegt grade darin ein Hauptreiz dieser De-
taildarstellnng, die Novellen erhalten eine epische Ruhe und einen Schein von
Klarheit, welcher mehr fesselt, als breite Ausführung. Für die künstlerische Fort¬
bildung des modernen Dichters aber kann diese Art zu wirken, wenn seine Seele
sich daran gewöhnt, eine Klippe werden, wenigstens ist es für einen Andern
schwer, sich den Uebergang eines so organisirten Talentes zum Drama zu denken.

Fassen wir zusammen, was der neue Dichter uns bringt: gebildete Empfin¬
dung, Virtuosität in der Darstellung des epischen Details, herzliche Freude am
Schaffen, interessante Stoffe, und eine künstlerische Sprache, so werden wir Ver¬
anlassung haben, ihm zuerst für sein Erscheine» zu danken und zweitens den
Wunsch auszusprechen, daß er seine Phantasie sobald als möglich ans dem kleinen
stagnirenden See des Ghetto herausziehen und lustig in den Strom unseres
Lebens tauchen möge. In der Jugend soll der Dichter seine Kräfte prüfen, das
Genre, und sei es noch so reizend, entfernt jetzt auf die Länge den Schaffenden
von seiner Zeit, die virtuose Form und liebenswürdiges Detail wird uns nicht
mehr befriedigen, unsere Kunst verlangt einen großen Inhalt, mächtige Leiden¬
schaft, für die Form mag dann ein guter Gott sorgen. — Wir hoffen, den
Dichter in der Zukunft da zu finden, wo wir die stärksten Kräfte hinwünschen,
bei den dramatischen Stoffen unseres Lebens.


Zur neuesten Geschichte Ungarns.



V.

Der Kampf in Ungarn hat von Neuem begonnen. Von Norden und Süden,
von Osten und Westen dringen besoldete Heere auf das Machtgebot zweier Kaiser
in das blutgedüngte Land, das sich aufrafft zum Verzweiflungskampfe. Im Nor¬
den und im Osten, wo die Mutter Erde natürliche Wälle in Bergessormen auf¬
geworfen hat und spärliche Gebirgspässe durch ein Labyrinth von Thälern in die
große Ebene führen, ward der Natur emsig nachgeholfen. Felsenmassen wurden


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[0194] gestellt, über das Ergreifende in demselben werden durch den Dichter selbst keine Reflexio¬ nen angestellt. Wenn das Judenmädchen in einer Unterredung mit ihrem Verlob¬ ten den Entschluß gefaßt hat, bei Nacht den französischen General zu besuchen, so wird dies Factum kurz, mit einfachen Worten erzählt und dem Leser überlassen, sich das Tragische dieser Situation auszumalen, wenn der Sohn des Nandars seine Schwester von ihrem Versucher zurückholt, so wird diese ganze Katastrophe mit möglichst einfachen, wenigen Sätzen abgemacht, es ist kein Heraustreiben der Effecte, eher ein Verhüllen. Freilich liegt grade darin ein Hauptreiz dieser De- taildarstellnng, die Novellen erhalten eine epische Ruhe und einen Schein von Klarheit, welcher mehr fesselt, als breite Ausführung. Für die künstlerische Fort¬ bildung des modernen Dichters aber kann diese Art zu wirken, wenn seine Seele sich daran gewöhnt, eine Klippe werden, wenigstens ist es für einen Andern schwer, sich den Uebergang eines so organisirten Talentes zum Drama zu denken. Fassen wir zusammen, was der neue Dichter uns bringt: gebildete Empfin¬ dung, Virtuosität in der Darstellung des epischen Details, herzliche Freude am Schaffen, interessante Stoffe, und eine künstlerische Sprache, so werden wir Ver¬ anlassung haben, ihm zuerst für sein Erscheine» zu danken und zweitens den Wunsch auszusprechen, daß er seine Phantasie sobald als möglich ans dem kleinen stagnirenden See des Ghetto herausziehen und lustig in den Strom unseres Lebens tauchen möge. In der Jugend soll der Dichter seine Kräfte prüfen, das Genre, und sei es noch so reizend, entfernt jetzt auf die Länge den Schaffenden von seiner Zeit, die virtuose Form und liebenswürdiges Detail wird uns nicht mehr befriedigen, unsere Kunst verlangt einen großen Inhalt, mächtige Leiden¬ schaft, für die Form mag dann ein guter Gott sorgen. — Wir hoffen, den Dichter in der Zukunft da zu finden, wo wir die stärksten Kräfte hinwünschen, bei den dramatischen Stoffen unseres Lebens. Zur neuesten Geschichte Ungarns. V. Der Kampf in Ungarn hat von Neuem begonnen. Von Norden und Süden, von Osten und Westen dringen besoldete Heere auf das Machtgebot zweier Kaiser in das blutgedüngte Land, das sich aufrafft zum Verzweiflungskampfe. Im Nor¬ den und im Osten, wo die Mutter Erde natürliche Wälle in Bergessormen auf¬ geworfen hat und spärliche Gebirgspässe durch ein Labyrinth von Thälern in die große Ebene führen, ward der Natur emsig nachgeholfen. Felsenmassen wurden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/194>, abgerufen am 05.02.2025.