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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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gezogenheit, in der er lebt, keinen persönlichen Einfluß. Er kann, wenn er will,
sehr liebenswürdig sein, ist aber in der Regel (wie Graf Armin in Paris war),
für die Wünsche der Deutschen wenig zugänglich, während dagegen der preußische
Generalconsul Hebel er, der ein elegantes Haus macht, für seine Landsleute
Alles thut.

In Italien schrieb Bunsen liturgische Schriften, dann einen berühmten histo¬
rischen Liederschatz, ferner auf Cotta's Veranlassung in Gemeinschaft mit einigen
andern Gelehrten eine treffliche Beschreibung von Rom und ein sehr gelehrtes
Buch über die Chronologie der ägyptischen Könige. Während er in London war,
entwickelte sich die Eichhorn-Thile'sche pietistische Richtung zum Extrem und
rief in Deutschland heftige Opposition hervor. Da schrieb der bisher streng or¬
thodoxe Bunsen die "Kirche der Zukunft," in welcher ein ganz anderer Geist
weht. Dadurch verscherzte er die Gunst der "Wilhelmsstraße" nud ihres von
russisch - östreichischen Sympathien inspirirter Organs, der Kreuzzeitung. Diese
Partei wirst ihm vor, daß er mit allzugroßer Gewandtheit "der Zeit den Puls
zu fühlen" verstehe, kann es ihm aber insbesondere nicht verzeihen, daß er schon
1834 mit aller Entschiedenheit aussprach, eine Verfassung, freilich eine nach eng¬
lischem Muster, sei für Preußen dringendes Bedürfniß. Wir aber rechnen ihm
dieses Urtheil um so mehr zur Ehre an, da er eigentlich weit mehr Gelehrter
als Staatsmann ist. Er ist ein hervorragendes Talent, jedoch kein Genie und
kein Charakter. Er gleicht in seineu Licht- und Schattenseiten dem König und
vermag viel über denselben. Die Hofpartei aber fürchtete schon, als er noch in
Italien war, seinen geistreichen und zugleich "unpraktischen" Einfluß, darum hielt
sie ihn nach Möglichkeit fern, obgleich er damals um seiner Kinder willen ejne
Anstellung in Berlin sehnlich wünschte und sogar bereit war, sich mit der Inten¬
dantur der Musee" zu begnügen. Jetzt fühlt er sich in Loudeu sehr wohl aufgehoben.

Seine 9 oder 10 Kinder sind sämmtlich in Italien geboren. Der Kinder-
reichthum eines am Hofe Sr. cälibatären Heiligkeit accreditirten Gesandten gab
daselbst zu manchem heitern Scherz Veranlassung. Der älteste Sohn war längere
Zeit Hauslehrer im Hause des Herzogs v. Southerland in (nigland, was
man für den Sohn eines dortigen Repräsentanten einer Großmacht mit Recht un¬
passend fand. Daß Bunsen's dogmatische Richtung in neuern Zeiten keine streng
orthodoxe sein kaun, ergibt sich auch daraus, daß er seine zwei ältesten Söhne
zur anglikanischen Kirche hat übertreten lassen, den ältesten mit Rücksicht auf eine
Pfründe, wozu ihm die Verwandtschaft seiner Frau und die Protection des ge¬
nannten Herzogs von Southerland die Aussicht eröffnete. Der zweite Sohn ist
an eine reiche englische Quälerin verheirathet.





*) Er hat in Göttingen als Dr. plin, promovirt und ist spater von der Universität Oxford
Iionoris "itusa auch zum Dr. /jur, creirt worden.

gezogenheit, in der er lebt, keinen persönlichen Einfluß. Er kann, wenn er will,
sehr liebenswürdig sein, ist aber in der Regel (wie Graf Armin in Paris war),
für die Wünsche der Deutschen wenig zugänglich, während dagegen der preußische
Generalconsul Hebel er, der ein elegantes Haus macht, für seine Landsleute
Alles thut.

In Italien schrieb Bunsen liturgische Schriften, dann einen berühmten histo¬
rischen Liederschatz, ferner auf Cotta's Veranlassung in Gemeinschaft mit einigen
andern Gelehrten eine treffliche Beschreibung von Rom und ein sehr gelehrtes
Buch über die Chronologie der ägyptischen Könige. Während er in London war,
entwickelte sich die Eichhorn-Thile'sche pietistische Richtung zum Extrem und
rief in Deutschland heftige Opposition hervor. Da schrieb der bisher streng or¬
thodoxe Bunsen die „Kirche der Zukunft," in welcher ein ganz anderer Geist
weht. Dadurch verscherzte er die Gunst der „Wilhelmsstraße" nud ihres von
russisch - östreichischen Sympathien inspirirter Organs, der Kreuzzeitung. Diese
Partei wirst ihm vor, daß er mit allzugroßer Gewandtheit „der Zeit den Puls
zu fühlen" verstehe, kann es ihm aber insbesondere nicht verzeihen, daß er schon
1834 mit aller Entschiedenheit aussprach, eine Verfassung, freilich eine nach eng¬
lischem Muster, sei für Preußen dringendes Bedürfniß. Wir aber rechnen ihm
dieses Urtheil um so mehr zur Ehre an, da er eigentlich weit mehr Gelehrter
als Staatsmann ist. Er ist ein hervorragendes Talent, jedoch kein Genie und
kein Charakter. Er gleicht in seineu Licht- und Schattenseiten dem König und
vermag viel über denselben. Die Hofpartei aber fürchtete schon, als er noch in
Italien war, seinen geistreichen und zugleich „unpraktischen" Einfluß, darum hielt
sie ihn nach Möglichkeit fern, obgleich er damals um seiner Kinder willen ejne
Anstellung in Berlin sehnlich wünschte und sogar bereit war, sich mit der Inten¬
dantur der Musee» zu begnügen. Jetzt fühlt er sich in Loudeu sehr wohl aufgehoben.

Seine 9 oder 10 Kinder sind sämmtlich in Italien geboren. Der Kinder-
reichthum eines am Hofe Sr. cälibatären Heiligkeit accreditirten Gesandten gab
daselbst zu manchem heitern Scherz Veranlassung. Der älteste Sohn war längere
Zeit Hauslehrer im Hause des Herzogs v. Southerland in (nigland, was
man für den Sohn eines dortigen Repräsentanten einer Großmacht mit Recht un¬
passend fand. Daß Bunsen's dogmatische Richtung in neuern Zeiten keine streng
orthodoxe sein kaun, ergibt sich auch daraus, daß er seine zwei ältesten Söhne
zur anglikanischen Kirche hat übertreten lassen, den ältesten mit Rücksicht auf eine
Pfründe, wozu ihm die Verwandtschaft seiner Frau und die Protection des ge¬
nannten Herzogs von Southerland die Aussicht eröffnete. Der zweite Sohn ist
an eine reiche englische Quälerin verheirathet.





*) Er hat in Göttingen als Dr. plin, promovirt und ist spater von der Universität Oxford
Iionoris «itusa auch zum Dr. /jur, creirt worden.
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[0173] gezogenheit, in der er lebt, keinen persönlichen Einfluß. Er kann, wenn er will, sehr liebenswürdig sein, ist aber in der Regel (wie Graf Armin in Paris war), für die Wünsche der Deutschen wenig zugänglich, während dagegen der preußische Generalconsul Hebel er, der ein elegantes Haus macht, für seine Landsleute Alles thut. In Italien schrieb Bunsen liturgische Schriften, dann einen berühmten histo¬ rischen Liederschatz, ferner auf Cotta's Veranlassung in Gemeinschaft mit einigen andern Gelehrten eine treffliche Beschreibung von Rom und ein sehr gelehrtes Buch über die Chronologie der ägyptischen Könige. Während er in London war, entwickelte sich die Eichhorn-Thile'sche pietistische Richtung zum Extrem und rief in Deutschland heftige Opposition hervor. Da schrieb der bisher streng or¬ thodoxe Bunsen die „Kirche der Zukunft," in welcher ein ganz anderer Geist weht. Dadurch verscherzte er die Gunst der „Wilhelmsstraße" nud ihres von russisch - östreichischen Sympathien inspirirter Organs, der Kreuzzeitung. Diese Partei wirst ihm vor, daß er mit allzugroßer Gewandtheit „der Zeit den Puls zu fühlen" verstehe, kann es ihm aber insbesondere nicht verzeihen, daß er schon 1834 mit aller Entschiedenheit aussprach, eine Verfassung, freilich eine nach eng¬ lischem Muster, sei für Preußen dringendes Bedürfniß. Wir aber rechnen ihm dieses Urtheil um so mehr zur Ehre an, da er eigentlich weit mehr Gelehrter als Staatsmann ist. Er ist ein hervorragendes Talent, jedoch kein Genie und kein Charakter. Er gleicht in seineu Licht- und Schattenseiten dem König und vermag viel über denselben. Die Hofpartei aber fürchtete schon, als er noch in Italien war, seinen geistreichen und zugleich „unpraktischen" Einfluß, darum hielt sie ihn nach Möglichkeit fern, obgleich er damals um seiner Kinder willen ejne Anstellung in Berlin sehnlich wünschte und sogar bereit war, sich mit der Inten¬ dantur der Musee» zu begnügen. Jetzt fühlt er sich in Loudeu sehr wohl aufgehoben. Seine 9 oder 10 Kinder sind sämmtlich in Italien geboren. Der Kinder- reichthum eines am Hofe Sr. cälibatären Heiligkeit accreditirten Gesandten gab daselbst zu manchem heitern Scherz Veranlassung. Der älteste Sohn war längere Zeit Hauslehrer im Hause des Herzogs v. Southerland in (nigland, was man für den Sohn eines dortigen Repräsentanten einer Großmacht mit Recht un¬ passend fand. Daß Bunsen's dogmatische Richtung in neuern Zeiten keine streng orthodoxe sein kaun, ergibt sich auch daraus, daß er seine zwei ältesten Söhne zur anglikanischen Kirche hat übertreten lassen, den ältesten mit Rücksicht auf eine Pfründe, wozu ihm die Verwandtschaft seiner Frau und die Protection des ge¬ nannten Herzogs von Southerland die Aussicht eröffnete. Der zweite Sohn ist an eine reiche englische Quälerin verheirathet. *) Er hat in Göttingen als Dr. plin, promovirt und ist spater von der Universität Oxford Iionoris «itusa auch zum Dr. /jur, creirt worden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/173>, abgerufen am 05.02.2025.