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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Sachsen verübten Friedensbruch zu ergreisen. Demnach berief Preußen (14. Mai)
seine Abgeordneten ans der Nationalversammlung; Sachsen (21. Mai) und Han¬
nover (28. Mai) folgten. Die Deputirten legten zwar Protest gegen diese Ab¬
berufung ein, aber es verschwand doch Einer nach dem Andern ans der Pauls-
kirche. So wurde denn (12. Mai) ein Mitglied der gemäßigten Linken, Theodor
Reh, zum Präsidenten gewählt, und der von Backhaus erneuerte Vorschlag, von
dem Heere den Eid auf die Verfassung zu erlangen, ging diesmal mit 168 : 142
Se. durch. Dennoch wurde noch den 15. Mai der Antrag Umbscheiden's, den
Aufstand in der Pfalz unter den Schutz' der Nationalversammlung zu stellen, mit
180 : 180 Stimmen verworfen. Die Verwirrung steigerte sich, als (16. Mai)
Herr Grävell sich der Versammlung als Präsident des neuen Neichsministeriums
präsentirte, neben ihm Detmold für die Justiz, General Jochmns, Pascha von
drei Roßschweifen, für das Auswärtige, Merk für die Finanzen. Gleich den fol¬
genden Tag gab die Versammlung auf Welker's Antrag gegen dieses Ministerium
mit 191 : 12 Se. (>4 enthielten sich der Abstimmung) ein Mißtrauensvotum ab;
Grävell erklärte (18. Mai) dennoch zu bleiben. Es folgt jetzt in den Verhand¬
lungen eine grenzenlose Verwirrung; man schlug vor, die Centralgewalt zu be¬
seitigen, sie aber zugleich daran zu verhindern, ihre Vollmacht in andere Hände
niederzulegen, als die der Nationalversammlung; man beschloß die verfassungs¬
treuen Staaten zu schützen, einen Reichsstatthalter zu wählen und Anderes. So
sah sich denn -- in demselben Augenblick, als die zweite Kammer zu München
mit 72 : 62 Se. die Reichsverfassung anerkannte (21. Mai) -- das gesammte rechte
Centrum uuter Gagern's Führung zum Austritt veranlaßt. Damit war die Sache
der Nationalversammlung verloren.

Inzwischen waren auch im Preußischen Bewegungen gegen die Regierung
ausgebrochen. Die Unruhen in Breslau wurden schnell beseitigt (8. Mai);
ernsthafter aber wurde es in der Rheinprovinz und Westphalen, wo bei dem
Aufgebot der Landwehr ziemlich allgemein ein offener Aufstand ausbrach; ein
in Köln zusammengetretener rheinischer Städtetag erklärte (8. Mai) die Reichs-
verfassung für giltig und verlangte Entlassung des Ministeriums Brandenburg;
in Düsseldorf, Elberfeld, Iserlohn n. s. w. wurden Barrikaden aufgeschlagen.

Aber die Bürger nahmen im Ganzen an dieser Bewegung keinen Theil; in
Düsseldorf wurden schou den 10. Mai die Barrikaden genommen, in Elberfeld
wurden sie von selbst geräumt (16. Mai). Iserlohn wurde nach kurzem Wider¬
stand von den Truppen besetzt (17. Mai), und es kam wieder die Zeit des Be¬
lagerungszustandes, der Loyalitätsadressen und der Untersuchungen. Dagegen brach
in Baden eine Militärinsurrcction ans (12. Mai), in Rastatt und Lvrrach wurden
die Offiziere erschlagen, von einer Volksversammlung zu Offenburg aus (18. Mai)
verbreitete sich der Aufstand nach Karlsruhe und Freiburg; der Großherzog entfloh
nach Frankfurt, ein LandeSvertheidi^ungsausschuß unter Brentano wurde cousti-


Sachsen verübten Friedensbruch zu ergreisen. Demnach berief Preußen (14. Mai)
seine Abgeordneten ans der Nationalversammlung; Sachsen (21. Mai) und Han¬
nover (28. Mai) folgten. Die Deputirten legten zwar Protest gegen diese Ab¬
berufung ein, aber es verschwand doch Einer nach dem Andern ans der Pauls-
kirche. So wurde denn (12. Mai) ein Mitglied der gemäßigten Linken, Theodor
Reh, zum Präsidenten gewählt, und der von Backhaus erneuerte Vorschlag, von
dem Heere den Eid auf die Verfassung zu erlangen, ging diesmal mit 168 : 142
Se. durch. Dennoch wurde noch den 15. Mai der Antrag Umbscheiden's, den
Aufstand in der Pfalz unter den Schutz' der Nationalversammlung zu stellen, mit
180 : 180 Stimmen verworfen. Die Verwirrung steigerte sich, als (16. Mai)
Herr Grävell sich der Versammlung als Präsident des neuen Neichsministeriums
präsentirte, neben ihm Detmold für die Justiz, General Jochmns, Pascha von
drei Roßschweifen, für das Auswärtige, Merk für die Finanzen. Gleich den fol¬
genden Tag gab die Versammlung auf Welker's Antrag gegen dieses Ministerium
mit 191 : 12 Se. (>4 enthielten sich der Abstimmung) ein Mißtrauensvotum ab;
Grävell erklärte (18. Mai) dennoch zu bleiben. Es folgt jetzt in den Verhand¬
lungen eine grenzenlose Verwirrung; man schlug vor, die Centralgewalt zu be¬
seitigen, sie aber zugleich daran zu verhindern, ihre Vollmacht in andere Hände
niederzulegen, als die der Nationalversammlung; man beschloß die verfassungs¬
treuen Staaten zu schützen, einen Reichsstatthalter zu wählen und Anderes. So
sah sich denn — in demselben Augenblick, als die zweite Kammer zu München
mit 72 : 62 Se. die Reichsverfassung anerkannte (21. Mai) — das gesammte rechte
Centrum uuter Gagern's Führung zum Austritt veranlaßt. Damit war die Sache
der Nationalversammlung verloren.

Inzwischen waren auch im Preußischen Bewegungen gegen die Regierung
ausgebrochen. Die Unruhen in Breslau wurden schnell beseitigt (8. Mai);
ernsthafter aber wurde es in der Rheinprovinz und Westphalen, wo bei dem
Aufgebot der Landwehr ziemlich allgemein ein offener Aufstand ausbrach; ein
in Köln zusammengetretener rheinischer Städtetag erklärte (8. Mai) die Reichs-
verfassung für giltig und verlangte Entlassung des Ministeriums Brandenburg;
in Düsseldorf, Elberfeld, Iserlohn n. s. w. wurden Barrikaden aufgeschlagen.

Aber die Bürger nahmen im Ganzen an dieser Bewegung keinen Theil; in
Düsseldorf wurden schou den 10. Mai die Barrikaden genommen, in Elberfeld
wurden sie von selbst geräumt (16. Mai). Iserlohn wurde nach kurzem Wider¬
stand von den Truppen besetzt (17. Mai), und es kam wieder die Zeit des Be¬
lagerungszustandes, der Loyalitätsadressen und der Untersuchungen. Dagegen brach
in Baden eine Militärinsurrcction ans (12. Mai), in Rastatt und Lvrrach wurden
die Offiziere erschlagen, von einer Volksversammlung zu Offenburg aus (18. Mai)
verbreitete sich der Aufstand nach Karlsruhe und Freiburg; der Großherzog entfloh
nach Frankfurt, ein LandeSvertheidi^ungsausschuß unter Brentano wurde cousti-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/16>, abgerufen am 05.02.2025.