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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Juden nicht bewirken könne. Diese Bedingungen sind: 1) Aufhebung aller Cul-
tusccremonien, Gebete und Formeln, welche den Grundgesetzen des neuen Staates
widersprechen und Abneigung oder Kälte gegen Andersgläubige nähren; 2) Ver¬
legung des Schabbes auf den Sonntag; 3) Erklärung, daß ihrem Gewissen und
ihrer Überzeugung nach die Ehe zwischen Juden und Christen erlaubt sei.

Nur die Individuen und Gemeinden, welche sich zu den angeführten Punkten
bekennen, haben Theil an der neuen Freiheit; wer den Revers nicht unterschreibt,
bleibt tolerirter Jude, für ihn allein bleibt auch in rechtlichen Documenten u. f. w.
die Bezeichnung: Jude. Glanben Sie, ein solches Verfahren wird zwei Dritt¬
theile der Juden aufhören machen, und in den zwei bis drei nächsten Generationen
die Besonderheiten ihres Wesens zum größten Theil aufhebe"; das übrige Drittel
aber wird sich fortwährend vermindern, denn der Uebergang zu einer freien Exi¬
stenz wird nicht mehr durch Cönfessionswechsel erkauft werden müssen.

Aber diese Bestimmungen des Staats sind tyrannisch? Wohl, es ist einige
Tyrannei dabei, aber sie ist vernünftig und nothwendig. Denn das jüdische Ele¬
ment ist für das Leben der östlichen LandestheUe Preußens eine Krankheit, welche
nnr dnrch energische Mittel geheilt werden kann. Niemand fühlt das tiefer und
schmerzlicher, als der gebildete Mann selbst, welcher dem mosaischen Glauben an¬
gehört. Ihr Christen habt keine Ahnung von den bittern Gefühlen der stillen
Demüthigung, dem innerlichen Druck, welchen euer alttestamcntarischer Freund
unter euch sowohl, als uuter der Masse seiner Glaubensgenossen empfindet. Eure
Schonung, mit der ihr das Wort Jude in seiner Gegenwart auszusprechen ver¬
meidet, jede kleine Finte, dnrch die ihr das Erzählen einer jüdischen "Anekdote"
abparirt, ist ihm wie ein Dolchstich, und unter seinen Glaubensgenossen all der
kleine Trödel von alten sinnlosen Bräuchen und Gewohnheiten, von dem näseln¬
der Plärren der Gebete bis herunter zum Gänsefett, mit dem das Gemüse zu¬
gerichtet wird, überall ein Quell des Unbehagens, der peinlichen Befangenheit Es
ist leicht, in großen Dingen groß zu empfinden, wenn man ein ganzer Mensch ist,
aber den kleinen Widrigkeiten des Lebens großen Sinn entgegenzusetzen, das ist
sehr schwer, und dem Juden schwerer, als jedem andern; denn dnrch das bestän¬
dige Reiben mit der Welt, dem er ausgesetzt ist, entwickelt sich in ihm eine Em¬
pfindlichkeit, welche ein kräftiges festes Selbstgefühl sehr selten aufkommen läßt; der
Stärkere wird leicht arrogant, der Weiche sentimental. Wir haben hier in Bres-
lau täglich Gelegenheit das zu bemerken. -- Alle Juden von Erfahrung und Selbst¬
gefühl werden Ihnen sagen, daß ihre gegenwärtige Lage höchst unbefriedigend
und drückend ist, und daß der Staat allein im Stande ist, über den Streitigkeiten
und dem Haß der verschiedenen jüdischen Ncligionssccten, dem Verfall des ganzen
Cultus und der Unentschlossenheit der Einzelnen durch ein Machtwort alte Uebel¬
A. stände und eine chronische Krankheit zu heilen.




Juden nicht bewirken könne. Diese Bedingungen sind: 1) Aufhebung aller Cul-
tusccremonien, Gebete und Formeln, welche den Grundgesetzen des neuen Staates
widersprechen und Abneigung oder Kälte gegen Andersgläubige nähren; 2) Ver¬
legung des Schabbes auf den Sonntag; 3) Erklärung, daß ihrem Gewissen und
ihrer Überzeugung nach die Ehe zwischen Juden und Christen erlaubt sei.

Nur die Individuen und Gemeinden, welche sich zu den angeführten Punkten
bekennen, haben Theil an der neuen Freiheit; wer den Revers nicht unterschreibt,
bleibt tolerirter Jude, für ihn allein bleibt auch in rechtlichen Documenten u. f. w.
die Bezeichnung: Jude. Glanben Sie, ein solches Verfahren wird zwei Dritt¬
theile der Juden aufhören machen, und in den zwei bis drei nächsten Generationen
die Besonderheiten ihres Wesens zum größten Theil aufhebe»; das übrige Drittel
aber wird sich fortwährend vermindern, denn der Uebergang zu einer freien Exi¬
stenz wird nicht mehr durch Cönfessionswechsel erkauft werden müssen.

Aber diese Bestimmungen des Staats sind tyrannisch? Wohl, es ist einige
Tyrannei dabei, aber sie ist vernünftig und nothwendig. Denn das jüdische Ele¬
ment ist für das Leben der östlichen LandestheUe Preußens eine Krankheit, welche
nnr dnrch energische Mittel geheilt werden kann. Niemand fühlt das tiefer und
schmerzlicher, als der gebildete Mann selbst, welcher dem mosaischen Glauben an¬
gehört. Ihr Christen habt keine Ahnung von den bittern Gefühlen der stillen
Demüthigung, dem innerlichen Druck, welchen euer alttestamcntarischer Freund
unter euch sowohl, als uuter der Masse seiner Glaubensgenossen empfindet. Eure
Schonung, mit der ihr das Wort Jude in seiner Gegenwart auszusprechen ver¬
meidet, jede kleine Finte, dnrch die ihr das Erzählen einer jüdischen „Anekdote"
abparirt, ist ihm wie ein Dolchstich, und unter seinen Glaubensgenossen all der
kleine Trödel von alten sinnlosen Bräuchen und Gewohnheiten, von dem näseln¬
der Plärren der Gebete bis herunter zum Gänsefett, mit dem das Gemüse zu¬
gerichtet wird, überall ein Quell des Unbehagens, der peinlichen Befangenheit Es
ist leicht, in großen Dingen groß zu empfinden, wenn man ein ganzer Mensch ist,
aber den kleinen Widrigkeiten des Lebens großen Sinn entgegenzusetzen, das ist
sehr schwer, und dem Juden schwerer, als jedem andern; denn dnrch das bestän¬
dige Reiben mit der Welt, dem er ausgesetzt ist, entwickelt sich in ihm eine Em¬
pfindlichkeit, welche ein kräftiges festes Selbstgefühl sehr selten aufkommen läßt; der
Stärkere wird leicht arrogant, der Weiche sentimental. Wir haben hier in Bres-
lau täglich Gelegenheit das zu bemerken. — Alle Juden von Erfahrung und Selbst¬
gefühl werden Ihnen sagen, daß ihre gegenwärtige Lage höchst unbefriedigend
und drückend ist, und daß der Staat allein im Stande ist, über den Streitigkeiten
und dem Haß der verschiedenen jüdischen Ncligionssccten, dem Verfall des ganzen
Cultus und der Unentschlossenheit der Einzelnen durch ein Machtwort alte Uebel¬
A. stände und eine chronische Krankheit zu heilen.




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[0157] Juden nicht bewirken könne. Diese Bedingungen sind: 1) Aufhebung aller Cul- tusccremonien, Gebete und Formeln, welche den Grundgesetzen des neuen Staates widersprechen und Abneigung oder Kälte gegen Andersgläubige nähren; 2) Ver¬ legung des Schabbes auf den Sonntag; 3) Erklärung, daß ihrem Gewissen und ihrer Überzeugung nach die Ehe zwischen Juden und Christen erlaubt sei. Nur die Individuen und Gemeinden, welche sich zu den angeführten Punkten bekennen, haben Theil an der neuen Freiheit; wer den Revers nicht unterschreibt, bleibt tolerirter Jude, für ihn allein bleibt auch in rechtlichen Documenten u. f. w. die Bezeichnung: Jude. Glanben Sie, ein solches Verfahren wird zwei Dritt¬ theile der Juden aufhören machen, und in den zwei bis drei nächsten Generationen die Besonderheiten ihres Wesens zum größten Theil aufhebe»; das übrige Drittel aber wird sich fortwährend vermindern, denn der Uebergang zu einer freien Exi¬ stenz wird nicht mehr durch Cönfessionswechsel erkauft werden müssen. Aber diese Bestimmungen des Staats sind tyrannisch? Wohl, es ist einige Tyrannei dabei, aber sie ist vernünftig und nothwendig. Denn das jüdische Ele¬ ment ist für das Leben der östlichen LandestheUe Preußens eine Krankheit, welche nnr dnrch energische Mittel geheilt werden kann. Niemand fühlt das tiefer und schmerzlicher, als der gebildete Mann selbst, welcher dem mosaischen Glauben an¬ gehört. Ihr Christen habt keine Ahnung von den bittern Gefühlen der stillen Demüthigung, dem innerlichen Druck, welchen euer alttestamcntarischer Freund unter euch sowohl, als uuter der Masse seiner Glaubensgenossen empfindet. Eure Schonung, mit der ihr das Wort Jude in seiner Gegenwart auszusprechen ver¬ meidet, jede kleine Finte, dnrch die ihr das Erzählen einer jüdischen „Anekdote" abparirt, ist ihm wie ein Dolchstich, und unter seinen Glaubensgenossen all der kleine Trödel von alten sinnlosen Bräuchen und Gewohnheiten, von dem näseln¬ der Plärren der Gebete bis herunter zum Gänsefett, mit dem das Gemüse zu¬ gerichtet wird, überall ein Quell des Unbehagens, der peinlichen Befangenheit Es ist leicht, in großen Dingen groß zu empfinden, wenn man ein ganzer Mensch ist, aber den kleinen Widrigkeiten des Lebens großen Sinn entgegenzusetzen, das ist sehr schwer, und dem Juden schwerer, als jedem andern; denn dnrch das bestän¬ dige Reiben mit der Welt, dem er ausgesetzt ist, entwickelt sich in ihm eine Em¬ pfindlichkeit, welche ein kräftiges festes Selbstgefühl sehr selten aufkommen läßt; der Stärkere wird leicht arrogant, der Weiche sentimental. Wir haben hier in Bres- lau täglich Gelegenheit das zu bemerken. — Alle Juden von Erfahrung und Selbst¬ gefühl werden Ihnen sagen, daß ihre gegenwärtige Lage höchst unbefriedigend und drückend ist, und daß der Staat allein im Stande ist, über den Streitigkeiten und dem Haß der verschiedenen jüdischen Ncligionssccten, dem Verfall des ganzen Cultus und der Unentschlossenheit der Einzelnen durch ein Machtwort alte Uebel¬ A. stände und eine chronische Krankheit zu heilen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/157>, abgerufen am 05.02.2025.