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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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ans gesellschaftliche Gleichheit mit den Christen keinen Anspruch machen; die Ge¬
meinde, welche in ihrer Synagoge die alten Verwünschungsgebete gegen die Nicht-
juden nicht aufgeben will und sich in Lehre und Gebet als besonderes Volk ge¬
genüber der deutschen Nation, deren Theil sie ist, empfindet, hat keinen Anspruch
auf bürgerliche Gleichstellung mit den Gojim, ein Manu, dessen Gewissen ihm
verbietet, am Sonnabend eine Feder in die Hand zu nehmen oder Geld einzu-
cassiren, ist unfähig, irgend ein Gemeinde- oder Staatsamt zu bekleiden. Die
Mehrzahl der Juden in Breslau ist in dieser Lage, trotz den Bemü¬
hungen unseres vortrefflichen Rabbi Geiger und dem guten Beispiel, welches durch
eine Anzahl angesehener jüdischer Familien gegeben wird. -- Es ist gut und schön,
daß der Staat deu Juden die Pforten seines Gesetztempels weit aufgethan hat,
aber wenn er dies gethan hat, muß er uoch mehr thun. So lauge die Juden
als tvlcrirter Staunn mit einem gewissen Quantum von Staatöbürgerrechtcn unter
uns lebten, durste er sie noch eher gewähren lassen; es war auch damals sehr schlimm,
daß er sich um ihre Schulen und die Bildung ihrer Lehrer und Rabbiner so we¬
nig kümmerte, aber er hatte wenigstens das rohe Schutzmittel für sich benutzt,
die falsch nud schlecht Gebildeten von manchen wichtigen Richtungen und Thätig¬
keiten des Staatslebens fern zu halten. Jetzt steht die Sache anders. Der
Staat hat ausgesprochen: ich will einen kranken und schwachen Theil des Volkes
dadurch aufrichten und heilen, daß ich ihm die Rechte und Pflichten der Gesun¬
den und Starken ertheile; jetzt möge er dafür sorgen, daß die Kranken nicht seine
Gesunden anstecken, die Schwachen nicht seine Starken lähmen. -- Was bis
jetzt geschehen ist, den jüdische,? Kultus von stupiden Aberglaube" und harter In¬
toleranz zu befreien, ist sehr unzureichend gewesen, der Staat muß selbst helfen.
Wir brauchen ein jüdisches Consistorium (Sanhedrin), eine Bildungsanstalt für jü¬
dische Geistliche, Seminarien für jüdische Lehrer.

Der Sanhedrin wird zunächst durch die Regierung selbst gebildet, welche
eine kleine Zahl nahmhafter Rabbiner zusammenruft, diese ergänzen sich durch
Deputirte, je einer aus jeder Provinz, für deren Wahl durch die Gemeinden sie
einen Modus entwerfen, den die Regierung bestätigt. Die letzte vcttvyirte Verfas¬
sung der jüdischen Gemeinden hat sich als unpraktisch bewiese". Der Sanhedrin
entwirft den Plan eiuer Organisation, die Negierung bestätigt ihn.

Bei einer oder mehreren Universitäten wird ein gelehrter Rabbi als jüdischer
Theolog angestellt. Wer jüdischer Geistlicher werden will, muß den Lehrkursus
eines Gymnasiums durchgemacht und die Universität besucht haben. Die Colle-
gien, welche für seine Bildung nothwendig sind, bestimmt der Sanhedrin.

Bei jedem Seminar muß die etatsmäßige Aufnahme jüdischer Schulamts-
caudidaten gestattet sei", ihren Religionsunterricht besorgt der Rabbi.

Die Negierung hat den zum Sanhedrin zusammentretender Rabbinern ihre
Bedingungen vorzulegen, ohne welche sie die vollständige Emancipation der


ans gesellschaftliche Gleichheit mit den Christen keinen Anspruch machen; die Ge¬
meinde, welche in ihrer Synagoge die alten Verwünschungsgebete gegen die Nicht-
juden nicht aufgeben will und sich in Lehre und Gebet als besonderes Volk ge¬
genüber der deutschen Nation, deren Theil sie ist, empfindet, hat keinen Anspruch
auf bürgerliche Gleichstellung mit den Gojim, ein Manu, dessen Gewissen ihm
verbietet, am Sonnabend eine Feder in die Hand zu nehmen oder Geld einzu-
cassiren, ist unfähig, irgend ein Gemeinde- oder Staatsamt zu bekleiden. Die
Mehrzahl der Juden in Breslau ist in dieser Lage, trotz den Bemü¬
hungen unseres vortrefflichen Rabbi Geiger und dem guten Beispiel, welches durch
eine Anzahl angesehener jüdischer Familien gegeben wird. — Es ist gut und schön,
daß der Staat deu Juden die Pforten seines Gesetztempels weit aufgethan hat,
aber wenn er dies gethan hat, muß er uoch mehr thun. So lauge die Juden
als tvlcrirter Staunn mit einem gewissen Quantum von Staatöbürgerrechtcn unter
uns lebten, durste er sie noch eher gewähren lassen; es war auch damals sehr schlimm,
daß er sich um ihre Schulen und die Bildung ihrer Lehrer und Rabbiner so we¬
nig kümmerte, aber er hatte wenigstens das rohe Schutzmittel für sich benutzt,
die falsch nud schlecht Gebildeten von manchen wichtigen Richtungen und Thätig¬
keiten des Staatslebens fern zu halten. Jetzt steht die Sache anders. Der
Staat hat ausgesprochen: ich will einen kranken und schwachen Theil des Volkes
dadurch aufrichten und heilen, daß ich ihm die Rechte und Pflichten der Gesun¬
den und Starken ertheile; jetzt möge er dafür sorgen, daß die Kranken nicht seine
Gesunden anstecken, die Schwachen nicht seine Starken lähmen. — Was bis
jetzt geschehen ist, den jüdische,? Kultus von stupiden Aberglaube» und harter In¬
toleranz zu befreien, ist sehr unzureichend gewesen, der Staat muß selbst helfen.
Wir brauchen ein jüdisches Consistorium (Sanhedrin), eine Bildungsanstalt für jü¬
dische Geistliche, Seminarien für jüdische Lehrer.

Der Sanhedrin wird zunächst durch die Regierung selbst gebildet, welche
eine kleine Zahl nahmhafter Rabbiner zusammenruft, diese ergänzen sich durch
Deputirte, je einer aus jeder Provinz, für deren Wahl durch die Gemeinden sie
einen Modus entwerfen, den die Regierung bestätigt. Die letzte vcttvyirte Verfas¬
sung der jüdischen Gemeinden hat sich als unpraktisch bewiese». Der Sanhedrin
entwirft den Plan eiuer Organisation, die Negierung bestätigt ihn.

Bei einer oder mehreren Universitäten wird ein gelehrter Rabbi als jüdischer
Theolog angestellt. Wer jüdischer Geistlicher werden will, muß den Lehrkursus
eines Gymnasiums durchgemacht und die Universität besucht haben. Die Colle-
gien, welche für seine Bildung nothwendig sind, bestimmt der Sanhedrin.

Bei jedem Seminar muß die etatsmäßige Aufnahme jüdischer Schulamts-
caudidaten gestattet sei», ihren Religionsunterricht besorgt der Rabbi.

Die Negierung hat den zum Sanhedrin zusammentretender Rabbinern ihre
Bedingungen vorzulegen, ohne welche sie die vollständige Emancipation der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/156>, abgerufen am 05.02.2025.