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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Statt der provisorischen Handelskammer ist endlich bei uns die gesetzliche zu¬
sammengetreten, in welcher die Juden eine gleichmäßige Vertretung mit den Chri¬
sten nach Außen erhalten, da sie in dieselbe mit wählen und mit gewählt worden
sind. Außerdem aber sind auch die innern Verhältnisse der hiesigen, kaufmännischen
Börsencorporation umgestaltet worden. Die alte Corporation der an der Börse
recipirten Kaufleute hört ans, und alle Handelsleute, welche den Steuersatz I^in.
^ zahlen, d.h. Handel mit kaufmännischen Rechten treiben, bilden die neue Cor¬
poration, also auch die Juden, welche bis jetzt ganz ausgeschlossen waren. Für
die Juden war diese Aufnahme deswegen von Wichtigkeit, weil die bisherige Cor¬
poration der Börsenkaufleute ein sehr bedeutendes Vermögen an Gebänden, Mo-
bilien und Effecten besaß, von welchem sie auf einmal Mitbesitzer geworden sind.
In einer Generalversammlung der gesammten Kaufmannschaft haben die Juden
dieses Recht durch fünf Stimmen Majorität erworben, weil die Christen zu indo¬
lent waren, in der nöthigen Anzahl zu erscheinen und ihre Interessen zu verfechten.
Da der Beschluß aus freier Selbstbestimmung der Betheiligten hervorgegangen ist,
läßt sich nichts dagegen einwenden, obgleich er allerlei wunderliche Consequenzen
haben muß, welche für Breslau sehr auffällig siud. Der jüdische Kaufmann steht
in Breslau in der öffentlichen Meinung noch nicht so gut, wie z. B. in Leipzig
oder Frankfurt, zum Theil durch eigue Schuld. Die Lage Schlesiens an der Grenze
von Posen, Polen und Galizien, begünstigt ein fortwährendes Eindringen der
polnischen Schacherjnden in die Provinz, und dies jüdische Element, welches vom
Osten herkommt, bginnt seinen Bildnngöprvzeß in der ersten Generation bei uns,
die zweite Generation geht nach Berlin, die dritte nach Frankfurt. Da hier die
Destillation anfängt, bleibt auch der meiste Schmuz bei uns sitzen.

Der polnische Jude von altem Styl, welcher nach Breslau kommt, seine Ge¬
schäfte zu machen und sich mit oder ohne polizeiliche Erlaubniß einen großen Theil
seines Lebens hier aufhält, läuft schwarz und geschäftig, wie eine Ameise, durch
die Straßen der Stadt und wird an Genügsamkeit durch nichts in der Welt über-
troffen. Er schläft in seinem Kaftan gewickelt aus der Diele irgend eines Gast-
freundes, dem er dafür wenige Pfennige bezahlt, sein Mittagmahl ist ein Hering,
Zwiebeln, die er in seiner Tasche trägt und ein Stück Brot. Seine Reisen nach
Breslau macht er nicht gerne zu Fuß, lieber auf dem Wagentritt einer Extrapost,
wofür er den reicheren Glaubensgenossen, welche zur Messe über Breslau uach
Leipzig fahren, ein Geringes bezahlt. Eine solche Extrapost von Brody nach
Lemberg fleht aus, wie eine dicke Weintraube von Menschenleeren, im Wagen
sitzen die vier Reichen, an jedem Wagentritt, auf dem Kutscheusitz und hinter
dem Wagen hängt ein armer Bacher wie eine Weinbeere in trauriger Lage.
Er wird gestoßen und geschüttelt, die Füße werden ihm steif vom Kauern, die
Hände zittern vom Anklammern, der kalte Wind schneidet ihm bis ins Mark, die


Grenzboten. in. 1849. 19

Statt der provisorischen Handelskammer ist endlich bei uns die gesetzliche zu¬
sammengetreten, in welcher die Juden eine gleichmäßige Vertretung mit den Chri¬
sten nach Außen erhalten, da sie in dieselbe mit wählen und mit gewählt worden
sind. Außerdem aber sind auch die innern Verhältnisse der hiesigen, kaufmännischen
Börsencorporation umgestaltet worden. Die alte Corporation der an der Börse
recipirten Kaufleute hört ans, und alle Handelsleute, welche den Steuersatz I^in.
^ zahlen, d.h. Handel mit kaufmännischen Rechten treiben, bilden die neue Cor¬
poration, also auch die Juden, welche bis jetzt ganz ausgeschlossen waren. Für
die Juden war diese Aufnahme deswegen von Wichtigkeit, weil die bisherige Cor¬
poration der Börsenkaufleute ein sehr bedeutendes Vermögen an Gebänden, Mo-
bilien und Effecten besaß, von welchem sie auf einmal Mitbesitzer geworden sind.
In einer Generalversammlung der gesammten Kaufmannschaft haben die Juden
dieses Recht durch fünf Stimmen Majorität erworben, weil die Christen zu indo¬
lent waren, in der nöthigen Anzahl zu erscheinen und ihre Interessen zu verfechten.
Da der Beschluß aus freier Selbstbestimmung der Betheiligten hervorgegangen ist,
läßt sich nichts dagegen einwenden, obgleich er allerlei wunderliche Consequenzen
haben muß, welche für Breslau sehr auffällig siud. Der jüdische Kaufmann steht
in Breslau in der öffentlichen Meinung noch nicht so gut, wie z. B. in Leipzig
oder Frankfurt, zum Theil durch eigue Schuld. Die Lage Schlesiens an der Grenze
von Posen, Polen und Galizien, begünstigt ein fortwährendes Eindringen der
polnischen Schacherjnden in die Provinz, und dies jüdische Element, welches vom
Osten herkommt, bginnt seinen Bildnngöprvzeß in der ersten Generation bei uns,
die zweite Generation geht nach Berlin, die dritte nach Frankfurt. Da hier die
Destillation anfängt, bleibt auch der meiste Schmuz bei uns sitzen.

Der polnische Jude von altem Styl, welcher nach Breslau kommt, seine Ge¬
schäfte zu machen und sich mit oder ohne polizeiliche Erlaubniß einen großen Theil
seines Lebens hier aufhält, läuft schwarz und geschäftig, wie eine Ameise, durch
die Straßen der Stadt und wird an Genügsamkeit durch nichts in der Welt über-
troffen. Er schläft in seinem Kaftan gewickelt aus der Diele irgend eines Gast-
freundes, dem er dafür wenige Pfennige bezahlt, sein Mittagmahl ist ein Hering,
Zwiebeln, die er in seiner Tasche trägt und ein Stück Brot. Seine Reisen nach
Breslau macht er nicht gerne zu Fuß, lieber auf dem Wagentritt einer Extrapost,
wofür er den reicheren Glaubensgenossen, welche zur Messe über Breslau uach
Leipzig fahren, ein Geringes bezahlt. Eine solche Extrapost von Brody nach
Lemberg fleht aus, wie eine dicke Weintraube von Menschenleeren, im Wagen
sitzen die vier Reichen, an jedem Wagentritt, auf dem Kutscheusitz und hinter
dem Wagen hängt ein armer Bacher wie eine Weinbeere in trauriger Lage.
Er wird gestoßen und geschüttelt, die Füße werden ihm steif vom Kauern, die
Hände zittern vom Anklammern, der kalte Wind schneidet ihm bis ins Mark, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/153>, abgerufen am 05.02.2025.