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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Gründen vollkommen gerechtfertigte Abneigung vor sich selber zu motiviren, kam
die Vorstellung, daß es mit jenem Aufstand eine andere Bewandniß habe, sehr
gelegen. Die wesentliche Frage aber, ob es denn bei einer Jnsurrection überhaupt
allein darauf ankomme, was für einen Zweck die Leiter derselben sich vorstellen,
haben weder jene Constitutionellen, noch unser juristischer Freund sich vorgelegt.
Diese Frage wird erst dadurch erledigt, daß man überhaupt auf das Wesen der
Revolution, von welchem man sich häufig die wunderlichsten Vorstellungen zu
machen pflegt, eine schärfere Aufmerksamkeit wendet.

Bei der Revolution verwechselt man zweierlei: die beschleunigte legislative
Thätigkeit der gesetzlich organistrten Gewalten, und die Unterbrechung des gesetz¬
lichen Zustandes dnrch das, was man zu anderer Zeit Verbrechen nennt, was
aber uuter den eigenthümlichen Zeitumständen dazu dient, jene reformirende Thä¬
tigkeit theils zu beschleunigen, theils zu kräftigen.

Um mich nicht ins Abstracte zu verlieren, halte ich mich an die große Re¬
volution am Ende des vorigen Jahrhunderts. Auf der eiuen Seite sehen wir
vom 5. Mai 1789 an, bis zur Militärherrschaft Bonaparte's eine unausgesetzte
parlamentarische Thätigkeit, eingeleitet durch die vom Parlament und den Notabeln
geforderte, von der Krone vollzogene Einberufung der Generalstände. Durch diese
wurde zwar mit einer reißenden Schnelligkeit, aber doch in den rechtliche" Formen,
der vollständig': Umgestaltungsprozeß des alten Frankreich geleitet. Dasselbe ist
von den Metamorphosen zu sagen, in welchen die Volksvertretung erschien: Na-
tionalversammlung, Legislative, Convent, Zweikammersystem des Directoriums.
Es war, wie sehr auch die Leidenschaft ihren indirecten Einfluß ausübte und die
productive Kraft der Revolution von ihrem ursprünglichen Zweck ablenkte, seiner
Anlage im Großen nach ein Werk des Verstandes, in welchem die jedesmaligen
Absichten durch rationelle Maßregeln verfolgt werden dursten.

Anders verhielt es sich mit den berühmten Tagen der Jnsurrection, die mit
dieser gesetzgeberischen Thätigkeit parallel liefen. Ich erwähne hier nur den 14. Juli
und den 5. October 1789, den 10. August 1792, den 2. Juni 17W, endlich den
9. Thermidor -- der erste Aufstand von Seiten der progressistischen Partei im
Laufe der Revolution, welcher scheiterte, und daher der Beginn der Reaction.
Alle diese einzelnen Handlungen -- die Erstürmung der Bastille, der Zug nach
Versailles, die Einnahme der Tuillerien, der Angriff auf die legislative Versamm¬
lung, um die Gironde zu vernichten -- das alles waren nicht nur Verbrechen im
Sinn des Gesetzes, sondern anch sinnlose Ausbrüche der Volkswuth, welche mir
die Eigenthümlichkeit hatten, daß sie wegen ihres Einflusses auf die Stellung, der
gesetzlichen Gewalten zu einander nachträglich legalistrt wurden. An keinem dieser
Ereignisse, wenn wir den 9. Thermidor ausnehmen, wo die bisherigen Chefs der
Republik den Aufstand leiteten, haben sich die eigentlichen Leiter der Revolution
direct und offen betheiligt, obgleich sie dazu provocirt, und uach vollendeter That-


Grenzboten. III. 1849. ^ 17

Gründen vollkommen gerechtfertigte Abneigung vor sich selber zu motiviren, kam
die Vorstellung, daß es mit jenem Aufstand eine andere Bewandniß habe, sehr
gelegen. Die wesentliche Frage aber, ob es denn bei einer Jnsurrection überhaupt
allein darauf ankomme, was für einen Zweck die Leiter derselben sich vorstellen,
haben weder jene Constitutionellen, noch unser juristischer Freund sich vorgelegt.
Diese Frage wird erst dadurch erledigt, daß man überhaupt auf das Wesen der
Revolution, von welchem man sich häufig die wunderlichsten Vorstellungen zu
machen pflegt, eine schärfere Aufmerksamkeit wendet.

Bei der Revolution verwechselt man zweierlei: die beschleunigte legislative
Thätigkeit der gesetzlich organistrten Gewalten, und die Unterbrechung des gesetz¬
lichen Zustandes dnrch das, was man zu anderer Zeit Verbrechen nennt, was
aber uuter den eigenthümlichen Zeitumständen dazu dient, jene reformirende Thä¬
tigkeit theils zu beschleunigen, theils zu kräftigen.

Um mich nicht ins Abstracte zu verlieren, halte ich mich an die große Re¬
volution am Ende des vorigen Jahrhunderts. Auf der eiuen Seite sehen wir
vom 5. Mai 1789 an, bis zur Militärherrschaft Bonaparte's eine unausgesetzte
parlamentarische Thätigkeit, eingeleitet durch die vom Parlament und den Notabeln
geforderte, von der Krone vollzogene Einberufung der Generalstände. Durch diese
wurde zwar mit einer reißenden Schnelligkeit, aber doch in den rechtliche» Formen,
der vollständig': Umgestaltungsprozeß des alten Frankreich geleitet. Dasselbe ist
von den Metamorphosen zu sagen, in welchen die Volksvertretung erschien: Na-
tionalversammlung, Legislative, Convent, Zweikammersystem des Directoriums.
Es war, wie sehr auch die Leidenschaft ihren indirecten Einfluß ausübte und die
productive Kraft der Revolution von ihrem ursprünglichen Zweck ablenkte, seiner
Anlage im Großen nach ein Werk des Verstandes, in welchem die jedesmaligen
Absichten durch rationelle Maßregeln verfolgt werden dursten.

Anders verhielt es sich mit den berühmten Tagen der Jnsurrection, die mit
dieser gesetzgeberischen Thätigkeit parallel liefen. Ich erwähne hier nur den 14. Juli
und den 5. October 1789, den 10. August 1792, den 2. Juni 17W, endlich den
9. Thermidor — der erste Aufstand von Seiten der progressistischen Partei im
Laufe der Revolution, welcher scheiterte, und daher der Beginn der Reaction.
Alle diese einzelnen Handlungen — die Erstürmung der Bastille, der Zug nach
Versailles, die Einnahme der Tuillerien, der Angriff auf die legislative Versamm¬
lung, um die Gironde zu vernichten — das alles waren nicht nur Verbrechen im
Sinn des Gesetzes, sondern anch sinnlose Ausbrüche der Volkswuth, welche mir
die Eigenthümlichkeit hatten, daß sie wegen ihres Einflusses auf die Stellung, der
gesetzlichen Gewalten zu einander nachträglich legalistrt wurden. An keinem dieser
Ereignisse, wenn wir den 9. Thermidor ausnehmen, wo die bisherigen Chefs der
Republik den Aufstand leiteten, haben sich die eigentlichen Leiter der Revolution
direct und offen betheiligt, obgleich sie dazu provocirt, und uach vollendeter That-


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[0137] Gründen vollkommen gerechtfertigte Abneigung vor sich selber zu motiviren, kam die Vorstellung, daß es mit jenem Aufstand eine andere Bewandniß habe, sehr gelegen. Die wesentliche Frage aber, ob es denn bei einer Jnsurrection überhaupt allein darauf ankomme, was für einen Zweck die Leiter derselben sich vorstellen, haben weder jene Constitutionellen, noch unser juristischer Freund sich vorgelegt. Diese Frage wird erst dadurch erledigt, daß man überhaupt auf das Wesen der Revolution, von welchem man sich häufig die wunderlichsten Vorstellungen zu machen pflegt, eine schärfere Aufmerksamkeit wendet. Bei der Revolution verwechselt man zweierlei: die beschleunigte legislative Thätigkeit der gesetzlich organistrten Gewalten, und die Unterbrechung des gesetz¬ lichen Zustandes dnrch das, was man zu anderer Zeit Verbrechen nennt, was aber uuter den eigenthümlichen Zeitumständen dazu dient, jene reformirende Thä¬ tigkeit theils zu beschleunigen, theils zu kräftigen. Um mich nicht ins Abstracte zu verlieren, halte ich mich an die große Re¬ volution am Ende des vorigen Jahrhunderts. Auf der eiuen Seite sehen wir vom 5. Mai 1789 an, bis zur Militärherrschaft Bonaparte's eine unausgesetzte parlamentarische Thätigkeit, eingeleitet durch die vom Parlament und den Notabeln geforderte, von der Krone vollzogene Einberufung der Generalstände. Durch diese wurde zwar mit einer reißenden Schnelligkeit, aber doch in den rechtliche» Formen, der vollständig': Umgestaltungsprozeß des alten Frankreich geleitet. Dasselbe ist von den Metamorphosen zu sagen, in welchen die Volksvertretung erschien: Na- tionalversammlung, Legislative, Convent, Zweikammersystem des Directoriums. Es war, wie sehr auch die Leidenschaft ihren indirecten Einfluß ausübte und die productive Kraft der Revolution von ihrem ursprünglichen Zweck ablenkte, seiner Anlage im Großen nach ein Werk des Verstandes, in welchem die jedesmaligen Absichten durch rationelle Maßregeln verfolgt werden dursten. Anders verhielt es sich mit den berühmten Tagen der Jnsurrection, die mit dieser gesetzgeberischen Thätigkeit parallel liefen. Ich erwähne hier nur den 14. Juli und den 5. October 1789, den 10. August 1792, den 2. Juni 17W, endlich den 9. Thermidor — der erste Aufstand von Seiten der progressistischen Partei im Laufe der Revolution, welcher scheiterte, und daher der Beginn der Reaction. Alle diese einzelnen Handlungen — die Erstürmung der Bastille, der Zug nach Versailles, die Einnahme der Tuillerien, der Angriff auf die legislative Versamm¬ lung, um die Gironde zu vernichten — das alles waren nicht nur Verbrechen im Sinn des Gesetzes, sondern anch sinnlose Ausbrüche der Volkswuth, welche mir die Eigenthümlichkeit hatten, daß sie wegen ihres Einflusses auf die Stellung, der gesetzlichen Gewalten zu einander nachträglich legalistrt wurden. An keinem dieser Ereignisse, wenn wir den 9. Thermidor ausnehmen, wo die bisherigen Chefs der Republik den Aufstand leiteten, haben sich die eigentlichen Leiter der Revolution direct und offen betheiligt, obgleich sie dazu provocirt, und uach vollendeter That- Grenzboten. III. 1849. ^ 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/137>, abgerufen am 05.02.2025.