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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Der hussitische Ungestüm vom vorigen Jahre, über den sich die Deutschböhmen,
so bitter beklagten, war eine natürliche Erscheinung. Wunderbar ist es aber je¬
denfalls, daß uoch jetzt einzelne Tollköpfe die kümmerlichen Flammen aus dem
Aschenhaufen herauszublasen suchen.

Ein Versuch der Art ist ein vor kurzem trotz des Belagerungszustandes bei
Gerabcck erschienenes, aber schnell unterdrücktes Gedicht unter dem Titel "Dwan-
acty cerwen," (der 12. Juni) worin ein czechischer Tyrtäus zur blutigen Nächung
der seit den Junitagen des vorigen Jahres erlittenen Unbilden auffordert. Die¬
ses gepanzerte Lied ist sowohl gegen die Deutschen, die übrigens mit den Reichen
als gleichbedeutend erscheinen, als auch gegen die Negierung gerichtet. Es heißt
darin, daß der Czeche überall als ein Sclave gelte und der reiche Unterdrücker
sich von Gott für berufen halte, den "armen Czechen" vor sich im Staube krie¬
chen zu lassen. Er sei im eigenen Hause ein Knecht der Fremden; darum möge er doch
erwachen, sein Augenmerk richten auf diejenigen, die üppig leben in seinem Lande,
und sich der Mörder entledigen. Damit niemand in Zweifel bleiben könne, wer
diese Mörder seien, so folgt sogleich eine drohende Apostrophe an die Deutschen
nach. Auch an einer kurzen Philippika gegen die Geistlichkeit und den Beamten¬
stand fehlt es nicht. "Der Reiche kauft sich mit seinem Gold von Hölle und
Fegefeuer los und findet in gleicher Weise vor dem irdischen Gericht Gnade, wäh¬
rend der Arme weder im Himmel noch auf Erden sein wohlbegründetes Recht
finden kann." Zum Schluß wird noch von der Pfingstwoche und dem Slcwen-
congrcß gesprochen, der von dem wüthende", volksfeindlichen Adel gesprengt wor¬
den wäre, von dem "Tigersinn" der Regierung, deren Sündenmaß nun voll sei,
endlich von der Blutgier der Soldaten, die der wahnsinnige Barde "brudermörde¬
rische Fürstenkuechte" nennt. Die Nutzanwendung, die daraus folgt, ist die, "daß
der Czeche durch die gemachten Erfahrungen klug werden und sich von den ent-
arteten Söhne" seines Landes befreien soll."

In den Herzen des Volkes kann solcher Unsinn keinen Anklang finden, dage¬
gen wird er aber gewiß höhern Ortes seine Wirkung nicht verfehlen. Dort wird
man es noch lange nicht begreifen.können, daß ein solcher Rachegesang eben so,
gut der Ausdruck einer vereinzelten, anonymen Stimmung sein kann als ein
,I. V. Liebeslied oder eine Elegie auf den Sonnenuntergang.




Verlag von F. L. Herbig. -- Redacteure: Gustav Freytag und Julian Schmidt.
Druck von Friedrich AndrS.

Der hussitische Ungestüm vom vorigen Jahre, über den sich die Deutschböhmen,
so bitter beklagten, war eine natürliche Erscheinung. Wunderbar ist es aber je¬
denfalls, daß uoch jetzt einzelne Tollköpfe die kümmerlichen Flammen aus dem
Aschenhaufen herauszublasen suchen.

Ein Versuch der Art ist ein vor kurzem trotz des Belagerungszustandes bei
Gerabcck erschienenes, aber schnell unterdrücktes Gedicht unter dem Titel „Dwan-
acty cerwen," (der 12. Juni) worin ein czechischer Tyrtäus zur blutigen Nächung
der seit den Junitagen des vorigen Jahres erlittenen Unbilden auffordert. Die¬
ses gepanzerte Lied ist sowohl gegen die Deutschen, die übrigens mit den Reichen
als gleichbedeutend erscheinen, als auch gegen die Negierung gerichtet. Es heißt
darin, daß der Czeche überall als ein Sclave gelte und der reiche Unterdrücker
sich von Gott für berufen halte, den „armen Czechen" vor sich im Staube krie¬
chen zu lassen. Er sei im eigenen Hause ein Knecht der Fremden; darum möge er doch
erwachen, sein Augenmerk richten auf diejenigen, die üppig leben in seinem Lande,
und sich der Mörder entledigen. Damit niemand in Zweifel bleiben könne, wer
diese Mörder seien, so folgt sogleich eine drohende Apostrophe an die Deutschen
nach. Auch an einer kurzen Philippika gegen die Geistlichkeit und den Beamten¬
stand fehlt es nicht. „Der Reiche kauft sich mit seinem Gold von Hölle und
Fegefeuer los und findet in gleicher Weise vor dem irdischen Gericht Gnade, wäh¬
rend der Arme weder im Himmel noch auf Erden sein wohlbegründetes Recht
finden kann." Zum Schluß wird noch von der Pfingstwoche und dem Slcwen-
congrcß gesprochen, der von dem wüthende», volksfeindlichen Adel gesprengt wor¬
den wäre, von dem „Tigersinn" der Regierung, deren Sündenmaß nun voll sei,
endlich von der Blutgier der Soldaten, die der wahnsinnige Barde „brudermörde¬
rische Fürstenkuechte" nennt. Die Nutzanwendung, die daraus folgt, ist die, „daß
der Czeche durch die gemachten Erfahrungen klug werden und sich von den ent-
arteten Söhne» seines Landes befreien soll."

In den Herzen des Volkes kann solcher Unsinn keinen Anklang finden, dage¬
gen wird er aber gewiß höhern Ortes seine Wirkung nicht verfehlen. Dort wird
man es noch lange nicht begreifen.können, daß ein solcher Rachegesang eben so,
gut der Ausdruck einer vereinzelten, anonymen Stimmung sein kann als ein
,I. V. Liebeslied oder eine Elegie auf den Sonnenuntergang.




Verlag von F. L. Herbig. — Redacteure: Gustav Freytag und Julian Schmidt.
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[0128] Der hussitische Ungestüm vom vorigen Jahre, über den sich die Deutschböhmen, so bitter beklagten, war eine natürliche Erscheinung. Wunderbar ist es aber je¬ denfalls, daß uoch jetzt einzelne Tollköpfe die kümmerlichen Flammen aus dem Aschenhaufen herauszublasen suchen. Ein Versuch der Art ist ein vor kurzem trotz des Belagerungszustandes bei Gerabcck erschienenes, aber schnell unterdrücktes Gedicht unter dem Titel „Dwan- acty cerwen," (der 12. Juni) worin ein czechischer Tyrtäus zur blutigen Nächung der seit den Junitagen des vorigen Jahres erlittenen Unbilden auffordert. Die¬ ses gepanzerte Lied ist sowohl gegen die Deutschen, die übrigens mit den Reichen als gleichbedeutend erscheinen, als auch gegen die Negierung gerichtet. Es heißt darin, daß der Czeche überall als ein Sclave gelte und der reiche Unterdrücker sich von Gott für berufen halte, den „armen Czechen" vor sich im Staube krie¬ chen zu lassen. Er sei im eigenen Hause ein Knecht der Fremden; darum möge er doch erwachen, sein Augenmerk richten auf diejenigen, die üppig leben in seinem Lande, und sich der Mörder entledigen. Damit niemand in Zweifel bleiben könne, wer diese Mörder seien, so folgt sogleich eine drohende Apostrophe an die Deutschen nach. Auch an einer kurzen Philippika gegen die Geistlichkeit und den Beamten¬ stand fehlt es nicht. „Der Reiche kauft sich mit seinem Gold von Hölle und Fegefeuer los und findet in gleicher Weise vor dem irdischen Gericht Gnade, wäh¬ rend der Arme weder im Himmel noch auf Erden sein wohlbegründetes Recht finden kann." Zum Schluß wird noch von der Pfingstwoche und dem Slcwen- congrcß gesprochen, der von dem wüthende», volksfeindlichen Adel gesprengt wor¬ den wäre, von dem „Tigersinn" der Regierung, deren Sündenmaß nun voll sei, endlich von der Blutgier der Soldaten, die der wahnsinnige Barde „brudermörde¬ rische Fürstenkuechte" nennt. Die Nutzanwendung, die daraus folgt, ist die, „daß der Czeche durch die gemachten Erfahrungen klug werden und sich von den ent- arteten Söhne» seines Landes befreien soll." In den Herzen des Volkes kann solcher Unsinn keinen Anklang finden, dage¬ gen wird er aber gewiß höhern Ortes seine Wirkung nicht verfehlen. Dort wird man es noch lange nicht begreifen.können, daß ein solcher Rachegesang eben so, gut der Ausdruck einer vereinzelten, anonymen Stimmung sein kann als ein ,I. V. Liebeslied oder eine Elegie auf den Sonnenuntergang. Verlag von F. L. Herbig. — Redacteure: Gustav Freytag und Julian Schmidt. Druck von Friedrich AndrS.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/128>, abgerufen am 05.02.2025.