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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Es mochte gegen ein Uhr sein, als der Allarmruf uns weckte. Wirr und
halb noch im Traum ergriff ich meine Waffen, die Kleider legten wir natürlich
niemals ab, und trat hinaus auf den Sammelplatz. Aber da war weit größere
Verwirrung als gewöhnlich, denn schon knallte es draußen an den Schanzen,
schon flogen mit feurigem Schweif die pfeifenden Bomben durch die Lust und die
Leuchtkugeln stiegen in den dunkeln Himmelsraum gleich Meteoren, wüstes Geschrei,
Waffcngetlirr erschallte ohrbetänbend von allen Seiten -- man sah, es mußte
etwas Außerordentliches vorgegangen sein. Ehe man nur noch Zeit zur
Besinnung hatte, schmetterte schon das Signalhorn zum Angriff-- in Sturm¬
schritt, vorwärts Marsch! Das vierte Jägercorps stand in wenigen Minuten
dem Feind gegenüber. Diesmal war es ernstlich gemeint. Die Dänen halten seit
Tagen Verstärkung an sich gezogen und waren mit 15 bis 20 Bataillonen vor
uns, während wir ihnen lange nicht die Hälfte entgegen zu stellen vermochten.
Eine lange Kette von feindlichen Tirailleurs, welche in der Dunkelheit wie eine
PaUisadenrcihe sich uns gegenüber ausdehnte, eröffnete allsogleich ein ununter¬
brochenes Feuer auf uns. Aber wir Jäger achtete" wenig auf die verrätherischen
Dvppelkugeln der falschen Dänen, unsere Tirailleurs liefen voran mit lautem Hurrah,
die treuen Büchsen erwiederten muthig die feindliche Botschaft. Plötzlich öffnet sich die
dänische Tiraillenrkette, ein Glntstrom wallt uns entgegen, rings um mich prasselt
und kracht es, wie Schloßenwetter im dürren Wald, zwei dänische Batterien spieen
uns einen verheerenden Kartätschenhagcl entgegen. Von diesem Angenblick an
habe ich für die nächsten Minuten einigermaßen die Erinnerung verloren. Wohl
sah ich rechts und links Freunde und Kameraden fallen, aber ich hatte keinen
Scheideblick für sie, mechanisch lud ich die Büchse und schoß ab, so lang ich die
Summen unserer Offiziere und die Hörner holte. Es waren gräßliche Augen¬
blicke. Es kam mir vor, als sei ich ganz allein in dem dichten Pulverdampf,
der mich umgab, nud es wäre leicht möglich gewesen, daß ich gerade ans dem
Feind zugelaufen wäre, wenn nicht die Blitze des Geschützes aus der Festung,
welche mit furchtbarer Schnelligkeit sich folgten und die Leuchtkugeln mich orientirt
hätten. Ebenso mechanisch, als ich vvrangcschntten, gleichsam instinctmäßig, schritt
ich rückwärts, ehe ich noch recht wußte, wohin mich wenden. Plötzlich stol¬
perte ich und fiel -- ein Verwundeter lag im Wege. Es war unser Feldwebel,
ein ehemaliger Apotheker aus dem Rheinland. "Dn bist's?" sagte er zu mir;
"mit mir ist's vorbei; versprich mir, daß Du meiner Mutter meinen Gruß schrei¬
ben willst!" Ich drückte ihm nur die Hand, das Signal zum Rückzug war eben
gegeben, schwere Fußtritte verkündeten das nahe Anrücken einer geschlossenen Fein-
descolonne und als ein jäher Windstoß den Pulverdampf vertrieb, marschirte,
kaum noch fünfzig Schritt von uns entfernt, ein dänisches Regiment mit gefälltem
Bajonnett gegen uns heran. Unsere Reihen waren sehr gelichtet, aber der Jnstinct
des geschulten Kriegers hatte uns ziemlich im Glied gehalten. Noch einmal in


Es mochte gegen ein Uhr sein, als der Allarmruf uns weckte. Wirr und
halb noch im Traum ergriff ich meine Waffen, die Kleider legten wir natürlich
niemals ab, und trat hinaus auf den Sammelplatz. Aber da war weit größere
Verwirrung als gewöhnlich, denn schon knallte es draußen an den Schanzen,
schon flogen mit feurigem Schweif die pfeifenden Bomben durch die Lust und die
Leuchtkugeln stiegen in den dunkeln Himmelsraum gleich Meteoren, wüstes Geschrei,
Waffcngetlirr erschallte ohrbetänbend von allen Seiten — man sah, es mußte
etwas Außerordentliches vorgegangen sein. Ehe man nur noch Zeit zur
Besinnung hatte, schmetterte schon das Signalhorn zum Angriff— in Sturm¬
schritt, vorwärts Marsch! Das vierte Jägercorps stand in wenigen Minuten
dem Feind gegenüber. Diesmal war es ernstlich gemeint. Die Dänen halten seit
Tagen Verstärkung an sich gezogen und waren mit 15 bis 20 Bataillonen vor
uns, während wir ihnen lange nicht die Hälfte entgegen zu stellen vermochten.
Eine lange Kette von feindlichen Tirailleurs, welche in der Dunkelheit wie eine
PaUisadenrcihe sich uns gegenüber ausdehnte, eröffnete allsogleich ein ununter¬
brochenes Feuer auf uns. Aber wir Jäger achtete» wenig auf die verrätherischen
Dvppelkugeln der falschen Dänen, unsere Tirailleurs liefen voran mit lautem Hurrah,
die treuen Büchsen erwiederten muthig die feindliche Botschaft. Plötzlich öffnet sich die
dänische Tiraillenrkette, ein Glntstrom wallt uns entgegen, rings um mich prasselt
und kracht es, wie Schloßenwetter im dürren Wald, zwei dänische Batterien spieen
uns einen verheerenden Kartätschenhagcl entgegen. Von diesem Angenblick an
habe ich für die nächsten Minuten einigermaßen die Erinnerung verloren. Wohl
sah ich rechts und links Freunde und Kameraden fallen, aber ich hatte keinen
Scheideblick für sie, mechanisch lud ich die Büchse und schoß ab, so lang ich die
Summen unserer Offiziere und die Hörner holte. Es waren gräßliche Augen¬
blicke. Es kam mir vor, als sei ich ganz allein in dem dichten Pulverdampf,
der mich umgab, nud es wäre leicht möglich gewesen, daß ich gerade ans dem
Feind zugelaufen wäre, wenn nicht die Blitze des Geschützes aus der Festung,
welche mit furchtbarer Schnelligkeit sich folgten und die Leuchtkugeln mich orientirt
hätten. Ebenso mechanisch, als ich vvrangcschntten, gleichsam instinctmäßig, schritt
ich rückwärts, ehe ich noch recht wußte, wohin mich wenden. Plötzlich stol¬
perte ich und fiel — ein Verwundeter lag im Wege. Es war unser Feldwebel,
ein ehemaliger Apotheker aus dem Rheinland. „Dn bist's?" sagte er zu mir;
„mit mir ist's vorbei; versprich mir, daß Du meiner Mutter meinen Gruß schrei¬
ben willst!" Ich drückte ihm nur die Hand, das Signal zum Rückzug war eben
gegeben, schwere Fußtritte verkündeten das nahe Anrücken einer geschlossenen Fein-
descolonne und als ein jäher Windstoß den Pulverdampf vertrieb, marschirte,
kaum noch fünfzig Schritt von uns entfernt, ein dänisches Regiment mit gefälltem
Bajonnett gegen uns heran. Unsere Reihen waren sehr gelichtet, aber der Jnstinct
des geschulten Kriegers hatte uns ziemlich im Glied gehalten. Noch einmal in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/120>, abgerufen am 05.02.2025.