Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.verkündet, für alle Zukunft das Ziel des politischen Strebens in Deutschland sein Wir erlauben uns, in Kurzem unsere abweichende Ansicht zu motiviren. Der Verfasser meint, er wisse nicht, was dann weiter. Wir aber wissen es. Diese bittere Wahrheit wird durch die bildlichen Wendungen, die wir un¬ Mit der Berufung auf eine künftige Revolution, der Appellation an ein Grenzboten, in. 1849, 13
verkündet, für alle Zukunft das Ziel des politischen Strebens in Deutschland sein Wir erlauben uns, in Kurzem unsere abweichende Ansicht zu motiviren. Der Verfasser meint, er wisse nicht, was dann weiter. Wir aber wissen es. Diese bittere Wahrheit wird durch die bildlichen Wendungen, die wir un¬ Mit der Berufung auf eine künftige Revolution, der Appellation an ein Grenzboten, in. 1849, 13
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0105" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279131"/> <p xml:id="ID_321" prev="#ID_320"> verkündet, für alle Zukunft das Ziel des politischen Strebens in Deutschland sein<lb/> wird, der Polarstern in der bevorstehenden Anarchie, der Magnet aller künftigen<lb/> Revolutionen. Sicilien gab sich seine Verfassung im Jahre 18l2; sie ward ihm<lb/> wie uns die Frankfurter gewaltsam entrissen. Zweimal haben die Sicilianer seit¬<lb/> dem die Verfassung von 1812 auf dem Schlachtfeld sich erobert und wieder ver¬<lb/> loren; zum drittenmal wird sie Niemand ihnen entreißen. Die Frankfurter Ver¬<lb/> fassung von 1840 ist ein Magnet; der Magnet wird Eisen anziehen."</p><lb/> <p xml:id="ID_322"> Wir erlauben uns, in Kurzem unsere abweichende Ansicht zu motiviren.</p><lb/> <p xml:id="ID_323"> Der Verfasser meint, er wisse nicht, was dann weiter. Wir aber wissen es.<lb/> Kommt der von Preußen projectirte Bundesstaat, durch die Renitenz der einzel¬<lb/> nen Regierungen, welche nach demselben wichtige Theile ihrer Souveräuitätsrechte<lb/> aufopfern sollen, nicht zu Stande, so erfolgt die Wiederherstellung des Bundes¬<lb/> tages und der heiligen Allianz, mit unendlich vergrößertem Einfluß des russischen<lb/> Cabinets und mit tieferer Herabdrückung Preußens, das sich alsdann veran¬<lb/> laßt sieht, als reuiger Sohn zu seineu frühern Herrn zurückzukehren.</p><lb/> <p xml:id="ID_324"> Diese bittere Wahrheit wird durch die bildlichen Wendungen, die wir un¬<lb/> serm eignen Verfahren zu geben suchen, nicht verdeckt. „Wir werfen den Königen<lb/> ihren Entwurf zerrissen vor die Füße." Wenn das anginge, so wäre das wenig¬<lb/> stens ein Akt unmittelbarer Befriedigung, für den ein auf das Höchste gereizter<lb/> Mensch die ganze Zukunft auf's Spiel setze» möchte. Aber es ist nur figürlich<lb/> gemeint. Der Entwurf ist nicht ein einzelnes Pergament, und wir haben keine<lb/> Gelegenheit, ihn mit dem tragischen Pathos eines verletzten Gemüths vor dem<lb/> Angesicht seiner Urheber auf eine so verächtliche Weise zu behandeln, wie es wün¬<lb/> schenswert!) wäre. Der Akt unserer Renitenz zerfällt vielmehr in kleine Detail¬<lb/> arbeit, Abgaben von Stimmen, Enthaltung der Wahl u. s. w., die an sich, ohne<lb/> einen bestimmte» Zweck, den wir damit verbinden, keine Befriedigung geben kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_325"> Mit der Berufung auf eine künftige Revolution, der Appellation an ein<lb/> neues Jenseits, ist auch nichts gethan. „Der Magnet wird Eisen einziehn." Eisen<lb/> ist genug verwendet in diesen beide» Jahre», nud auf die Souveränität des Volks<lb/> hat man auch hinlänglich gepocht, es ist Zeit, daß wir die Vernunft an die<lb/> Stelle der Leidenschaft setzen. Der Vergleich mit Sicilien ist unglücklich. Dort<lb/> steht ein vollkommen in sich einiges Volk, das in einer bestimmten Form den<lb/> Ausdruck seines Willens gefunden hat, einer fremden, ganz äußerlichen Tyrannei<lb/> gegenüber. Bei uns dagegen, wo die Absichten nach tausend Seiten hin ausein-<lb/> andergehen, war für die verschiedenen Fractionen die Reichsverfassung nur ein<lb/> Kompromiß, dessen Geltung die augenblicklichen Umstände, die ihn veranlaßt ha¬<lb/> ben, nicht überdauern wird. Zudem ist das Beispiel Siciliens auch in anderer<lb/> Beziehung nicht schlagend. Wie viel von jener Verfassung zur Ausführung kom^<lb/> nie» soll, wird doch wohl von dem guten Willen des siegreichen Generals und<lb/> seines Herrn abhängen.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten, in. 1849, 13</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0105]
verkündet, für alle Zukunft das Ziel des politischen Strebens in Deutschland sein
wird, der Polarstern in der bevorstehenden Anarchie, der Magnet aller künftigen
Revolutionen. Sicilien gab sich seine Verfassung im Jahre 18l2; sie ward ihm
wie uns die Frankfurter gewaltsam entrissen. Zweimal haben die Sicilianer seit¬
dem die Verfassung von 1812 auf dem Schlachtfeld sich erobert und wieder ver¬
loren; zum drittenmal wird sie Niemand ihnen entreißen. Die Frankfurter Ver¬
fassung von 1840 ist ein Magnet; der Magnet wird Eisen anziehen."
Wir erlauben uns, in Kurzem unsere abweichende Ansicht zu motiviren.
Der Verfasser meint, er wisse nicht, was dann weiter. Wir aber wissen es.
Kommt der von Preußen projectirte Bundesstaat, durch die Renitenz der einzel¬
nen Regierungen, welche nach demselben wichtige Theile ihrer Souveräuitätsrechte
aufopfern sollen, nicht zu Stande, so erfolgt die Wiederherstellung des Bundes¬
tages und der heiligen Allianz, mit unendlich vergrößertem Einfluß des russischen
Cabinets und mit tieferer Herabdrückung Preußens, das sich alsdann veran¬
laßt sieht, als reuiger Sohn zu seineu frühern Herrn zurückzukehren.
Diese bittere Wahrheit wird durch die bildlichen Wendungen, die wir un¬
serm eignen Verfahren zu geben suchen, nicht verdeckt. „Wir werfen den Königen
ihren Entwurf zerrissen vor die Füße." Wenn das anginge, so wäre das wenig¬
stens ein Akt unmittelbarer Befriedigung, für den ein auf das Höchste gereizter
Mensch die ganze Zukunft auf's Spiel setze» möchte. Aber es ist nur figürlich
gemeint. Der Entwurf ist nicht ein einzelnes Pergament, und wir haben keine
Gelegenheit, ihn mit dem tragischen Pathos eines verletzten Gemüths vor dem
Angesicht seiner Urheber auf eine so verächtliche Weise zu behandeln, wie es wün¬
schenswert!) wäre. Der Akt unserer Renitenz zerfällt vielmehr in kleine Detail¬
arbeit, Abgaben von Stimmen, Enthaltung der Wahl u. s. w., die an sich, ohne
einen bestimmte» Zweck, den wir damit verbinden, keine Befriedigung geben kann.
Mit der Berufung auf eine künftige Revolution, der Appellation an ein
neues Jenseits, ist auch nichts gethan. „Der Magnet wird Eisen einziehn." Eisen
ist genug verwendet in diesen beide» Jahre», nud auf die Souveränität des Volks
hat man auch hinlänglich gepocht, es ist Zeit, daß wir die Vernunft an die
Stelle der Leidenschaft setzen. Der Vergleich mit Sicilien ist unglücklich. Dort
steht ein vollkommen in sich einiges Volk, das in einer bestimmten Form den
Ausdruck seines Willens gefunden hat, einer fremden, ganz äußerlichen Tyrannei
gegenüber. Bei uns dagegen, wo die Absichten nach tausend Seiten hin ausein-
andergehen, war für die verschiedenen Fractionen die Reichsverfassung nur ein
Kompromiß, dessen Geltung die augenblicklichen Umstände, die ihn veranlaßt ha¬
ben, nicht überdauern wird. Zudem ist das Beispiel Siciliens auch in anderer
Beziehung nicht schlagend. Wie viel von jener Verfassung zur Ausführung kom^
nie» soll, wird doch wohl von dem guten Willen des siegreichen Generals und
seines Herrn abhängen.
Grenzboten, in. 1849, 13
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