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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Wahrheit, aber kein solches, welchem die ausschließliche Vertretung gegen das
Ausland, die freie Verfügung über das Heer, die Verwaltung des deutschen Mili¬
tärwesens entzogen, dessen gesetzgebende Thätigkeit durch Beschränkung auf "allge¬
meine" Gesetze in den wichtigsten Beziehungen gelähmt und überdies neben dem
Veto des NeichSoberhaupts dem Veto einer Anzahl Fürsten preisgegeben wird;
kein Reich, dem statt der Neichsstnanzen uur das Recht eingeräumt wird, einen
leeren Beutel zu sichre" und bei den Einzelstaaten die Groschen zu erbetteln. Wir
wollen kein Reich, dessen wirkliche einheitliche Thätigkeit vielleicht sich nnr offen¬
baren könnte in einem einheitlichen Prcßgesetz und einem einheitlichen Gesetz über
den gemeinen deutschen Belagerungszustand, welches die Exccutivmacht aller klei¬
nen deutschen Staaten in die Hände Preußens legt und dieselben faktisch aufhebt,
ohne deren Bürger durch eine Theilnahme an der politischen Thätigkeit Deutsch¬
lands und. eine gemeinsame deutsche Gesetzgebung zu entschädigen. Wir wollen
kein Zwitterding von Kaiserthum und Directorium mit der Aussicht entweder auf
einen dauernden Krieg der verschiedene" Factoren der Reichsgewalt oder wahr¬
scheinlicher auf eine vollständige Lähmung derselbe"; wir wollen die Bewilligung
des ordentlichen Budgets nicht abhängig wissen von dem Willen zweier Versamm¬
lungen, die nicht immer einig sein werden. Wir wollen vor allem kein preußi¬
sches Wahlgesetz für das deutsche Volkshaus. Möge man die wirklich Uusclbst-
ständigen ausschließen und wenn man mit Kategorien nichts auszurichten glaubt,
bei denen vielleicht ein Rath von Geschwornen aushilfsweise einzelne Unbilligkeiten
ausgleichen könnte, einen mäßigen Census einführen; aber schämt mau sich nichr
alle die, welche keine directen Steuern zahle", welche keine Gcmeindewcchlrechte
haben, alle die, welche in den letzten drei Jahren ihre Wohnung nicht blos
innerhalb des Wahlbezirks gewechselt haben, alle die, welche nicht in ihrem
Wahlbezirk auch HcimatSrccht besitzen, vom Wahlrechte auszuschließen und dies
uns mit den Worten anzukündigen: "Wählbar ist jeder selbstständige unbeschol¬
tene Deutsche!" -- Wir sind nicht unbedingt Gegner der Octroyirung; ja
warum sollte" wir es uicht gestehen: wir haben ans sie gehofft! Vieles, sehr
Vieles hätte das deutsche Volk verschmerzt, um Einiges zu erlangen; Vieles halte
es verziehen, eingedenk der Sünden, die auch im Namen des Volkes begangen
sind. Aber nach ernstlicher uijd redlicher Prüfung des Entwurfs schwanken wir
keinen Augenblick zu erklären, daß diese Verfassung und dieses Wahlgesetz
nie und nimmermehr angenommen werden kann und daß es verlorene Mühe ist
den zu deren Prüfung in Aussicht gestellten Reichstag zu beschicken. Das Min¬
deste, um weiter zu verhandeln, wäre

l) eine Aenderung des Wahlgesetzes für das Volkshaus, etwa in der Weise,
daß es jedem bcitrctenden Staate überlassen bliebe, mit Zugrundelegung der im
Neichsgcsetz festgestellte" Zahlenverhältmssc, ein Wahlgesetz für den nächsten Reichs¬
tag auf verfassungsmäßigen Wege zu erlassen und darnach die Wahlen


Wahrheit, aber kein solches, welchem die ausschließliche Vertretung gegen das
Ausland, die freie Verfügung über das Heer, die Verwaltung des deutschen Mili¬
tärwesens entzogen, dessen gesetzgebende Thätigkeit durch Beschränkung auf „allge¬
meine" Gesetze in den wichtigsten Beziehungen gelähmt und überdies neben dem
Veto des NeichSoberhaupts dem Veto einer Anzahl Fürsten preisgegeben wird;
kein Reich, dem statt der Neichsstnanzen uur das Recht eingeräumt wird, einen
leeren Beutel zu sichre» und bei den Einzelstaaten die Groschen zu erbetteln. Wir
wollen kein Reich, dessen wirkliche einheitliche Thätigkeit vielleicht sich nnr offen¬
baren könnte in einem einheitlichen Prcßgesetz und einem einheitlichen Gesetz über
den gemeinen deutschen Belagerungszustand, welches die Exccutivmacht aller klei¬
nen deutschen Staaten in die Hände Preußens legt und dieselben faktisch aufhebt,
ohne deren Bürger durch eine Theilnahme an der politischen Thätigkeit Deutsch¬
lands und. eine gemeinsame deutsche Gesetzgebung zu entschädigen. Wir wollen
kein Zwitterding von Kaiserthum und Directorium mit der Aussicht entweder auf
einen dauernden Krieg der verschiedene« Factoren der Reichsgewalt oder wahr¬
scheinlicher auf eine vollständige Lähmung derselbe»; wir wollen die Bewilligung
des ordentlichen Budgets nicht abhängig wissen von dem Willen zweier Versamm¬
lungen, die nicht immer einig sein werden. Wir wollen vor allem kein preußi¬
sches Wahlgesetz für das deutsche Volkshaus. Möge man die wirklich Uusclbst-
ständigen ausschließen und wenn man mit Kategorien nichts auszurichten glaubt,
bei denen vielleicht ein Rath von Geschwornen aushilfsweise einzelne Unbilligkeiten
ausgleichen könnte, einen mäßigen Census einführen; aber schämt mau sich nichr
alle die, welche keine directen Steuern zahle», welche keine Gcmeindewcchlrechte
haben, alle die, welche in den letzten drei Jahren ihre Wohnung nicht blos
innerhalb des Wahlbezirks gewechselt haben, alle die, welche nicht in ihrem
Wahlbezirk auch HcimatSrccht besitzen, vom Wahlrechte auszuschließen und dies
uns mit den Worten anzukündigen: „Wählbar ist jeder selbstständige unbeschol¬
tene Deutsche!" — Wir sind nicht unbedingt Gegner der Octroyirung; ja
warum sollte» wir es uicht gestehen: wir haben ans sie gehofft! Vieles, sehr
Vieles hätte das deutsche Volk verschmerzt, um Einiges zu erlangen; Vieles halte
es verziehen, eingedenk der Sünden, die auch im Namen des Volkes begangen
sind. Aber nach ernstlicher uijd redlicher Prüfung des Entwurfs schwanken wir
keinen Augenblick zu erklären, daß diese Verfassung und dieses Wahlgesetz
nie und nimmermehr angenommen werden kann und daß es verlorene Mühe ist
den zu deren Prüfung in Aussicht gestellten Reichstag zu beschicken. Das Min¬
deste, um weiter zu verhandeln, wäre

l) eine Aenderung des Wahlgesetzes für das Volkshaus, etwa in der Weise,
daß es jedem bcitrctenden Staate überlassen bliebe, mit Zugrundelegung der im
Neichsgcsetz festgestellte» Zahlenverhältmssc, ein Wahlgesetz für den nächsten Reichs¬
tag auf verfassungsmäßigen Wege zu erlassen und darnach die Wahlen


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[0103] Wahrheit, aber kein solches, welchem die ausschließliche Vertretung gegen das Ausland, die freie Verfügung über das Heer, die Verwaltung des deutschen Mili¬ tärwesens entzogen, dessen gesetzgebende Thätigkeit durch Beschränkung auf „allge¬ meine" Gesetze in den wichtigsten Beziehungen gelähmt und überdies neben dem Veto des NeichSoberhaupts dem Veto einer Anzahl Fürsten preisgegeben wird; kein Reich, dem statt der Neichsstnanzen uur das Recht eingeräumt wird, einen leeren Beutel zu sichre» und bei den Einzelstaaten die Groschen zu erbetteln. Wir wollen kein Reich, dessen wirkliche einheitliche Thätigkeit vielleicht sich nnr offen¬ baren könnte in einem einheitlichen Prcßgesetz und einem einheitlichen Gesetz über den gemeinen deutschen Belagerungszustand, welches die Exccutivmacht aller klei¬ nen deutschen Staaten in die Hände Preußens legt und dieselben faktisch aufhebt, ohne deren Bürger durch eine Theilnahme an der politischen Thätigkeit Deutsch¬ lands und. eine gemeinsame deutsche Gesetzgebung zu entschädigen. Wir wollen kein Zwitterding von Kaiserthum und Directorium mit der Aussicht entweder auf einen dauernden Krieg der verschiedene« Factoren der Reichsgewalt oder wahr¬ scheinlicher auf eine vollständige Lähmung derselbe»; wir wollen die Bewilligung des ordentlichen Budgets nicht abhängig wissen von dem Willen zweier Versamm¬ lungen, die nicht immer einig sein werden. Wir wollen vor allem kein preußi¬ sches Wahlgesetz für das deutsche Volkshaus. Möge man die wirklich Uusclbst- ständigen ausschließen und wenn man mit Kategorien nichts auszurichten glaubt, bei denen vielleicht ein Rath von Geschwornen aushilfsweise einzelne Unbilligkeiten ausgleichen könnte, einen mäßigen Census einführen; aber schämt mau sich nichr alle die, welche keine directen Steuern zahle», welche keine Gcmeindewcchlrechte haben, alle die, welche in den letzten drei Jahren ihre Wohnung nicht blos innerhalb des Wahlbezirks gewechselt haben, alle die, welche nicht in ihrem Wahlbezirk auch HcimatSrccht besitzen, vom Wahlrechte auszuschließen und dies uns mit den Worten anzukündigen: „Wählbar ist jeder selbstständige unbeschol¬ tene Deutsche!" — Wir sind nicht unbedingt Gegner der Octroyirung; ja warum sollte» wir es uicht gestehen: wir haben ans sie gehofft! Vieles, sehr Vieles hätte das deutsche Volk verschmerzt, um Einiges zu erlangen; Vieles halte es verziehen, eingedenk der Sünden, die auch im Namen des Volkes begangen sind. Aber nach ernstlicher uijd redlicher Prüfung des Entwurfs schwanken wir keinen Augenblick zu erklären, daß diese Verfassung und dieses Wahlgesetz nie und nimmermehr angenommen werden kann und daß es verlorene Mühe ist den zu deren Prüfung in Aussicht gestellten Reichstag zu beschicken. Das Min¬ deste, um weiter zu verhandeln, wäre l) eine Aenderung des Wahlgesetzes für das Volkshaus, etwa in der Weise, daß es jedem bcitrctenden Staate überlassen bliebe, mit Zugrundelegung der im Neichsgcsetz festgestellte» Zahlenverhältmssc, ein Wahlgesetz für den nächsten Reichs¬ tag auf verfassungsmäßigen Wege zu erlassen und darnach die Wahlen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/103>, abgerufen am 06.02.2025.