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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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intriguirt und gelitten. Sie hatten den Vortheil vor der Rechten, wenigstens
gegen das jetzige Ministerium eine compacte Opposition zu bilden, während die
Rechte selber nicht recht wußte, ob sie ministeriell sei; aber sie unterschieden sich
auch in eine wenigstens der Anlage dynastische und in eine radicale Opposition.
So lange die Debatte im Ideellen spielte, konnten sie sich verständigen; in be¬
stimmten Fragen mußten sie auseinandergehn. Die Scheidung der Kammer in
vier große Massen lag in der Natur der Sache; die deutsche Frage war nur die
äußerliche Veranlassung, sie hervortreten zu lassen. Diese vier Fractionen haben
folgende Bestandtheile.

Die Rechte, mit welcher ungefähr die größere Hälfte der ersten Kammer
Hand in Hand geht, repräsentirt das alte Preußenthum. Das ist freilich auch
ein ziemlich complicirter Begriff. Man darf nur zwei Männer wie Oberst Gries-
heim und den Minister der auswärtigen Angelegenheiten mit einander vergleichen,
um sich über die in dieser Partei gebundenen Unterschiede ins Klare zu setzen.
Der erste trat nach dem Hnldigungsrescript im August v. I. in der bekannten
Broschüre, welche ganz Deutschland in Harnisch brachte, mit aller Derbheit des
Alteufritzischen PreußenthumS dem anscheinenden Uebergewicht Oestreichs in dem
neuen Bundesstaat entgegen, während Graf Arnim, in den Traditionen der
Metternich'schen Politik groß gewachsen, am liebsten den Staat in die Bahn zu¬
rückschrauben mochte, welche Herr v. Usedom in seiner Charakteristik des vorigen
Königs vortrefflich schildert^): "Ich weiß, daß die übertriebene Hingabe an das
östreichische System in der hohen Politik, in den preußischen wie in den deutschen
Fragen Deutschland und uns unbeschreiblichen Schaden gethan hat, weil es den
gebildeten, fortschreitenden Theil der Nation so sehr gegen die Regierung empörte.
Sich und seine eigenen Staatsmänner hielt der König in Fragen der europäischen
Politik kaum für competent; in allen Dingen mußte Wien gefragt werden: dort
verstehe man das am besten und eitle Svnderpolitik solle Preußen nicht machen.
Daher denn dieses stete Bedürfniß des Anlehueus, daher bei aller Einsicht und
Tüchtigkeit der Staatsmänner doch diese Scheu und Ungewvhntheit zu handeln,
die in Berlin vorherrschte und zumal bei so großen materiellen Kräften sonst un¬
erklärlich wäre." Ich muß gestehn, daß diese östreichische Partei sich aus sehr
begreiflichen Gründen in der letzten Zeit ans deu Reihen derer recrurirt hat,
denen man sonst eine übertriebene schwarzweiße Gesinnung zuschreiben möchte.
Der gemeinsame Haß gegen die Revolution überwindet auch die dynastischen Anti¬
pathien. Oestreich hat zunächst in seinem eignen Staat durch starke Militärgewalt
die Revolution unterdrückt, es hat sich in einem auswärtigen Kriege, der wenig¬
stens indirect gegen die Revolution geführt wurde, mit Lorbeern bedeckt; es hat



*) "Politische Briefe und Charakteristiken an>Z der Deutschen Gegenwart." Berlin, W.
H ertz. Wir kommen auf dies vortreffliche Werk noch einmal zurück.
11*

intriguirt und gelitten. Sie hatten den Vortheil vor der Rechten, wenigstens
gegen das jetzige Ministerium eine compacte Opposition zu bilden, während die
Rechte selber nicht recht wußte, ob sie ministeriell sei; aber sie unterschieden sich
auch in eine wenigstens der Anlage dynastische und in eine radicale Opposition.
So lange die Debatte im Ideellen spielte, konnten sie sich verständigen; in be¬
stimmten Fragen mußten sie auseinandergehn. Die Scheidung der Kammer in
vier große Massen lag in der Natur der Sache; die deutsche Frage war nur die
äußerliche Veranlassung, sie hervortreten zu lassen. Diese vier Fractionen haben
folgende Bestandtheile.

Die Rechte, mit welcher ungefähr die größere Hälfte der ersten Kammer
Hand in Hand geht, repräsentirt das alte Preußenthum. Das ist freilich auch
ein ziemlich complicirter Begriff. Man darf nur zwei Männer wie Oberst Gries-
heim und den Minister der auswärtigen Angelegenheiten mit einander vergleichen,
um sich über die in dieser Partei gebundenen Unterschiede ins Klare zu setzen.
Der erste trat nach dem Hnldigungsrescript im August v. I. in der bekannten
Broschüre, welche ganz Deutschland in Harnisch brachte, mit aller Derbheit des
Alteufritzischen PreußenthumS dem anscheinenden Uebergewicht Oestreichs in dem
neuen Bundesstaat entgegen, während Graf Arnim, in den Traditionen der
Metternich'schen Politik groß gewachsen, am liebsten den Staat in die Bahn zu¬
rückschrauben mochte, welche Herr v. Usedom in seiner Charakteristik des vorigen
Königs vortrefflich schildert^): „Ich weiß, daß die übertriebene Hingabe an das
östreichische System in der hohen Politik, in den preußischen wie in den deutschen
Fragen Deutschland und uns unbeschreiblichen Schaden gethan hat, weil es den
gebildeten, fortschreitenden Theil der Nation so sehr gegen die Regierung empörte.
Sich und seine eigenen Staatsmänner hielt der König in Fragen der europäischen
Politik kaum für competent; in allen Dingen mußte Wien gefragt werden: dort
verstehe man das am besten und eitle Svnderpolitik solle Preußen nicht machen.
Daher denn dieses stete Bedürfniß des Anlehueus, daher bei aller Einsicht und
Tüchtigkeit der Staatsmänner doch diese Scheu und Ungewvhntheit zu handeln,
die in Berlin vorherrschte und zumal bei so großen materiellen Kräften sonst un¬
erklärlich wäre." Ich muß gestehn, daß diese östreichische Partei sich aus sehr
begreiflichen Gründen in der letzten Zeit ans deu Reihen derer recrurirt hat,
denen man sonst eine übertriebene schwarzweiße Gesinnung zuschreiben möchte.
Der gemeinsame Haß gegen die Revolution überwindet auch die dynastischen Anti¬
pathien. Oestreich hat zunächst in seinem eignen Staat durch starke Militärgewalt
die Revolution unterdrückt, es hat sich in einem auswärtigen Kriege, der wenig¬
stens indirect gegen die Revolution geführt wurde, mit Lorbeern bedeckt; es hat



*) „Politische Briefe und Charakteristiken an>Z der Deutschen Gegenwart." Berlin, W.
H ertz. Wir kommen auf dies vortreffliche Werk noch einmal zurück.
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[0087] intriguirt und gelitten. Sie hatten den Vortheil vor der Rechten, wenigstens gegen das jetzige Ministerium eine compacte Opposition zu bilden, während die Rechte selber nicht recht wußte, ob sie ministeriell sei; aber sie unterschieden sich auch in eine wenigstens der Anlage dynastische und in eine radicale Opposition. So lange die Debatte im Ideellen spielte, konnten sie sich verständigen; in be¬ stimmten Fragen mußten sie auseinandergehn. Die Scheidung der Kammer in vier große Massen lag in der Natur der Sache; die deutsche Frage war nur die äußerliche Veranlassung, sie hervortreten zu lassen. Diese vier Fractionen haben folgende Bestandtheile. Die Rechte, mit welcher ungefähr die größere Hälfte der ersten Kammer Hand in Hand geht, repräsentirt das alte Preußenthum. Das ist freilich auch ein ziemlich complicirter Begriff. Man darf nur zwei Männer wie Oberst Gries- heim und den Minister der auswärtigen Angelegenheiten mit einander vergleichen, um sich über die in dieser Partei gebundenen Unterschiede ins Klare zu setzen. Der erste trat nach dem Hnldigungsrescript im August v. I. in der bekannten Broschüre, welche ganz Deutschland in Harnisch brachte, mit aller Derbheit des Alteufritzischen PreußenthumS dem anscheinenden Uebergewicht Oestreichs in dem neuen Bundesstaat entgegen, während Graf Arnim, in den Traditionen der Metternich'schen Politik groß gewachsen, am liebsten den Staat in die Bahn zu¬ rückschrauben mochte, welche Herr v. Usedom in seiner Charakteristik des vorigen Königs vortrefflich schildert^): „Ich weiß, daß die übertriebene Hingabe an das östreichische System in der hohen Politik, in den preußischen wie in den deutschen Fragen Deutschland und uns unbeschreiblichen Schaden gethan hat, weil es den gebildeten, fortschreitenden Theil der Nation so sehr gegen die Regierung empörte. Sich und seine eigenen Staatsmänner hielt der König in Fragen der europäischen Politik kaum für competent; in allen Dingen mußte Wien gefragt werden: dort verstehe man das am besten und eitle Svnderpolitik solle Preußen nicht machen. Daher denn dieses stete Bedürfniß des Anlehueus, daher bei aller Einsicht und Tüchtigkeit der Staatsmänner doch diese Scheu und Ungewvhntheit zu handeln, die in Berlin vorherrschte und zumal bei so großen materiellen Kräften sonst un¬ erklärlich wäre." Ich muß gestehn, daß diese östreichische Partei sich aus sehr begreiflichen Gründen in der letzten Zeit ans deu Reihen derer recrurirt hat, denen man sonst eine übertriebene schwarzweiße Gesinnung zuschreiben möchte. Der gemeinsame Haß gegen die Revolution überwindet auch die dynastischen Anti¬ pathien. Oestreich hat zunächst in seinem eignen Staat durch starke Militärgewalt die Revolution unterdrückt, es hat sich in einem auswärtigen Kriege, der wenig¬ stens indirect gegen die Revolution geführt wurde, mit Lorbeern bedeckt; es hat *) „Politische Briefe und Charakteristiken an>Z der Deutschen Gegenwart." Berlin, W. H ertz. Wir kommen auf dies vortreffliche Werk noch einmal zurück. 11*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/87>, abgerufen am 15.01.2025.