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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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sung dagegen unter allen Umständen ein Verbrechen, das verderblich aus seine
Urheber zurückfällt. Sollte es die Krone in der That versuchen wollen, im Ge¬
gensatz gegen die Vertreter der Nation zu regieren -- eine Ansicht, die bisher
nur von den äußersten Fractwnen beider Seiten ihr untergelegt ist, -- so würde
damit mehr als die Existenz selbst des preußischen Staats in Frage gestellt sein.

Ich finde die Lebensfähigkeit eines constitutionellen Staatskörpers darin, daß
er einmal in der That die öffentliche Meinung des Landes ausdrückt, und daß er
serner so gegliedert ist, diese öffentliche Meinung auf eine bestimmte Weise for-
muliren zu können. Das letztere hat die zweite Kammer -- von ihr ist eigentlich
nur die Rede -- bisher nicht vermocht, und der lächerliche Ausgang der Sitzung
vom 5. April, in welcher über die in der deutschen Frage zu erlassende Adresse
zuerst die einfache, dann sämmtliche motivirten Tagesordnungen verworfen, und
endlich die Frage, ob denn überhaupt eine Adresse erlassen werden sollte, gleich¬
falls verneint wurde, spricht nicht sehr für die Möglichkeit, in der Zukunft etwas
besseres zu hoffen. Um dies zu übersehn, vergegenwärtigen wir uns die bisherige
Parteistellung.

Durch die Auflösung der constituirenden Versammlung und die vctroyirte
Verfassung war zwischen den ehemaligen Volksvertretern und der Regierung ein
Rechtsconflict eingetreten, welchen, da kein Gerichtshof für denselben constituirt
war, nur die neue Volksvertretung entscheiden konnte. Darum hatten sich die
verschiedenen Fractionen in zwei bestimmt entgegengesetzte Heerlager gesondert, in
die Anhänger der aufgelösten Constituante und in die Anhänger der Regierung --
was nach den letzten Schritten der Steuerverweigerer fast so viel hieß, als An¬
hänger der Krone. Die Wahlen waren so ausgefallen, daß beide Parteien un¬
gefähr gleichmäßig vertreten waren, mit einem geringen Uebergewicht aus Seiten
der Rechten. Sofort nach dem Zusammentritt der Kammern wurden sie auf eine
ziemlich militärische Weise disciplinirt. Die Mitglieder der rechten Seite unter¬
zeichneten das Programm des Freiherrn v. Vincke, das zwei Punkte enthielt:
die Verpflichtung, sür die Nechtsgiltigkeit der Verfassung zu stimmen, und die
verfassungsmäßige Revision nur im constitutionell monarchischen Sinne auszuüben.
Da der zweite Punkt einen Begriff von ziemlich breitem Umfang enthielt und
überdies sich auf eine weitaussehende Thätigkeit bezog, so hatte unmittelbare
Wichtigkeit nur der zweite Punkt, und mit der Erledigung desselben durch die
Adreßdebatte -- die sonst nur eine chronische Krankheit des constitutionellen Le¬
bens ist, diesmal von unermeßlicher Wichtigkeit, weil sie die Grundvesten des
neuen Staatslebens aufbauen sollte -- hörte factisch die Koalition der rechten
Seite auf und die künstlich zusammengehaltenen Elemente schieden sich nach ihrer
natürlichen Beschaffenheit.

Die Konsistenz der linken Seite war nur scheinbar fester. Sie war durch
das Band einer gemeinsamen Geschichte zusammengehalten, sie hatten gemeinsam


sung dagegen unter allen Umständen ein Verbrechen, das verderblich aus seine
Urheber zurückfällt. Sollte es die Krone in der That versuchen wollen, im Ge¬
gensatz gegen die Vertreter der Nation zu regieren — eine Ansicht, die bisher
nur von den äußersten Fractwnen beider Seiten ihr untergelegt ist, — so würde
damit mehr als die Existenz selbst des preußischen Staats in Frage gestellt sein.

Ich finde die Lebensfähigkeit eines constitutionellen Staatskörpers darin, daß
er einmal in der That die öffentliche Meinung des Landes ausdrückt, und daß er
serner so gegliedert ist, diese öffentliche Meinung auf eine bestimmte Weise for-
muliren zu können. Das letztere hat die zweite Kammer — von ihr ist eigentlich
nur die Rede — bisher nicht vermocht, und der lächerliche Ausgang der Sitzung
vom 5. April, in welcher über die in der deutschen Frage zu erlassende Adresse
zuerst die einfache, dann sämmtliche motivirten Tagesordnungen verworfen, und
endlich die Frage, ob denn überhaupt eine Adresse erlassen werden sollte, gleich¬
falls verneint wurde, spricht nicht sehr für die Möglichkeit, in der Zukunft etwas
besseres zu hoffen. Um dies zu übersehn, vergegenwärtigen wir uns die bisherige
Parteistellung.

Durch die Auflösung der constituirenden Versammlung und die vctroyirte
Verfassung war zwischen den ehemaligen Volksvertretern und der Regierung ein
Rechtsconflict eingetreten, welchen, da kein Gerichtshof für denselben constituirt
war, nur die neue Volksvertretung entscheiden konnte. Darum hatten sich die
verschiedenen Fractionen in zwei bestimmt entgegengesetzte Heerlager gesondert, in
die Anhänger der aufgelösten Constituante und in die Anhänger der Regierung —
was nach den letzten Schritten der Steuerverweigerer fast so viel hieß, als An¬
hänger der Krone. Die Wahlen waren so ausgefallen, daß beide Parteien un¬
gefähr gleichmäßig vertreten waren, mit einem geringen Uebergewicht aus Seiten
der Rechten. Sofort nach dem Zusammentritt der Kammern wurden sie auf eine
ziemlich militärische Weise disciplinirt. Die Mitglieder der rechten Seite unter¬
zeichneten das Programm des Freiherrn v. Vincke, das zwei Punkte enthielt:
die Verpflichtung, sür die Nechtsgiltigkeit der Verfassung zu stimmen, und die
verfassungsmäßige Revision nur im constitutionell monarchischen Sinne auszuüben.
Da der zweite Punkt einen Begriff von ziemlich breitem Umfang enthielt und
überdies sich auf eine weitaussehende Thätigkeit bezog, so hatte unmittelbare
Wichtigkeit nur der zweite Punkt, und mit der Erledigung desselben durch die
Adreßdebatte — die sonst nur eine chronische Krankheit des constitutionellen Le¬
bens ist, diesmal von unermeßlicher Wichtigkeit, weil sie die Grundvesten des
neuen Staatslebens aufbauen sollte — hörte factisch die Koalition der rechten
Seite auf und die künstlich zusammengehaltenen Elemente schieden sich nach ihrer
natürlichen Beschaffenheit.

Die Konsistenz der linken Seite war nur scheinbar fester. Sie war durch
das Band einer gemeinsamen Geschichte zusammengehalten, sie hatten gemeinsam


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/86>, abgerufen am 15.01.2025.