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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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der Liebe zu meinem Heimathlande unverträglich sei; daß ich mit über's Kreuz
geschlagenen Beinen saß -- ich ahnte nicht, daß ich einen kritischen Beobachter in
unmittelbarer Nähe habe, der in dieser Stellung den mimischen Ausdruck des
l)iU pi-okimnm vin^us finden könne! -- Uebrigens erinnere ich mich auch, den H. Dr.
Pinkas an demselben Abende eine Weile mit gekreuzten Beinen -- obgleich nicht
ans dem Tabouretcheu, sondern ans dem Canapee -- sitzend gesehen zu haben.
Hat etwa bei dem H. Dr. Adolph PinkaS diese Kreuzung der Beine einen an¬
dern Ausdruck, als bei mir? u. s. w." Wir können uns aber in dem un¬
schuldigen Vergnügen an deu Witzen des H. Uuterstaatssecrctärs nicht unbefangen
gehen lassen; wir werden vielmehr aus dem Idyll sehr unsanft herausgerissen,
wenn wir lesen, wie der junge Staatsmann seine frivole Kälte rechtfertigt: "daß
ich bei ruhigem Blute, oder wie es Ihnen beliebt, "eifigtalt" blieb, während
Alle bestürzt und ergriffen waren, würden Sie mir nicht zum Vorwurfe machen,
wenn Sie wüßten, daß mir die Eröffnung, welche die andern unvorbereitet traf,
um acht Stunden früher gemacht worden war. Der Vorgang der "militärassi-
stenzlichcn Neichstagsbeseitigung" (ein Ausdruck, den Dr. Pinkas gebraucht), war
mir aber in jenem Augenblicke eben so unbekannt, als Ihnen, ja ich erfuhr ihn
sogar um ein paar Stunden später als Sie, da ich, wie Sie sich wohl
erinnern müssen, noch in derselben Nacht mit dem Grafen Stadion nach Olmütz
abreiste. Erst gegen Mittag des andern Tages langte ich von da zurück im
Schloßhofe von Kremficr an und war nicht wenig überrascht, als ich sol¬
chen in ein Feldlager umgewandelt fand."

Die Auflösung des Reichstages war ein Sitnativnsstück mit militärischen
Evolutionen, wie man sie sonst etwa im Josephstädter Theater zu sehen bekam.
Der Schatten des Shakespeare ist nicht über die kleine Bühne von Kremsier hin¬
weggeschritten, der alte Kothurn war nicht in dem Städtchen der Hanna zu suchen.
Ohne tragischen Pathos ward das Schicksal des Reichstags vollzogen, in stiller
Resignation ließen sich die Deputirten den letzten Nest der Diäten auszahlen, und
gingen mit einem kleinen Stachel im Herzen wieder in ihre Heimath zurück. Das
Drama von Kremsier war ohne eigentliche Handlung; die Helden desselben träum¬
ten in dem erzbischöflichen Palast den schönen Traum des Egmont, sie sahen die
Freibeit als eine Vision, von lichtem Glänze umflossen, mit der demokratischen
Bürgerkrone auf dem Haupte, aus der Zukunft Herübel schweben und freuten sich
der herrliche" Erscheinung. Aber eines Morgens wurden sie ans der Seligkeit
des Traumes durch die Auflösung des Reichstages auf sehr unsanfte Weise ge¬
weckt n"d das scharfe Tageslicht absorbirte den leuchtenden Nebel der Traumge¬
stalt. Das catonische: Otorum vor" cvuseo der Grenzboten in Bezug aus die
Auflösung der östreichischen Constituante war sehr ehrlich gemeint; denn wenn auch
das Vorschweben einer Vision kein realer Verlust ist, so wollten wir doch dem Reichs¬
tage deu Katzenjammer der Illusion erspart wissen. Das Ministerium hat es je-


der Liebe zu meinem Heimathlande unverträglich sei; daß ich mit über's Kreuz
geschlagenen Beinen saß — ich ahnte nicht, daß ich einen kritischen Beobachter in
unmittelbarer Nähe habe, der in dieser Stellung den mimischen Ausdruck des
l)iU pi-okimnm vin^us finden könne! — Uebrigens erinnere ich mich auch, den H. Dr.
Pinkas an demselben Abende eine Weile mit gekreuzten Beinen — obgleich nicht
ans dem Tabouretcheu, sondern ans dem Canapee — sitzend gesehen zu haben.
Hat etwa bei dem H. Dr. Adolph PinkaS diese Kreuzung der Beine einen an¬
dern Ausdruck, als bei mir? u. s. w." Wir können uns aber in dem un¬
schuldigen Vergnügen an deu Witzen des H. Uuterstaatssecrctärs nicht unbefangen
gehen lassen; wir werden vielmehr aus dem Idyll sehr unsanft herausgerissen,
wenn wir lesen, wie der junge Staatsmann seine frivole Kälte rechtfertigt: „daß
ich bei ruhigem Blute, oder wie es Ihnen beliebt, „eifigtalt" blieb, während
Alle bestürzt und ergriffen waren, würden Sie mir nicht zum Vorwurfe machen,
wenn Sie wüßten, daß mir die Eröffnung, welche die andern unvorbereitet traf,
um acht Stunden früher gemacht worden war. Der Vorgang der „militärassi-
stenzlichcn Neichstagsbeseitigung" (ein Ausdruck, den Dr. Pinkas gebraucht), war
mir aber in jenem Augenblicke eben so unbekannt, als Ihnen, ja ich erfuhr ihn
sogar um ein paar Stunden später als Sie, da ich, wie Sie sich wohl
erinnern müssen, noch in derselben Nacht mit dem Grafen Stadion nach Olmütz
abreiste. Erst gegen Mittag des andern Tages langte ich von da zurück im
Schloßhofe von Kremficr an und war nicht wenig überrascht, als ich sol¬
chen in ein Feldlager umgewandelt fand."

Die Auflösung des Reichstages war ein Sitnativnsstück mit militärischen
Evolutionen, wie man sie sonst etwa im Josephstädter Theater zu sehen bekam.
Der Schatten des Shakespeare ist nicht über die kleine Bühne von Kremsier hin¬
weggeschritten, der alte Kothurn war nicht in dem Städtchen der Hanna zu suchen.
Ohne tragischen Pathos ward das Schicksal des Reichstags vollzogen, in stiller
Resignation ließen sich die Deputirten den letzten Nest der Diäten auszahlen, und
gingen mit einem kleinen Stachel im Herzen wieder in ihre Heimath zurück. Das
Drama von Kremsier war ohne eigentliche Handlung; die Helden desselben träum¬
ten in dem erzbischöflichen Palast den schönen Traum des Egmont, sie sahen die
Freibeit als eine Vision, von lichtem Glänze umflossen, mit der demokratischen
Bürgerkrone auf dem Haupte, aus der Zukunft Herübel schweben und freuten sich
der herrliche» Erscheinung. Aber eines Morgens wurden sie ans der Seligkeit
des Traumes durch die Auflösung des Reichstages auf sehr unsanfte Weise ge¬
weckt n»d das scharfe Tageslicht absorbirte den leuchtenden Nebel der Traumge¬
stalt. Das catonische: Otorum vor» cvuseo der Grenzboten in Bezug aus die
Auflösung der östreichischen Constituante war sehr ehrlich gemeint; denn wenn auch
das Vorschweben einer Vision kein realer Verlust ist, so wollten wir doch dem Reichs¬
tage deu Katzenjammer der Illusion erspart wissen. Das Ministerium hat es je-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/80>, abgerufen am 15.01.2025.